Kitsune

XXXIX.

Wie man liebt

Nachdem Rem sich von Inouye verabschiedet hat, schlendert sie durch den Saal, um nach seinem Bruder Ausschau zu halten. Auch wenn sie am Anfang mehr mit sich selbst beschäftigt ist und damit, sich wieder zu sammeln. Da sie Inouye arbeiten gesehen hat und mit seinen Methoden vertraut ist, hat sie angenommen, dass sie eine gewisse Resistenz gegen seinen Charme entwickelt hat, aber es war ihr Fehler anzunehmen, dass sein Arbeits-Charme mit seinem echten Charme vergleichbar ist. Sie ist nicht daran gewöhnt, so viele Komplimente zu bekommen, besonders nicht von jemandem, der viel besser aussieht als sie.

Mit einem Seufzen schüttelt sie den Kopf und versucht, alle Gedanken an Inouye zu vertreiben, um sich stattdessen auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Sie hat mit Inouye verabredet, seinen Bruder in den Wintergarten zu bringen, der an den Saal grenzt, und jetzt gilt es nur noch ihn zu überzeugen, ihr zu folgen. Normalerweise würde sie sagen, dass das eine einfache Aufgabe ist, allerdings ist ihre Beziehung zu Saburo Inouye sehr kompliziert, dafür, dass sie sich gerade zweimal getroffen haben.

Inouye sagte, sein Bruder wäre stolz und stur, aber während Rem nach ihm sucht, denkt sie, dass sie ihn auch hätte fragen sollen, wo sie ihn finden könnte.

»Verzeihen Sie, Ms. Aozora, nicht wahr?«

Es ist nicht das erste Mal, dass Rem angesprochen wird, obwohl sie versucht, beschäftigt auszusehen. Sie bleibt stehen und schenkt dem älteren Herrn ein höfliches Lächeln. »Ja, und ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten, aber leider habe ich im Moment keine Zeit. Bitte verzeihen Sie.« Sie neigt höflich den Kopf und geht dann schnell weiter. Sie hätte gerne herumgefragt, ob jemand Inouyes Bruder gesehen hat, aber sie will nicht, dass darüber geredet wird, wie sie Inouyes Seite verlassen hat, den alle für ihren Verlobten halten, um seinen Bruder zu suchen.

Nach zehn Minuten suchen versucht Rem methodischer vorzugehen. Inouyes Bruder ist mit Sasaki hier und Sasaki ist die Art Frau, die sich gerne bedienen lässt. Diesem Gedanken folgend geht Rem auf die Bar zu, die sich mit zusätzlichen Sitzgelegenheiten in einem angrenzenden Raum befindet.

Allerdings ist kaum jemand dort. Eine Frau sitzt am Tresen und ein paar Männer an einem der Tische. Keiner davon ist Saburo Inouye, sodass Rem sich wieder umdrehen und zurückgehen will, ehe sie die Frau am Tresen als Himari Inouye wiedererkennt.

Sie sitzt vor einem Glas, das offenbar ein stark alkoholisches Getränk enthält und hat den Kopf in den Armen vergraben. Außerdem kann Rem sehen, dass ihre Schultern beben, doch trotz ihrer offensichtlich schlechten Verfassung ist sie allein.

Rem zögert. Ms. Inouye schien bei ihren Treffen zuvor nicht viel für Rem übrig zu haben, aber Rem erinnert sich gut an ihren Gesichtsausdruck und wie sie Inouye angesehen hat. Es würde sie nicht überraschen, wenn er der Grund ist, aus dem sie hier sitzt.

Schließlich geht sie auf Ms. Inouye zu und stellt sich neben sie. »Verzeihen Sie, Ms. Inouye, ist alles in Ordnung?«

Ein Schniefen ertönt. »Geh weg! Wer auch immer du bist.« Ihre Stimme ist verwaschen und verrät Rem, dass sie die Zeit zwischen ihrem Treffen und jetzt mit Trinken verbracht hat.

»Ich bin Rem Aozora, Koheis Freundin.«

Ms. Inouye hebt den Kopf. Ihr Make-up ist verschmiert, ihre Haare etwas zerzaust und der Blick in ihren goldbraunen Augen ist benebelt. »Koheis Freundin…«, wiederholt sie. Dann schnaubt sie. »Du glaubst, dass du gut genug bist, um meinen Sohn zu heiraten?«

Rem lächelt schwach, als sie ihren Verdacht, dass Ms. Inouye sehr viel an ihrem Sohn liegt, bestätigt sieht. Sie setzt sich auf den Barhocker neben Ms. Inouye. »Kohei und ich sind nicht verlobt. Er wollte nur, dass es so wirkt, weil jemand auf dieser Party es glauben soll.«

Ms. Inouye mustert sie misstrauisch. »Wer soll es glauben?«

»Ms. Marika Sasaki.«

Ms. Inouye rollt mit den Augen. Dann verzieht sie das Gesicht. »Dieses Miststück hat meine Söhne gegeneinander aufgehetzt und sie mir weggenommen! Ich hasse sie!«

Rem nickt langsam. »Ich verstehe. Sie sorgen sich sehr um Ihre Söhne.«

»Ich bin ihre Mutter!« Es sollte wohl eine klarstellende Aussage sein, aber bei dem Wort ‚Mutter‘ bricht Ms. Inouyes Stimme weg. »Kohei ist mein Sohn! Wen interessiert sein dämlicher Vater! Er ist mein - « Ein Schluchzen unterbricht sie und sie vergräbt das Gesicht in den Händen. »Ich bin eine Versagerin. Er verachtet mich und es ist alles meine Schuld.«

Rem öffnet ihre Handtasche, um ihr Taschentuch hervorzuholen, nur um sich daran zu erinnern, dass sie es zuvor benutzt hat, um den Lippenstift von Inouyes Wange zu reiben. Sie sieht sich um und nimmt stattdessen eine Serviette von der Bar. »Ich glaube nicht, dass er Sie verachtet. Er hat Sie vorhin nur missverstanden.«

»Was weißt du schon?!« Ms. Inouye fährt hoch und funkelt Rem mit ihren tränennassen Augen verärgert an. »Irgendein dahergelaufenes Püppchen, mit großen Hoffnungen.«

»Wahrscheinlich weiß ich nicht sehr viel über ihn«, gibt Rem mit ruhiger Stimme zu, während sie Ms. Inouye die Serviette hinhält. »Er ist sehr verschlossen und er vertraut nicht leicht. Ich denke, das ist einer der Gründe, wieso er Sie vorhin missverstanden hat.«

Ms. Inouye schnieft. Sie ignoriert die Serviette und sieht Rem aus schmalen Augen an.

»Als wir uns unterhalten haben, wollten Sie ihm sagen, dass er sein Leben beruhigt so weiterführen kann, wie er es will, und dass Sie ihn unterstützen, egal, was er tut, richtig?«

Ms. Inouye blinzelt.

»Und Sie haben es beiläufig klingen lassen, weil Sie dachten, dass Sie Kohei damit besser erreichen.«

Ms. Inouyes Blick wird erneut misstrauisch, aber sie schnappt Rem die Serviette aus der Hand. »Lass mich raten. Du willst mir helfen, Kohei näherzukommen.«

Rem lächelt milde. »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun.«

Ms. Inouye, die sich mit der Serviette die Augen tupft, hält inne.

»Ich werde mich nicht in Ihre Beziehung zu Kohei einmischen, ohne dass er mich darum bittet. Wenn Sie ihm näherkommen wollen, müssen Sie das allein schaffen.«

»Du willst mir nicht helfen?« Ms. Inouye sieht verwirrt aus, aber Rem steht auf. »Ich bin Koheis Freundin, also bin ich selbstverständlich auf seiner Seite und nicht auf Ihrer. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich bin auf der Suche nach jemandem.«

»Nein, warte!« Ms. Inouye packt Rems Pelzstola.

Rem hält inne und sieht sie fragend an.

»Hast du...Kohei gern?«

Rem macht ein überraschtes Gesicht, aber Ms. Inouye sieht sie zum ersten Mal an, als wolle sie eine Antwort hören. Rem lächelt. »Sehr sogar.«

Ms. Inouye starrt sie an. So lange und intensiv, dass Rems Lächeln unbeholfen von ihrem Gesicht rutscht. Sie räuspert sich und wirft Ms. Inouyes Hand einen Blick zu, die immer noch ihre Stola hält.

Dann richtet Ms. Inouye sich plötzlich auf, offenbar ohne daran zu denken, wie viel sie getrunken hat, denn sie taumelt und Rem fängt sie auf. »Geht es Ihnen gut?«, fragt Rem, obwohl das offensichtlich nicht der Fall ist.

»Sag mir, was du an Kohei magst«, sagt Ms. Inouye, wobei sie Rem streng ansieht, als würde sie sich nicht an Rems Schultern festklammern, um ihr Gleichgewicht zu halten.

»Was ich an Kohei mag?«, wiederholt Rem, während sie versucht, Ms. Inouye wieder auf den Barhocker zurückzuschieben.

»Du sagst, du hast ihn gern. Dann musst du auch wissen, warum!« Sie funkelt Rem drohend an, als würde es sie teuer zu stehen kommen, wenn sie keine Antwort darauf hat.

Rem zögert. »Könnte ich die Frage andersherum beantworten? Mit dem, was ich an ihm nicht mag?«

»Wie?!« Ms. Inouye macht ein irritiertes Gesicht.

»Es würde sonst zu lange dauern«, erwidert Rem lächelnd.

»Hä?...oh.« Eine nachdenkliche Falte erscheint auf Ms. Inouyes Stirn und, obwohl sie Rem noch immer misstrauisch betrachtet, nickt sie langsam, als würde sie verstehen, was Rem meint und dem zustimmen.

»Ich mag es nicht, wie er von sich selbst spricht, wenn es um Ms. Sasaki geht oder wie unsicher er wird, wenn er feststellt, dass ihm etwas am Herzen liegt. Und ich mag es nicht, dass er sich über ein billiges Geschenk aus einem Ramschladen freut, weil er noch nie in seinem Leben etwas Kitschiges von jemandem bekommen hat, dem er am Herzen liegt.« Während sie spricht, geht Rem durch den Kopf, dass Inouyes Geburtstag im Januar ist und sie anfangen muss, Vorbereitungen dafür zu treffen. Dann hört sie ein Schniefen und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ms. Inouye.

Frische Tränen laufen ihr über die Wangen und verschmieren ihr Make-up von neuem. Sie stammelt etwas Unverständliches und dann, vielleicht weil sie das Gleichgewicht verliert, wirft sie sich in Rems Arme.

»Oh je!« Rem taumelt etwas, schafft es aber sie aufrecht zu halten, während Ms. Inouye sich schluchzend an sie klammert. Etwas unbeholfen steht Rem da und tätschelt ihr den Rücken, während sie überlegt, ob sie Ms. Inouye wieder auf ihren Barhocker setzen soll oder ob einer der Sessel, die um die Tische herum stehen, nicht besser wäre. Das Problem ist nur, dass Rem eigentlich nach Inouyes Bruder suchen sollte, aber unter den Umständen kann sie Ms. Inouye wohl kaum allein lassen.

»Ms. Inouye, haben Sie ein Zimmer hier. Welche Zimmernummer haben Sie?«

Aber Ms. Inouye scheint sie nicht einmal zu hören.

Rem sieht sich Hilfe suchend nach dem Barkeeper um, in der Hoffnung, dass er ihre Zimmernummer kennt.

»Was geht hier vor?« Eine Stimme ertönt hinter Rem und sie verrenkt sich, um zu ihrem Besitzer zu sehen.

Auch Ms. Inouye hebt den Kopf von Rems Schulter und Rem spürt, wie sie sich anspannt. »Saburo!« Ms. Inouye drückt Rem von sich, wobei sie auf ihren Highheels jedoch alles andere als einen festen Stand hat, sodass Rem einen Arm um ihren Rücken geschlungen lässt, um sie zu stützen.

»Ms. … ähm, Koheis Freundin und ich haben uns nur unterhalten. Sie ist ein nettes Mädchen, findest du nicht?« Ms. Inouye lächelt, aber es wirkt steif, noch dazu merkt Rem, dass sie zittert.

»Guten Abend, Mr. Inouye«, sagt Rem mit ruhiger Stimme, während sie seine Miene aufmerksam beobachtet.

Er scheint schlechte Laune zu haben und gemessen an dem Blick, mit dem er seine Mutter ansieht, scheint er außerdem schlecht auf sie zu sprechen zu sein. Er bleibt vor ihnen stehen und starrt Ms. Inouye einen Moment an. Dann seufzt er. »Bitte entschuldigen Sie das Verhalten meiner Mutter, Ms. Aozora, ich kümmere mich ab jetzt um sie.«

Ms. Inouye zieht den Kopf ein.

»Es gibt nichts, für das Sie sich entschuldigen müssen, Mr. Inouye. Aber wenn Sie mir freundlicherweise helfen würden, ich war gerade dabei, Ms. Inouye auf ihr Zimmer zu bringen, um sich auszuruhen.«

Er richtet seinen Blick auf Rem und sie meint einen Anflug von Verärgerung darin zu sehen, als würde sie sich in etwas einmischen, das sie nichts angeht. »Das wird nicht nötig sein. Das Personal kann sich darum kümmern.«

Rem starrt ihn entgeistert an. Seine Mutter steht vor ihm, offensichtlich in schlechter Verfassung, und er will sie irgendwelchen Fremden überlassen? »Es macht mir keine Umstände. Wenn Sie mir die Zimmernummer sagen, bringe ich sie hin.«

»Und warum sollten Sie das tun? Ich hoffe, Sie machen sich keine falschen Vorstellungen, nur weil mein kleiner Bruder übermütig geworden ist.« Sein Blick huscht zu Rems Hand mit dem Ring.

»Ich weiß nichts über ihre Vorstellungen, Mr. Inouye, aber nach meinen ist es selbstverständlich, einer Person zu helfen, wenn sie hilfebedürftig ist und es im eigenen Rahmen der Möglichkeiten liegt zu helfen. Und das völlig unabhängig davon, ob oder welche Beziehung man zu der betreffenden Person hat.«

Seine Miene verdüstert sich. »Ihre Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber sie wird hier nicht gebraucht.«

»Wieso fragen wir Ms. Inouye nicht selbst? Ich kann mir vorstellen, dass es ihr unangenehm ist, von Hauspersonal aus dem Saal geführt zu werden, als würde sie des Raums verwiesen. Während einer Feier ihrer eigenen Familie noch dazu.«

»Sie nehmen sich zu viel heraus, Ms. Aozora!« Er macht einen Schritt auf sie zu und funkelt sie warnend an.

»Weil ich Ihre Mutter nach ihrer Meinung frage?«

»Sie ist betrunken und wohl kaum in der Lage, eine Meinung zu äußern.«

»Woher wollen Sie das wissen, wenn Sie sich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben nachzusehen, wie es ihr geht?«

Inouyes Bruder öffnet den Mund, um eine Erwiderung zu geben, hält dann aber inne, um sich umzusehen. Als er sich wieder ihnen zuwendet, tritt er einen Schritt näher und senkt die Stimme. »Ich weiß es, weil ich meine Mutter kenne und es nicht das erste Mal ist, dass sie sich betrinkt, um Aufmerksamkeit zu bekommen.« Seine Worte sind an Rem gerichtet, aber Ms. Inouye gibt ein Wimmern von sich, woraufhin er zu ihr sieht. Er seufzt, dann tritt er neben sie und legt einen Arm um sie. 

»Saburo…«, wispert Ms. Inouye und sieht ihren Sohn an. Dabei spürt Rem, wie sie sich in seine Richtung lehnt.

Er sieht Rem an, deren Arm ebenfalls noch um Ms. Inouyes Rücken liegt. »Ich bringe sie auf ihr Zimmer. Sind Sie damit einverstanden?«

Rem mustert ihn und stellt fest, dass seine Miene weniger düster ist als zuvor. Sie nimmt ihren Arm zurück, nur um sich bei Ms. Inouye unterzuhaken. »Ich helfe Ihnen.«

Seine Reaktion darauf ist nicht unbedingt positiv, aber er sagt nichts, wohl um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sie zu ziehen.

»Sagen Sie nicht, dass Sie mir nicht mit meiner eignen Mutter vertrauen«, sagt er, als sie den Saal verlassen haben und auf dem Weg zum Fahrstuhl sind.

»Ich habe nach Ihnen gesucht und da ich einsehe, dass Ms. Inouye in diesem Fall Vorrang vor mir hat, helfe ich Ihnen lieber, damit es schneller geht.«

Er wirft ihr über Ms. Inouyes Kopf einen misstrauischen Blick zu. »Und was könnten Sie von mir wollen?«

»Oh, ihr kommt schon so gut miteinander aus«, redet Ms. Inouye dazwischen und im Gegensatz zu zuvor klingt sie fröhlich und ausgelassen. »Ihr werdet bald Schwager und Schwägerin sein, ist das nicht wunderbar?«

Rem sieht sie verwirrt an und fragt sich, ob sie ihnen überhaupt zugehört hat.

»Das wird sich zeigen«, sagt Inouyes Bruder, während er seinen Blick demonstrativ nach vorn richtet.

Ms. Inouye hat eine Suite in den oberen Stockwerken, deren Schlüssel sie sich bei der Rezeption abgeholt haben. Drinnen müssen sie Ms. Inouye davon abhalten, über die Minibar herzufallen und Rem befürchtet schon, dass sie ihre Pläne für den Abend aufschieben müssen, als Ms. Inouye einschläft. Es passiert sehr plötzlich, aber offensichtlich war sie über die Anwesenheit ihres Sohnes so erleichtert, dass es sie ihren Kummer von zuvor vergessen ließ.

Inouyes Bruder trägt sie in ihr Bett, bevor er einen Anruf tätigt, an den Familienarzt, wie Rem kurz darauf erfährt, was sie ungemein erleichtert. Danach macht sie sich mit Inouyes Bruder auf den Weg zurück in den Tanzsaal.

»Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, sagt er, als sie gemeinsam im Fahrstuhl sind.

»Sind Sie sicher?«, erwidert Rem gelassen. »Und ich dachte, Sie würden wenigstens so tun, als wollten Sie mich davon überzeugen, dass Ms. Sasaki nicht versucht hat, mich zu ermorden.«

Er richtet seinen Blick abrupt auf Rem und eine Warnung glitzert in seinen Augen.

Rem hebt eine Braue. »Wieso sehen Sie mich so an? Sind Sie überrascht, dass ich gleich zum Punkt komme oder haben Sie Angst, es könnte Ihnen herausrutschen, dass Sie sehr wohl wissen, dass Ms. Sasaki hinter dem ‚Unfall‘ auf der Baustelle steckt.«

»Denken Sie, ich falle auf diese Spielchen herein?« Er schnaubt und richtet seinen Blick wieder auf die Fahrstuhltür.

»Spielchen? Was für eine niedliche Umschreibung für eine Situation, die mein Leben betrifft«, sagt Rem mit frostiger Stimme und während sie sein Profil anstarrt, sieht sie, wie er schluckt.

»Marika ist impulsiv, aber Ihr Leben ist keineswegs in Gefahr«, sagt er dann, jedoch mit etwas weniger Entschlossenheit in der Stimme.

»Das war es schon«, sagt Rem etwas milder. »Ich verstehe, dass sie die Frau schützen wollen, die sie lieben, aber Sie werden nicht von mir erwarten, dass ich mein Leben riskiere, nur weil Sie verliebt sind.«

»Sie scheinen eine Vorliebe fürs Extreme zu haben, Ms. Aozora, aber glauben Sie wirklich, ich würde die Verlobte meines Bruders in Gefahr bringen?«

Rem schluckt und am liebsten hätte sie ihn verbessert wie zuvor Ms. Inouye. Aber da sie nicht sagen kann, wie der Abend verläuft, beschließt sie, ihn fürs Erste nicht über den falschen Verlobungsring aufzuklären. »Ich kenne Sie nicht gut genug, um das zu sagen, aber wie Sie wissen, sind es nicht Sie, der mir Sorgen bereitet.«

»Marika wird Ihnen auch nichts tun.« Er klingt überzeugt.

»Wie können Sie das wissen?«

Eine Falte erscheint zwischen seinen Brauen, aber in diesem Moment öffnen sich die Fahrstuhltüren.

»Ich sag Ihnen was.« Rem tritt aus dem Fahrstuhl und dreht sich zu Inouyes Bruder um. »Sie kommen mit mir und hören sich an, was Ms. Sasaki zu sagen hat und wenn Sie hinterher immer noch der Meinung sind, dass sie ein falsches Alibi von Ihnen verdient, werde ich sie nicht wegen Mordes anzeigen.«

Er schnaubt, während er ebenfalls den Fahrstuhl verlässt. »Sie wissen so gut wie ich, dass Ihre Anzeige nichts bringt, solange ich Marika ein Alibi gebe.«

»Und Sie wissen, dass es Ms. Sasaki trotzdem schaden kann, wenn ich sie anzeige.«

Er überlegt einen Moment, während er auf sie herabschaut. Er mag etwas kleiner als sein Bruder sein, aber seine strengen Züge machen das wett und Rem geht durch den Kopf, dass es Sinn ergibt, dass sie nur Halbbrüder sind, da sie nicht viele Ähnlichkeiten teilen.

»Aber ich bin überrascht«, fährt sie fort. »Wenn Sie so fest an Ms. Sasakis Seite stehen, sollte es Ihnen nichts ausmachen, egal was Sie hören. Es sei denn natürlich, Sie fürchten sich davor.«

Seine Miene verdüstert sich. »Denken Sie, eine offensichtliche Provokation wie diese funktioniert bei mir?«

»Es ist egal, ob Sie funktioniert oder nicht, denn wenn Sie nicht zuversichtlich sind, dass Sie ertragen können, was Ms. Sasaki hinter Ihrem Rücken sagt, dann ist Ihre Unterstützung für sie nicht stark genug, um einer Anklage im Weg zu stehen.« Rem schenkt ihm ein Lächeln und neigt höflich den Kopf zum Abschied, bevor sie ihm den Rücken zukehrt und den Flur hinunterläuft.

Es dauert jedoch nicht lange, bevor ihr seine Schritte folgen. »Das war Koheis Idee, oder?«, knurrt er mit gepresster Stimme.

Rem lächelt milde. »Es war meine Idee.«

Sie bringt Inouyes Bruder in den Wintergarten, der nur durch eine dünne Holztür vom Hauptsaal getrennt ist, sodass man jedes Gespräch, das unmittelbar vor der Tür stattfindet, gut belauschen kann. Wahrscheinlich sollte die Schiebetür ursprünglich offen stehen, denn der Wintergarten ist mit Weihnachtsschmuck dekoriert und es wurden einige Tische mit Stühlen aufgestellt.

»Und jetzt?« Inouyes Bruder sieht unbeeindruckt von der Dekoration oder der Aussicht auf den Garten aus und schaut stattdessen mit einem ungeduldigen Blick Rem an.

Die holt ihr Handy aus ihrer Handtasche und schreibt Inouye eine Nachricht. »Wir warten.«

Er schnaubt. »Wieso mach ich das überhaupt?«, murmelt er und schüttelt den Kopf.

Rem macht einen Schritt auf ihn zu. »Sind Sie nervös?«

Er richtet seinen Blick auf sie und mustert sie von oben bis unten. »Ich bin überrascht, dass Kohei damit einverstanden ist, dass sie hier mit mir warten, ganz allein.«

Rem runzelt die Stirn. »Wollen Sie andeuten, dass Sie Ihre Meinung darüber, dass Sie mir nichts tun würden, möglicherweise ändern?«

»Nein, aber mein Bruder neigt dazu, sehr besitzergreifend und eifersüchtig zu sein.«

Rem denkt an Inouyes scherzhafte Worte darüber, dass es eine Verschwendung ist, dass sie Zeit mit seinem Bruder verbringt. »Tun Sie das auch?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie sind Brüder und es gehört einiges dazu, jemandem ein falsches Alibi zu geben.«

Er verzieht das Gesicht, auch wenn Rem nicht weiß, ob es an ihrer Bemerkung an sich liegt oder der Erwähnung des falschen Alibis. »Meine Absichten gegenüber Marika sind anständig und aufrichtig.«

»Ihre Absichten sind es vielleicht, aber sind Sie sich sicher, dass das, was sie tun, zu ihrem besten ist?«

»Ich beschütze sie und ich werde sie immer beschützen.« Seine Antwort kommt ohne zu zögern und er klingt entschlossen, sodass Rem beinah beeindruckt ist. Aber wenn das, was Inouye über Marika und ihre Meinung zu seinem Bruder gesagt hat, stimmt, dann ist es sehr viel weniger beeindruckend als viel mehr tragisch. Und so beschließt Rem, nicht darauf zu antworten und stattdessen darauf zu warten, was Sasaki tatsächlich sagen wird.

Es dauert auch nicht lange, bis ihre Stimme von der anderen Seite der Tür ertönt.

»Hallo Kohei.« Sasakis Stimme ist weich und liebevoll und Rem spürt, wie sie das Gesicht verzieht und zum ersten Mal kommt ihr in den Sinn, dass es auch für sie sehr unangenehm sein wird, dieses Gespräch zu belauschen.

»Du siehst unglücklich aus.«

Rem sieht zu Inouyes Bruder, dessen Miene sich ebenfalls verhärtet hat.

»Hat es vielleicht mit Ms. Aozora zu tun?«

»Was willst du?« Inouyes Stimme klingt abweisend und obwohl es lächerlich ist, steigt Zufriedenheit in Rem auf.

»Warum bist du so wütend?« Sasaki klingt jedoch, als brächte sie Inouyes Art zum Schmollen. »Ich war nur überrascht. Als ich sie gesehen habe, habe ich sie fast nicht wiedererkannt. Aber dann habe ich die Gerüchte darüber gehört, dass du sie heiraten willst und dann war ich nicht mehr überrascht.«

»Und jetzt bist du hier, um dich als Ersatz anzubieten? Wie aufopferungsvoll.«

»Ich bin niemandes Ersatz! Und ich bin immer noch wütend auf dich, wegen dem, was du zu mir gesagt hast.«

Inouye lacht auf. »Nur wegen dem, was ich gesagt hab?«

Rem runzelt leicht die Stirn, denn es klingt, als hätte er etwas getan, das Schlimmer ist. Sie weiß, dass er etwas gegen Sasaki unternommen hat, jedenfalls hat er das angedeutet, aber sie weiß nicht, was genau es ist.

»Ah, du meinst, als ich gesagt habe, dass du nicht annähernd so attraktiv bist wie Rem. Aber was soll ich sagen, wenn das die Wahrheit ist? Du hast sie doch gesehen.« Etwas peinlich berührt presst Rem die Lippen aufeinander. Aber sie tut es außerdem, um nicht zu grinsen.

»Ich hätte nie gedacht, dass gerade du einmal so einen Fehler machst. Sie läuft in den billigsten Klamotten herum, als hätte sie noch nie das Wort ‚Feminin‘ gehört, aber kaum machst du ihr einen Antrag, tut sie, als wäre sie eine von uns.«

»Was ist falsch daran?«

»Sie nimmt dich nur aus, Kohei!«

»Im Gegensatz zu dir?«

»Ja! Ich bin immer auf deiner Seite, Kohei. Selbst jetzt.« Sasakis Stimme wird wieder weicher an dieser Stelle und etwas leiser.

»Nach allem, was ich getan habe?«

Rem weiß, dass es nur gespielt ist, aber die schwankende Zuversicht in Inouyes Stimme hinterlässt einen unangenehmen Druck in ihrer Brust.

»Ich verstehe, dass du wütend auf mich warst. Ich war fünf Jahre weg und habe mich kaum bei dir gemeldet. Ich hätte früher kommen sollen, es tut mir leid.«

Inouyes Antwort kommt etwas später. »Was ist mit Saburo?«

»Da ist nichts zwischen uns. Ich habe dir doch gesagt, er ist wie ein Bruder für mich. Und...und ich habe immer gehofft, dass er das auch irgendwann sein wird.«

Den letzten Teil versteht Rem kaum und sie wünscht beinah, sie hätte es nicht. Aber sie sieht zu Inouyes Bruder, der mit geballten Fäusten neben ihr steht.

»Willst du sagen, dass du mich heiraten willst?« Inouyes Stimme ist deutlich lauter als Sasakis und Rem zuckt zusammen.

»Das -, wie könnte ich das zu jemandem sagen, der mit einer anderen verlobt ist.«

»Du willst, dass ich Rem loswerde. Damit alles wieder so wird wie früher und du zwischen Saburo und mir wechseln kannst, wie es dir passt.«

Rem beißt sich auf die Lippe und zwingt sich, sich auf Inouyes Bruder zu konzentrieren.

»Nein! Mir geht es nur um dich. Mir ging es immer nur um dich.«

»Hast du ihm das auch gesagt?«

»Ich habe es dir doch schon einmal gesagt. Saburo und ich passen nicht zusammen. Er versteht mich nicht, so wie du mich verstehst und er ist zu artig.«

Inouyes Antwort darauf ist ein Schnauben.

»Er ist zu steif und langweilig. Und außerdem ist er zu alt. Und er sieht nicht halb so gut aus wie du.« Sasakis Stimme klingt wie die eines quengelnden Kindes oder wie jemand, der spaßhaft eines imitiert. Und das ist ein so starker Kontrast zu dem Gesicht, das Inouyes Bruder gerade macht, dass Wut in Rem aufsteigt.

»Sagen wir, ich glaube dir«, ertönt nun wieder Inouyes Stimme. »Sagen wir, ich würde dir vergeben. Was ist mit Rem?«

»Was soll mit ihr sein? Du kannst ihr einfach die Wahrheit sagen.«

»So einfach ist es nicht. Rem kann sehr stur sein, wenn du verstehst, was ich meine. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.«

»Alles, was du willst.«

Rem kneift die Augen zusammen und wiederholt im Kopf, dass all das nur gespielt ist.

»Dann sag mir, ob du es deswegen getan hast. Die Stahlstangen auf Rem fallenlassen.« Inouyes Stimme klingt verführerisch und Rem kann nicht anders, als sich zu fragen, was für ein Gesicht er gerade macht. Mit welchem Blick er Sasaki gerade ansieht. Und was ihm durch den Kopf geht.

»Wieso fragst du das?«

»Wir wissen beide, dass du es warst, ich will nur wissen, ob du es für mich getan hast.«

»Ich…Ich weiß nicht…« Sasakis Stimme ist leise und dann ist es eine Weile still.

Rem knetet unruhig ihre Hände, während der Drang, die Schiebetür zu öffnen und nachzusehen, was die beiden tun, in ihr aufsteigt.

Und dann hört sie Sasakis Stimme und wünschte sich, sie wäre still geblieben. »Sag mir, dass du mich liebst.«

»Was?«

»Sag mir, dass du mich liebst. Dann erzähle ich dir alles, was du willst.«

Rem beißt sich auf die Lippen. Es ist nur gespielt, selbst wenn er es tatsächlich sagt. Aber dieses Mal schafft sie nicht, sich davon zu überzeugen. Der Gedanke, dass er Sasaki ein Geständnis macht, falsch oder nicht, ist so unerträglich, dass sie sich die Ohren zuhalten will. Aber gleichzeitig kann sie nicht weghören. Und so hält sie den Atem an und wartet auf Inouyes Antwort.

»Das war ein was-wäre-wenn-Szenario, schon vergessen?« Seine Stimme klingt um einiges kälter als zuvor und Rem atmet erleichtert auf.

»Rem für dich verlassen? Warum sollte ich das tun?«

Mit einem Lächeln schließt Rem die Augen. Sie war noch nie so glücklich, dass ein Plan fehlgeschlagen ist.

»Aber gerade hast du…«, stammelt Sasaki.

»Ich wollte dich dazu bringen zuzugeben, dass du Rem vorsätzlich töten wolltest. Und nur um das klarzustellen, nicht in einer Million Jahre würde ich Rem für dich verlassen.«

»Wovon redest du da, Kohei?«

»Ist das nicht offensichtlich? Wer würde dich schon ansehen, wenn Rem daneben steht.«

Rem hebt eine Hand vor den Mund, um das breite Grinsen auf ihrem Gesicht zu verbergen. Sie hätte nicht gedacht, dass es so leicht ist, von deprimiert zu glücklich zu wechseln.

»Nur weil sie dein Geld genommen hat, um sich aufzubrezeln? Und dann auch noch auf so geschmacklose Art, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen.«

»Eifersüchtig?«, fragt Inouye spottend.

»Wieso sollte ich?!«

»Weil du weißt, dass das Kleid an dir geschmacklos aussehen würde, aber nicht an Rem. Willst du wissen, woran das liegt? Es ist wie der Unterschied zwischen Diamanten und Kieselsteinen. Diamanten ziehen Aufmerksamkeit auf sich, ganz egal wo sie sind oder neben wem. Aber einen Kieselstein kann man schleifen wie man will, er wird ein stinknormaler Kieselstein bleiben.«

Rem schüttelt immer noch lächelnd den Kopf, versucht aber eine beherrschte Miene aufzusetzen. Offensichtlich ist Inouye verärgert darüber, dass er es nicht geschafft hat, Sasaki ein Geständnis zu entlocken, aber Rem hat von Anfang an nicht erwartet, dass sie so unvorsichtig sein würde.

»Es tut mir leid, das war kein guter Vergleich.«

Rem runzelt die Stirn und fragt sich, ob er einen zweiten Versuch startet.

»Ein mickriger Diamant ist gar nichts neben Rem. Ich hätte mir etwas Besseres ausdenken sollen. Rem ist viel schöner als ein Diamant und sie ist nicht kalt und hart.« Er lacht leise. »Jedenfalls nicht zu mir, zu anderen schon. Das mag ich am liebsten.«

»W-Was?!«

»Außerdem ist sie intelligent, verflucht sexy, ehrlich, loyal und kein bisschen käuflich. Ich musste sie praktisch zwingen, diese teuren Kleider anzunehmen, aber ablehnen konnte sie sie auch nicht, weil ich sie ihr geschenkt habe. Siehst du, wie niedlich sie ist?«

Hitze steigt in Rems Wangen und es gelingt ihr nicht, eine beherrschte Miene aufzusetzen. Es war ihre Idee, Sasaki wütend zu machen, aber wieso fühlt es sich so an, als würde Inouye Spaß haben?

»Wovon redest du da, Kohei?!«, fragt Sasaki mit aufgebrachter, schriller Stimme.

»Ich gebe mit meiner perfekten Freundin an.«

In der Hoffnung ihr Gesicht abzukühlen, legt Rem ihre Hand auf ihre Wangen, allerdings sind ihre Hände ebenfalls warm. Sie weiß, dass Inouye gleich die Tür öffnen wird und sie will gefasst und ruhig wirken, wenn er es tut.

»Außerdem muss ich ausgleichen, was ich vorhin getan habe, um dich zum Reden zu bringen. Auch wenn es nur gespielt war. Niemand hört seinem Freund gerne dabei zu, wie er mit einer anderen flirtet.« Inouyes Schritte ertönen und Rem holt einmal tief Luft, bevor sie ihre Hände senkt und den Rücken durchdrückt.

Die Tür öffnet sich und Inouye steht dort, ein Lächeln auf dem Gesicht. »Du vergibst mir doch, oder? Ich hab die ganze Zeit über an dich gedacht.«

Sie versteht nicht, weshalb er so glücklich ist, aber um sich nicht anmerken zu lassen, dass auch sie nicht ganz bei der Sache ist, schaut sie zu Inouyes Bruder, der sich, seit Sasaki mit Sprechen begonnen hat, nicht mehr gerührt hat.

»Und was ist mit dir, Bruder?«, fragt Inouye, der offenbar Rems Blick gefolgt ist. Aber auch nachdem er angesprochen wurde, regt Inouyes Bruder sich nicht. Seine Miene ist steinern und verschlossen und Rem beißt sich auf die Lippe. Möglicherweise wird es doch schwerer, ihn zu überzeugen, als sie gedacht hat.

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