Kitsune

XXXV.

Wie es einem den Kopf verdreht

Rem verlässt das Dach mit zittrigen Knien und klopfendem Herzen. Sie wäre stehen geblieben, um sich zu sammeln, bevor sie die Treppen hinabsteigt, aber sie fürchtet, dass Inouye ihr folgen könnte und sie will ihm nicht sofort erklären, was sie gerade gesagt hat.

Sie hat nicht geplant, ihm ein Geständnis zu machen. Alles, was sie wollte, war, ihn zu fragen, ob er Zeit hätte, sich mit ihr zu treffen. Seit sie wieder im Büro ist, plant sie, ihn das zu fragen, um ihr Versprechen einzuhalten und ihm ihre Antwort zu geben. Und heute, wo sie den Mut gefunden hat, ist sie ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Mehr als nur ein bisschen. Sie hat ihm gesagt, dass sie schon vor ihrer Affäre in ihn verliebt war. Etwas, das sie nie vorhatte, ihm zu sagen. Sie will sich gar nicht vorstellen, wie er jetzt über sie und ihre Affäre denkt.

Inouye folgt ihr nicht. Jedenfalls nicht sofort und es dauert fast eine halbe Stunde, bis er ins Büro zurückkehrt.

Rem gibt sich die größte Mühe, so zu tun, als wäre sie in ihre Arbeit vertieft, aber sie kann deutlich spüren, wie Inouye sie beobachtet, was es ihr nicht leicht macht. Genau aus diesem Grund gefällt es ihr nicht, Persönliches während der Arbeit zu besprechen.

»Hast du Mr. Inouye etwas getan oder wieso starrt er dich so an, seit du wieder hier bist?«, sagt Mori schließlich und Rem zuckt zusammen. »Ich weiß nicht…«, erwidert sie etwas kleinlaut und wirft Inouye einen Blick zu.

Er schaut in ihre Richtung.

Da Mori es eben erwähnt hat, hätte Rem es sich denken können, und da sie es bisher vermieden hat, in seine Richtung zu sehen, treffen sich ihre Blicke zum ersten Mal. Und Rem ist nicht die einzige, die davon überrascht ist.

Inouye lässt die Hand sinken, auf der er das Kinn aufgestützt hat. Und stößt dabei einen recht dicken Stapel Papier von seinem Schreibtisch. Er greift noch danach, aber anstatt die Blätter aufzufangen, verteilt er sie in alle Richtungen.

Einen Moment lang starrt er erschrocken auf das Chaos zu seinen Füßen, ehe er Rem einen Blick zuwirft. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sagt ihr, dass er hofft, dass sie sein Missgeschick nicht beobachtet hat, und wie beschämt er ist, als er sieht, dass sie es hat

Rem kichert. Inouye ist für gewöhnlich selbstsicher und nicht leicht aus der Ruhe zu bringen und ihn so unbeholfen zu sehen ist neu. Er wird es ihr wahrscheinlich übelnehmen, von ihr ausgelacht zu werden und sie erwartet schon halb, dass er zu ihr herübergestampft kommt, aber das tut er nicht. Anstatt sie verärgert anzusehen, weiten sich seine Augen und seine Wangen färben sich rosa.

Rem blinzelt überrascht. Inouye errötet?

Inouye wendet hastig den Blick ab und fixiert seinen Bildschirm, als forderte er plötzlich all seine Aufmerksamkeit, aber Rem starrt ihn weiter an. Bis zu diesem Moment hat sie bereut, dass sie es mit ihren Worten sich und sicherlich auch ihm schwer gemacht hat, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber das war, bevor sie wusste, wie Inouye darauf reagiert.

»Seit wann ist Mr. Inouye so scheu? Im Ernst, Rem, was hast du mit ihm gemacht?«, gluckst Mori, aber Rem hört sie kaum. Wärme steigt in ihr auf und nun bereut sie es, dass sie noch ein paar Stunden arbeiten müssen. Sie beißt sich fest auf die Lippe, um sich dazu zu bewegen, ihren Blick von Inouye zu nehmen.

Und dann, wie um sie daran zu erinnern, wo sie ist, klingelt ihr Telefon. Rems Hand nimmt praktisch von allein ab, und sie hält sich den Hörer ans Ohr, nach wie vor mit dem Blick auf Inouye. Das heißt, bis sie die Stimme aus dem Telefon hört.

»Ms. Aozora, wie schön, dass ich Sie endlich erreiche.«

Rem blinzelt überrascht. »Mr. Blake? Wieso rufen Sie über diese Verbindung an?« Nicht nur hat er als ihr Kunde die Nummer ihres Arbeitshandys, er hat sogar ihre private Nummer.

»Ich habe gehört, dass Sie in einen Unfall verwickelt waren und wollte Ihnen keinen unnötigen Druck machen. Ich habe gut mit Ihren Kolleginnen zusammengearbeitet.«

»Aber es klingt, als wollten Sie mich persönlich sprechen.«

»Das stimmt, das wollte ich. Ich schätze Sie sehr als Kollegin und daher wollte ich mich persönlich von Ihnen verabschieden.«

»Verabschieden?«, wiederholt Rem verwirrt. Sie hat alles aufgearbeitet, was während ihrer Abwesenheit passiert ist, aber an dem Vertrag mit Syrene gab es keine Veränderungen. »Plant Syrene unsere Zusammenarbeit zu beenden?«

»Nein, nichts dergleichen. Aber mir wurde eine Stelle in London angeboten, das heißt, Sie werden bald mit meinem Nachfolger zusammenarbeiten.«

Rem braucht einen Moment, um darauf zu antworten. »Sie gehen zurück nach London?«

»Das werde ich.«

Sie atmet aus und lächelt. »Dann hat sich ihre harte Arbeit ausgezahlt. Das freut mich für Sie.«

»Habe ich Ihnen gesagt, dass ich mich in London beworben habe?«, fragt Mr. Blake und er klingt überrascht.

»Das war nicht nötig. Mir ist aufgefallen, dass Ihnen Japan nicht sehr gefällt.«

»Wirklich?«, fragt Mr. Blake, aber er klingt abwesend, als würde er über etwas nachdenken. »Nun, ich gebe zu, am Anfang war das der Fall, aber ich habe mich besser eingewöhnt als ich dachte. Und das habe ich auch Ihnen zu verdanken.«

»Es freut mich, das zu hören. Ich habe die Zusammenarbeit mit Ihnen auch genossen.«

Ein raues Lachen ertönt aus dem Hörer. »Selbst nachdem, wie ich Sie zu Anfang behandelt habe?«

»Ich bin nicht nachtragend.«

»Nein, Sie sind eine außergewöhnliche Frau. Falls Sie in Zukunft London besuchen, rufen Sie mich an, dann lade ich Sie zum Essen ein.«

Rem blinzelt und überlegt einen Moment, wie sie seine Worte interpretieren soll, aber dann lächelt sie. »Das ist sehr freundlich. Ich werde es mir merken.«

Mr. Blake lacht daraufhin, als wäre ihre Antwort amüsant. »Wie dem auch sei, ich denke, es wäre eine gute Idee, einen letzten Termin zu vereinbaren, um ein paar Dinge zu besprechen. Im Besonderen das Projekt, bei dem sie als Model mitgewirkt haben.«

Rem runzelt die Stirn. »Beeinträchtigt der Wechsel es denn?«, fragt sie, während ihr durch den Kopf geht, dass Mr. Blake eine sehr eigne Entscheidung getroffen hat, als er sie als Model angeheuert hat.

»Nein, das nicht, aber ich ziehe in Erwägung, die Kampagne auch in London laufen zu lassen und dazu benötige ich als allererstes Ihre Zustimmung.«

»Oh«, macht Rem, die nicht weiß, wie sie sich bei dem Gedanken fühlen soll, dass ihr Gesicht in London hängen soll. »Ich verstehe. Einen Moment bitte.« Rem lehnt sich zu ihrem Bildschirm vor und öffnet ihren Terminkalender. Und so schafft sie es, sich doch noch auf die Arbeit zu konzentrieren.


 

»Haah, das wars!« Mori lässt ein tiefes Seufzen hören, nachdem sie ihre letzte Mail für den Tag beantwortet hat. »Ein Drink ist jetzt genau das, was ich brauche!« Sie streckt sich und sieht dann zu Rem. »Kommst du mit ins Restaurant?«

Rem öffnet den Mund, um zu sagen, dass sie schon andere Pläne hat, aber bevor sie ein Ton sagen kann, ertönt eine Stimme hinter ihr.

»Nein, tut sie nicht.«

Rem dreht den Kopf und sieht zu Inouye auf, der plötzlich dort steht und mit glühenden Augen auf sie herabsieht. Normalerweise hätte sie etwas dazu zu sagen, dass er für sie antwortet, aber sein Blick ist so intensiv, dass sie gar nicht daran denkt. Stattdessen erinnert sie sich wieder an den Nachmittag und eine Welle von Nervosität überkommt sie. Vielleicht ist es nur ihre Einbildung, aber Inouye sieht verärgert aus. Hat sie etwas getan, um ihn zu verärgern? Er würde nicht wütend sein, wegen dem, was sie auf dem Dach zu ihm gesagt hat, oder?

»Ich fahr dich nach Hause«, sagt er und Rem bringt nur ein Nicken zustande, während sie von neuem bereut, auf dem Dach mit einem Geständnis herausgeplatzt zu sein.

Sie folgt Inouye still aus dem Büro und ins Parkhaus. Auch er sagt kein Wort und Rem rutscht unruhig auf dem Beifahrersitz herum, während er den Motor startet. Aber es scheint nicht der richtige Moment zu sein, um etwas zu sagen.

Es ist die längste Fahrt nach Hause, die Rem je erlebt hat und als Inouyes Auto in der Straße vor ihrem Apartment hält, hat noch immer keiner von ihnen ein Wort gesagt.

Rem sieht aus dem Fenster zu ihrer Haustür. »Ähm«, macht sie schließlich. »Möchtest du mit hochkommen?«

Inouye schnaubt. »Dachtest du, ich fahr dich her und geh wieder?«

Rem sieht ihn an. Dann schüttelt sie den Kopf. »Es ist mein Glück, dass du so kooperativ bist«, erwidert sie mit einem schwachen Grinsen.

Inouyes Augen weiten sich, aber bevor er etwas erwidern kann, wendet sie sich ab und steigt aus.

Trotz ihrer zuversichtlichen Worte, fürchtet Rem, dass es in ihrer Wohnung genauso unangenehm still sein wird, wie im Auto, aber zu ihrer Erleichterung sieht Inouye sich neugierig in ihrer Wohnung um. »Es sieht sehr anders aus, als das letzte Mal«, sagt er, aber sie kann nicht heraushören, ob es als Kompliment gemeint ist.

»Ja, meine Mutter hat sich ausgetobt.«

Inouye dreht sich zu ihr um. »Dekorierst du nicht gerne? Deine alte Wohnung war schon so kahl.«

Rem zuckt mit den Schultern. »Solange alles funktioniert. Ich bin sowieso meistens im Büro, da muss ich kein Geld für teure Dekorationen ausgeben, die ich kaum sehe.«

Inouye runzelt die Stirn. »Verdienst du nicht genug?«

»Doch schon, aber…« Rem stoppt. Im letzten Jahr sind ihre Ausgaben deutlich gesunken, aber alte Angewohnheiten lassen sich schwer abschütteln. Sie rollt mit den Augen, denn Kosuke ist ein Thema, dass sie unter allen Umständen vermeiden will. »Sollen wir etwas zu essen bestellen? Du hast doch auch noch nicht gegessen, oder?«

Inouye schnaubt. »Ja. Lass uns etwas bestellen.«

Rems Augen schmälern sich misstrauisch bei seinem amüsierten Tonfall, aber dann dreht sie sich um, um in die Küche zu gehen.

Nachdem sie die Bestellung aufgegeben hat, macht sie Tee, hauptsächlich, um etwas zu tun zu haben, und bringt ihn dann zu Inouye, der sich an den Tisch gesetzt hat.

»Du bist also seit über einem Jahr verliebt in mich.«

Rem, die gerade einen Schluck Tee getrunken hat, hustet. Sie ist sich sicher, dass Inouye absichtlich bis jetzt abgewartet hat, um das Thema anzusprechen, aber immerhin hält sie das Husten davon ab, eine unüberlegte Antwort zu geben.

Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie Inouye schelmisch grinst und sie wirft ihm einen verärgerten Blick zu. »Was genau willst du sagen?«, fragt sie mit etwas rauer Stimme, als sie nicht mehr husten muss.

»Nur, dass ich sehr überrascht bin. Ich hatte keine Ahnung.«

»Wirklich?«, murmelt Rem und senkt ihren Blick auf ihre Tasse. »Du hast doch gesagt, ich könnte nie mit jemandem schlafen, ohne Gefühle für ihn zu haben.«

»Das hab ich gesagt?« Inouye klingt überrascht und Rem hebt den Blick wieder. Als sie sieht, dass er sie genauso überrascht ansieht, wie er klingt, legt sie die Stirn in Falten. »Das war an dem Tag, als wir zum ersten Mal miteinander geschlafen haben. Du hast gesagt, es wäre nicht mein Ding und es würde nicht zu meinem Charakter passen, weil ich alles zu ernst nehme.« Ihr Blick huscht wieder umher, als sie kleinlaut hinzufügt: »Du hattest recht.«

Inouye starrt sie an. Das weiß sie, ohne ihn ansehen zu müssen, und das Wissen darum macht sie nervös. »Ich habe damals noch viel über Kosuke nachgedacht und am Anfang dachte ich wirklich, ich könnte einfach eine Affäre ohne Gefühle haben. Und später konnte ich es schlecht sagen. Es hätte alles ruiniert, also durftest du es nicht wissen«, plappert sie unter dem Druck seines Blicks, während ihr stetig Hitze in die Wangen steigt.

»Und wann wolltest du es mir sagen?«

»Überhaupt nicht.« Sie sieht ihn weiterhin nicht an, aber sie hört, wie er mit den Fingern auf die Tischplatte klopft.

»Selbst, nachdem wir es beendet haben?«

Sie nickt.

Inouye ist einen Moment still. Dann spricht er mit leiserer, zögerlicher Stimme. »War ich dir das nicht wert?«

Rem hebt abrupt den Kopf. »Was?«

Inouye hat ein schwaches Grinsen auf den Lippen, aber es erreicht seine Augen nicht und diesmal ist er es, der ihrem Blick ausweicht. »Es klingt, als wärst du lieber nicht in mich verliebt.«

Rem starrt ihn an. Es war nicht ihre Absicht es so klingen zu lassen und es ist ihr nicht einmal eingefallen, dass Inouye es so interpretieren könnte. Sie schüttelt langsam den Kopf. »Ich dachte nur, dass du es nicht wollen würdest und es dich nur stressen würde, so wie mit Ms. Kondo…«, murmelt sie dann.

»Und jetzt?«

»Ich weiß nicht«, sagt Rem, während sie Inouye mustert. Er scheint enttäuscht zu sein, so als hätte sie nicht das gesagt, was er hören wollte. »Das kommt darauf an, was du willst.«

Inouyes Miene verdüstert sich noch weiter. »Wieso tust du so, als wüsstest du das nicht?«

»Weil ich es nicht weiß. Du hast mir nie gesagt, was du von mir willst.«

Er lehnt sich etwas zu ihr über den Tisch hinüber. »Ich habe es vielleicht nicht wörtlich gesagt, aber ich habe viel mehr in unsere Affäre investiert als du!«

»Das heißt doch nur, dass du mit mir schlafen willst«, erwidert Rem und verschränkt die Arme vor der Brust. »Und wenn das alles ist, was du von mir willst, dann wollen wir zwei verschiedene Dinge, die nicht miteinander vereinbar sind.«

»Hey!« Inouye funkelt sie über den Tisch hinweg an. »Ich schwöre, du bist die einzige Person, die jemandem ein Geständnis machen und ihn gleichzeitig abweisen kann, du verfluchte Kitsune!«

Rem erwidert seinen Blick gelassen. »Wenn du das als Abweisung interpretierst, heißt das, dass du tatsächlich nur mit mir schlafen willst?«

»Nein!«

»Gut, dann kannst du jetzt aufhören, ein Feigling zu sein, und mir sagen, was du willst.«

Inouye öffnet empört den Mund. Dann gibt er einen frustrierten Laut von sich und lehnt sich zurück. »Ich bin kein Feigling, aber Beziehungen sind nicht mein Spezialgebiet.«

»Aber meins?«, fragt Rem belustigt von seinem Verhalten.

Inouye verschränkt die Arme vor der Brust und sieht demonstrativ woanders hin. »Du hattest immerhin schon eine.«

Rem blinzelt. Sie braucht einen Moment, ehe sie versteht, was er meint. »Du hattest noch nie eine Beziehung?«, hakt sie dann nach, um sicher zu sein.

Inouye zuckt nur mit den Schultern. Er will offenbar nicht darüber reden, woraus Rem folgert, dass es etwas mit Sasaki zu tun hat. Sie war seine Jugendliebe und gemessen an seinem Verhalten ihr gegenüber, ist er noch nicht lange darüber hinweg.

»Du bist also eine Beziehungsjungfrau«, stellt sie fest und Inouye zuckt zusammen. Er macht ein verärgertes Gesicht, aber da er außerdem errötet, ist es nicht sehr einschüchternd.

Rem kichert. »Möchtest du morgen mit mir ausgehen?«

Inouye, der schon zu einer empörten Antwort angesetzt hat, hält inne und seine Züge glätten sich etwas. »Du fragst mich nach einem Jahr also endlich nach einem Date? Wer von uns ist der Feigling?«

Rems Lächeln verblasst etwas. »Das hatte wirklich nichts mit dir zu tun. Ich habe einfach Zeit gebraucht. Sogar jetzt bin ich mir nicht sicher, ob…« Sie bricht ab und beißt sich auf die Lippe. Sie hat Kosuke schon einmal angesprochen, obwohl sie es vermeiden wollte.

»Ob was«, hakt Inouye nach.

Rem seufzt tief und wünschte, sie hätte nicht damit angefangen. »Ich will nicht, dass du unter den schlechten Erfahrungen leidest, die ich mit Kosuke gemacht habe.«

Inouye legt die Stirn in Falten, offenbar auch unglücklich über die Erwähnung von Kosuke. »Du meinst, weil er dich betrogen hat?«

Rem nickt. »Kosuke sieht zwar ziemlich gut aus, aber er ist ein Introvert, der nicht viel unter Leute geht. Aber er hat sich mit jemandem getroffen, während ich gearbeitet habe und ich will nicht, dass ich an dir zweifle, sobald ich dich nicht sehe oder du dich mit einer Kundin triffst.«

»Dein Ex sieht gut aus?«, fragt Inouye, als wäre das das einzige, das er gehört hat. »Hast du was an den Augen? Das frage ich mich übrigens schon seit einer Weile. Der Kerl ist eine Niete in jeder Hinsicht.«

Rem antwortet nicht sofort. Sie würde Inouye widersprechen, aber abgesehen davon, dass das nichts bringen würde, kann sie nicht abstreiten, dass Kosuke neben Inouye nicht viel hermacht.

Während sie das denkt, mustert sie Inouye, der selbst nach einem langen Arbeitstag und mit zerzausten Haaren so aussieht, als würde er Werbung für den beigen Anzug machen, den er trägt. Sie fragt sich, wieso ihr das früher nie aufgefallen ist. Auch Rem macht neben Inouye nichts her und auch wenn sie normalerweise nicht zu viel Wert auf Erscheinung legt, kann sie nicht verhindern, deswegen verunsichert zu sein.

»Du hast mal gesagt, dass es dir manchmal unangenehm ist, wenn dich fremde Frauen berühren. Passiert das oft?«, fragt Rem impulsiv, als ihr plötzlich in den Sinn kommt, dass diese Dinge ständig passieren müssen.

»Wieso? Bist du eifersüchtig?«, fragt Inouye, nun wieder mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

Rem senkt den Blick. Sie könnte sagen, dass sie nicht will, dass er belästigt wird und dass es ihr um ihn geht, und das wäre nicht gelogen. Aber er trifft viele reiche und erfolgreiche Frauen aus prominenten Familien und von denen werden einige ihr Glück versuchen. Und als seine Kollegin weiß Rem, wie charmant Inouye sein kann, wenn er mit Kunden zu tun hat. Was, wenn sie nicht mehr professionell bleiben kann?

»Ein bisschen vielleicht?«, sagt Rem mit unsicherer Stimme. Sie will ihn nicht anlügen, aber sie will auch nicht, dass er denkt, sie hätte kein Vertrauen in ihn. Als sie Inouye jedoch einen Blick zuwirft, um seine Reaktion zu sehen, grinst er vergnügt.

»Wieso machst du so ein besorgtes Gesicht?«, fragt er.

»Ich mache mir nur Sorgen, dass ich dich einengen könnte.«

Er runzelt die Stirn. »Weil du eifersüchtig bist?«

Sie nickt.

»Darum musst du dir keine Sorgen machen«, erwidert er, nach wie vor eigenartig gut gelaunt.

»Wieso?«, fragt Rem, etwas verwirrt.

Er zuckt mit den Schultern. »Weil du bestimmt nicht so eifersüchtig sein kannst wie ich.«

Rem macht ein verdutztes Gesicht. Dann legt sie die Stirn in Falten. »Wieso sagst du das, als wäre das etwas, worauf man stolz sein kann?«

»Tue ich nicht, aber wenn du eifersüchtig bist, kannst du es mir nicht vorwerfen, wenn ich es auch bin.«

Sie denkt einen Moment darüber nach. Objektiv betrachtet wird er sehr viel weniger Gelegenheiten haben, eifersüchtig zu sein als sie, allerdings erinnert sie sich gut an sein Verhalten Mr. Blake gegenüber. »Dann sollten wir darüber reden«, sagt sie und hebt unterstreichend einen Finger. »Ich glaube, das ist das Beste, das man bei Eifersucht tun kann.«

Inouye sagt nichts und Rem kommt in den Sinn, dass sie belehrend klingt. Sie will offen sein und nicht denselben Fehler machen wie mit Kosuke, den sie hatte glauben lassen, sie hätte eine Affäre. Aber Inouye und sie haben gerade erst beschlossen, miteinander auszugehen. »Ähm, was Ms. Sasaki angeht, bis du sicher, dass dir die Situation nichts ausmacht?«, fragt sie schließlich, in der Hoffnung, die merkwürdige Atmosphäre löst sich.

»Natürlich macht es mir etwas aus!« Inouyes Miene ist nun deutlich düsterer. »Ich hasse den Gedanken, dass sie sich hinter ihrem Vater und meinem Bruder verstecken kann und ich nicht mehr an sie herankomme.«

»Das meinte ich nicht!«, sagt Rem hastig und bereut, nicht vorsichtiger gewesen zu sein. Sie weiß, dass er sich Vorwürfe macht und sie will ihn darin nicht bestärken. »Ich weiß, dass sie dir viel bedeutet hat und da du so wütend bist, dachte ich, du fühlst dich vielleicht verraten.«

Inouye blinzelt. Der düstere Ausdruck verschwindet von seinem Gesicht und wird durch Verwirrung ersetzt, während er Rem ansieht, als hätte er keine Ahnung, wovon sie spricht. »Nein«, sagt er dann knapp. »Weißt du, dass du dir mehr Gedanken darüber machst, wie ich mich fühle als ich? Ich wusste immer, dass Marika selbstsüchtig ist und unsere Beziehung war mehr wie die zwischen einem Hund und seiner Besitzerin. Es gibt nichts, das es wert wäre, sich deswegen betrogen zu fühlen.«

Rem starrt ihn an. Er sagt es, als würde er das tatsächlich meinen. Aber wenn das die Art ist, wie er von Sasaki behandelt wurde, macht es das noch schlimmer. Er muss eine unglaubliche Wut gegen sie verspüren, auch wenn er es nicht zeigt.

Inouye schnaubt. »Wieso siehst du mich so an? Hast du Mitleid mit mir?«

Rem öffnet den Mund, hält dann aber inne. Mitleid ist nicht das Gefühl, das gerade in ihrem Innern wächst. »Ich hätte ihr die Nase brechen sollen.«

Inouye macht ein verdutztes Gesicht. »Wie bitte?«

Rem deutet auf ihre Nase. »Dann hätte sie jetzt eine schiefe Nase und sie gibt doch so viel auf ihre Schönheit.« Auch wenn es ihre Schönheit wohl nicht so sehr beeinträchtigt hätte, dass sie keine Männer mehr damit bezirzen könnte.

Inouye starrt sie weiter an. Dann prustet er. »Ja, das hättest du tun sollen.«

Rem, froh darüber, ihn zum Lachen gebracht zu haben, lächelt.

»Aber haben wir nicht eigentlich über Eifersucht gesprochen?«, fragt Inouye dann, immer noch mit einem fröhlichen Grinsen auf dem Gesicht, auch wenn Rem nicht das Gefühl hat, dass ihre Worte über Sasakis Nase sein Ursprung sind. »Heißt das, du warst eifersüchtig auf Marika?«

Rem versteift sich. »Nein, ich dachte nur…« Sie bricht unter Inouyes neugierigem Blick ab. Noch vor ein paar Minuten hat sie ihm erklärt, wie wichtig es ist, offen zu sein. Aber trotzdem erfordert es einige Überwindung, seiner Frage nicht auszuweichen. »Ich wollte nur wissen, was zwischen euch war. Sie hat ständig an dir geklebt, wenn sie im Büro war und du warst so nett zu ihr…« Sie wirft Inouye einen Blick zu, der sie angrinst, wie ein Honigkuchenpferd und Rem steigt Röte ins Gesicht. »Ich meine, es war offensichtlich, dass sie etwas von dir wollte!«, fügt sie etwas energischer hinzu.

»Dann weißt du ja, wie es mir mit Mr. Blake ging«, gibt er zurück und er scheint tatsächlich zufrieden zu sein.

Rem will zuerst widersprechen, aber dann schüttelt sie mit einem Lachen den Kopf. »Das ist so bescheuert.« Sie sind beide erwachsen und man würde nicht glauben, dass sie über Eifersucht reden wie Kinder in der Schule. »Oh, aber über Mr. Blake musst du dir keine Sorgen mehr machen. Er geht zurück nach London«, sagt Rem, in der Erwartung, Inouye damit aufzuheitern.

Tatsächlich nimmt er die Eröffnung jedoch sehr nüchtern auf. Er scheint nicht einmal sehr überrascht. »Wenn ich sage, dass mich das freut, stört dich das wahrscheinlich.«

Rem runzelt die Stirn und ihr geht durch den Kopf, dass er zuvor in der Vergangenheit gesprochen hat, als hätte er bereits gewusst, dass Mr. Blake gehen würde. »Nein. Wir haben gut miteinander gearbeitet und es wird eine Umstellung, aber ich werde mich auch mit seinem Nachfolger arrangieren.« Es muss daran liegen, dass Inouye verbergen will, dass er sich über Mr. Blakes Abreise freut.

Inouye nickt, kommt aber nicht dazu zu antworten, da es an der Tür klingelt, als der Bote mit ihrem Essen da ist.

Sie essen gemeinsam, wobei Rem darauf achtet, weder Sasaki noch Inouyes Bruder oder etwas anderes im Zusammenhang mit dem Vorfall auf der Baustelle anzusprechen. Und so reden sie über die Arbeit, bis sie schließlich auf die Weihnachtsfeier von Inouye Incorporation kommen, auf der sie die improvisierte Kampagne präsentieren werden, die den Betrugsversuch von Furusawa verschleiern soll. Es gibt noch einiges dafür vorzubereiten, zumal Rem, die daran beteiligt sein muss, wenig Zeit dafür hatte.

»Ich würde es verstehen, wenn dir das zu viel ist«, sagt Inouye und es ist nicht das erste Mal, dass er andeutet, dass Rem die Veranstaltung völlig ihm überlassen soll und nicht einmal auf der Weihnachtsfeier auftauchen muss.

»Gibt es einen Grund, aus dem du mich nicht dabei haben willst?«

Inouye schüttelt den Kopf. »So meine ich das nicht.«

Rem schiebt ihren Teller beiseite, der mittlerweile sowieso leer ist, und stützt die Arme auf dem Tisch auf. »Dann sag mir, worum es hier eigentlich geht.«

Inouye seufzt und rollt mit den Augen. »Würde es dir schaden, einmal nicht scharfsinnig zu sein?«, murmelt er leicht mürrisch.

»Würde es dir schaden, ehrlich zu sein?«, fragt Rem im Gegenzug und Inouye seufzt ein weiteres Mal. »Marika wird auch auf der Weihnachtsfeier sein.«

Rem runzelt die Stirn. »Wieso sollte Ms. Sasaki auf eine Feier der Inouye Incorporation gehen?«, fragt sie mit gefasster Stimme, auch wenn sie sich bei Inouyes Worten unwillkürlich versteift.

»Um zu beweisen, dass an den Gerüchten, dass es ein Zerwürfnis zwischen unseren Familien gab, nichts dran ist.«

»Ist sie denn eingeladen?«, fragt Rem, die nicht den Eindruck hatte, dass Mr. Inouye sie auf seiner Party haben wollen würde.

Inouye zischt leise. »Mein Großvater vertritt die Ansicht, dass man seinen Feind lieber aus der Nähe beobachtet. Außerdem löst er Konflikte nicht gerne öffentlich.«

»Ich verstehe«, murmelt Rem, die nicht weiß, was sie sonst dazu sagen soll. Tatsächlich ist sie nicht scharf darauf, Sasaki wiederzusehen, aber sie will auch nicht, dass ihre Arbeit durch sie beeinträchtigt wird.

So bricht das Thema ab und hinterlässt eine unangenehme Stille, die schließlich von Inouyes Handy unterbrochen wird. Rem ist erleichtert, als er sich entschuldigt und den Anruf annimmt und sie nutzt den Moment, um den Tisch abzuräumen. Dann, bevor sie den Abwasch macht, zieht sie sich um, da sie noch immer ihre Kleider von der Arbeit trägt, und als sie beim Abtrocknen ist, kommt Inouye in die Küche.

Er wirft dem Geschirr einen Blick zu und scheint zu überlegen, ob er ihr helfen soll, aber da sie beinah fertig ist, ist das kaum nötig. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagt er, obwohl er sich schon zuvor für den Anruf entschuldigt hat.

Rem schüttelt den Kopf. »Das macht doch nichts. Es war bestimmt wichtig.«

»Nicht wirklich, aber es war…« Inouye atmet aus und überlegt es sich anders. Er schenkt ihr ein schwaches Lächeln. »Ich denke, ich sollte jetzt gehen.«

Rem hält inne und sieht ihn überrascht an. »Oh«, macht sie dann, während Enttäuschung in ihr aufsteigt. Sie fragt sich kurz, ob der Anruf doch nicht so unwichtig war und er nur nicht darüber reden will oder ob er nie vorgehabt hat, bei ihr zu bleiben, aber sie schüttelt den Gedanken ab. Es spielt keine Rolle und es war eine lange Woche und ein anstrengender Tag.

Sie stellt das Glas in den Schrank, das sie gerade abgetrocknet hat, und legt das Geschirrtuch aus der Hand. Dann schenkt sie Inouye ein Lächeln. »Natürlich.«

Inouye nickt.

Rem begleitet ihn zur Tür und beobachtet dann, wie er seine Schuhe und seinen Mantel anzieht. Währenddessen versucht sie, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was sie von diesem Abend erwartet hat. Es ist einiges passiert und es wäre eigenartig, wenn er die Nacht hier verbringen würde. Schließlich planen sie nicht, ihre Affäre fortzusetzen.

»Also, das mit morgen steht?«, fragt Rem, als ihr auffällt, dass er ihr keine eindeutige Antwort gegeben hat.

Inouye, der gerade den Kragen seines Mantels richtet, sieht sie an. »Du denkst doch nicht, dass ich mir unser erstes Date entgehen lasse«, sagt er mit einem schwachen Grinsen.

»Ich wollte nur sichergehen«, erwidert sie und verschränkt die Arme vor der Brust. Der Gedanke, mit Inouye auszugehen fühlt sich noch immer so unwirklich an und sie kann es sich kaum vorstellen. Und sie fragt sich, ob und wie sich ihre Vorstellungen von einem Date überlappen. Er ist bestimmt besseres gewohnt als sie.

»Dann rufe ich dich an«, sagt sie, nachdem sie entschieden hat, ihr Date und alles, was dazu gehört, auf morgen zu verschieben.

»Okay.« Inouye steht nun völlig angezogen vor ihr und Rem fällt auf, dass er immer noch größer als sie ist, obwohl er im Genkan* steht. Sie lächelt. »Dann bis morgen.«

Inouye sagt nichts. Seine Hände stecken in den Taschen seines Mantels und er sieht sie nachdenklich an. »Rem«, sagt er dann und Rem, die nicht erfolgreich dabei war, ihre Neugier über den Anruf und seinen plötzlichen Entschluss zu gehen, zu verdrängen, sieht ihn erwartungsvoll an.

Ein amüsiertes Schnauben ertönt von Inouye und ein Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. Dann lehnt er sich vor und drückt seine Lippen auf Rems.

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* Genkan: Eingangsbereich, in dem die Schuhe ausgezogen werden und der durch eine Stufe vom Wohnbereich getrennt ist.

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