Kohei knirscht mit den Zähnen, als sein Handy ein weiteres Mal klingelt. Er muss nicht nachsehen, um zu wissen, dass es Rem ist, aber er ist nicht in der Verfassung, um mit ihr zu sprechen. Er hält den Blick auf die Straße gerichtet, während seine Hände das Lenkrad so fest umklammern, dass seine Knöchel weiß hervortreten.
Er hat es übersehen! Jemand hat versucht, Rem zu ermorden und er hat es übersehen! Vielleicht waren es Saburos Worte, nachdem Kohei seine Anwesenheit im Krankenhaus infrage gestellt hat, die ihm das Gefühl gegeben haben, zu viel in den Vorfall hineinzuinterpretieren. Oder es war Rems Sturheit, sich kaum Zeit zum Erholen zu nehmen, die in abgelenkt hat. Aber egal, was es war, er hat es übersehen!
Abgesehen davon, dass er im Moment zu aufgebracht ist, um mit Rem zu reden, gibt es Dringenderes, um das er sich kümmern muss. Bevor sein idiotischer Bruder alles ruiniert.
Als Kohei die Sasaki Villa erreicht, sagt man ihm, dass Marika und Saburo ebenfalls gerade erst angekommen sind. Aber Koheis Hoffnung, dass Saburo mit Mr. Sasaki spricht und Marika allein gelassen hat, verpufft als man ihn zu Marikas Räumen führt und er beide dort vorfindet.
»Kohei!« Marika kommt ihm sofort entgegen, einen erleichterten Ausdruck auf dem Gesicht, während sein Bruder mit steinerner Miene am Fenster steht. »Hast du mit deinem Großvater geredet? Will er mich wirklich anzeigen?«
Kohei sieht auf Marika hinab, die seine Hand gepackt hat und flehend zu ihm aufsieht. Es ist abartig. Und Kohei braucht all seine Selbstbeherrschung, um nicht seine Hand aus ihrem Griff zu reißen. Er weiß, dass er lächeln und mit sanfter Stimme sprechen muss, aber das Einzige, woran er denken kann, ist seine Abscheu. Die Tatsache, dass Marika ihn ansieht, als hätte ihr jemand unrecht getan, nachdem, was sie getan hat. Rem, die verletzt in einem Krankenhausbett liegt. Ihre Worte darüber, dass sie Glück hatte. Der Gedanke, dass er sie um ein Haar verloren hätte. Dass sie plötzlich aus seinem Leben hätte verschwinden können, von einer Sekunde auf die andere. All das erfüllt ihn mit solch einem hilflosen Zorn, dass es ihm die Kehle zuschnürt.
»Marika!« Saburos laute Stimme unterbricht die Stille, die eine gefühlte Ewigkeit angedauert hat. »Er ist nicht hier, um dir zu helfen.« Saburo, der plötzlich neben Marika steht, legt ihr die Hände auf die Schulter und zieht sie von Kohei weg.
Marika sieht verwirrt über ihre Schulter. »Was meinst du?«, fragt sie mit weinerlicher Stimme und Kohei beißt sich auf die Lippe, um ein Schnauben zu unterdrücken.
»Wieso sollte er sonst hier sein?« Marika sieht verwirrt aus, als gäbe es für Kohei keinen anderen Grund hier zu sein, als ihr zu helfen.
»Um Großvater zu helfen, würde ich sagen. Wahrscheinlich will er dich dazu bringen, ein Geständnis abzugeben, während er das Gespräch heimlich aufnimmt.«
»Nein!«, Marika hebt die Stimme. »Wieso sagst du so etwas?! Kohei würde mich nie so hintergehen!« Sie reißt den Kopf herum und sieht Kohei an, flehend, als wolle sie hören, wie er ihr zustimmt.
Aber Kohei sagt nichts.
Marikas hoffnungsvoller Ausdruck zerfällt. »Wieso?«, haucht sie kraftlos.
Kohei knirscht mit den Zähnen. Er weiß, dass er seine Chance vertut. Er hätte Marikas einfältiges Vertrauen in ihn ausnutzen können, um genau das zu tun, was Saburo gesagt hat, aber obwohl er das weiß, weigert sich alles in ihm, Marika anzulächeln.
»Weil er in Ms. Aozora verliebt ist«, sagt Saburo schließlich mit ruhiger Stimme.
»Wie bitte?!« Marika sieht wieder über die Schulter, um Saburo entgeistert anzusehen. »So ein Unsinn! Das war nur eine Affäre! Weil ich nicht da war!«
Diesmal kommt Kohei ein abfälliges Zischen über die Lippen und Marika reißt den Kopf herum. Unglauben steht in ihren Augen, als sie Kohei anstarrt.
»Wenn er das gesagt hat, lügt er. Du weißt, wie gut mein Bruder lügen kann«, sagt Saburo in herablassendem Tonfall. »Und ich habe es im Krankenhaus gesehen. Als ich dort war, um nach Ms. Aozora zu sehen, hat er mich angegriffen, aber nicht, weil er wütend war.«
Koheis Blick bohrt sich warnend in den seines Bruders, aber der spricht gelassen weiter. »Er hatte Angst.«
»Ich bin nicht hier, um mit dir zu reden. Also warum verschwindest du nicht für eine Weile, damit ich mich mit Marika unterhalten kann?«, knurrt Kohei mit rauer Stimme.
»Damit du sie bedrohen kannst, meinst du?«, erwidert Saburo, aber Marika legt eine Hand auf seine.
»Kohei würde mich nie bedrohen«, sagt sie mit ruhiger Stimme und sieht Kohei mit solcher Zuversicht an, dass er beinah aufgelacht hätte.
Saburo, der Kohei zuvor mit kühler Entschlossenheit gemustert hat, erweicht unter ihrem Blick, wie ein Hund, der von seinem Frauchen in die Schranken gewiesen wird. »Wie du willst. Ich werde in der Zwischenzeit mit deinem Vater sprechen. Lass mich rufen, wenn etwas ist.« Er schenkt Marika ein sanftes Lächeln, bevor er Kohei ansieht und sich seine Miene verhärtet. »Und lass dich nicht von ihm dazu bringen, etwas zu sagen, dass du nicht willst.« Dann verlässt er endlich den Raum.
Kohei richtet seinen Blick auf Marika, die ihn scheu anlächelt. »Wieso setzen wir uns nicht?«, fragt sie und deutet auf die cremefarbene Couch hinter sich, bevor sie sich umdreht und darauf zu geht. Wie gewöhnlich wartet sie nicht einmal auf seine Antwort, aber er beharrt nicht darauf und folgt ihr. Allerdings setzt er sich nicht neben Marika auf die Couch, sondern auf einen der Sessel gegenüber von ihr.
Marika beobachtet das verdutzt und dann bildet sich eine Falte auf ihrer Stirn. »Kohei«, beginnt sie und Kohei geht es so langsam auf die Nerven, wie oft sie seinen Namen sagt.
»Das, was Saburo gesagt hat, ist doch nicht wahr, oder? Du bist nicht wegen Ms. Aozora hier. Du weißt, was sie mir angetan hat. Sie hat dieses Video über mich verschickt und Gerüchte verbreitet. Und sie hat jemanden bezahlt, um Daddy zu hacken. Sie hat versucht, mich fertig zu machen!« Ihre Augen glitzern hoffnungsvoll, während sie Kohei ansieht, als würde sie immer noch darauf warten, dass er ihr versichert, alles für sie zu tun. Und das könnte er. Saburo mag sie misstrauisch gemacht haben, aber mit ein bisschen Überzeugungsarbeit seinerseits könnte er sie davon überzeugen, dass er auf ihrer Seite steht, so wie er es zuvor getan hat. Aber allein der Gedanke daran, so zu tun, als wäre es ihm egal, dass Rem beinahe gestorben wäre, lässt ihm mit einem so widerlichen Gefühl in der Brust, dass ihm schlecht wird.
Er beginnt zu lachen. Er ist mit dem Gedanken hergekommen, die Situation, die sein Bruder zerstört hat, wieder in Ordnung zu bringen und dazu ist es erforderlich, dass Marika ihm glaubt. Er weiß das, selbst in diesem Moment, in dem er Marika offen auslacht. Auch wenn sie das noch nicht zu begreifen scheint. »Du bist so hohl«, sagt er und fragt sich erneut, was er je an ihr gefunden hat. »Ich war das, nicht sie!«
Marika starrt ihn an. Sie blinzelt ein paar Mal und er kann praktisch sehen, wie sie versucht zu verstehen, was er gerade gesagt hat. »Was hast du gesagt?«, haucht sie dann mit tonloser Stimme und starrt ihn so ungläubig an, als wüsste sie nicht mehr, wen sie vor sich hat.
Kohei schnaubt. »Ich habe es dir doch gesagt. Lass die Finger von ihr oder ich werde böse.«
Marika klappt der Mund auf. Es sieht dämlich aus, aber es scheint, dass sie so langsam begreift, was vor sich geht. »A-Aber…«, beginnt sie und dann verzieht sich ihre Miene vor Wut. »Wie konntest du?!«
»Ich?!«, knurrt Kohei und beugt sich vor. »Du hast Gerüchte über Rem verbreitet und versucht, alles zu zerstören, das sie sich auf der Arbeit aufgebaut hat!«
»Aber nur, um dich vor ihr zu beschützen!«
»Als ob ein selbstsüchtiges Miststück wie du, jemand anderen beschützen wollte. Es hat dir einfach nicht gefallen, dass ich nicht mehr dein treuer Hund bin, so wie mein Bruder.«
Erneut steht Schock auf Marikas Gesicht. Ihre Unterlippe bebt, als sie zu sprechen beginnt. »Da-Das ist nicht wahr! Wieso sagst du so etwas?« Tränen sammeln sich in ihren Augen. »Wieso hasst du mich?«
Kohei, ungerührt von ihren Tränen, legt den Kopf schief. »Du hast versucht, Rem zu ermorden. Natürlich hasse ich dich.«
Marika schlägt sich die Hände vor den Mund und schluchzt.
»Lass das«, sagt Kohei gelangweilt. »Ich weiß, wie hässlich du aussiehst, wenn du wirklich weinst und das ist Zeitverschwendung.«
Sie erstarrt und ihre Hände rutschen von ihrem Gesicht.
Kohei steht auf. »Du bist nicht attraktiv genug, damit man dir alles verzeiht. Und es ist egal, ob du gestehst oder nicht und wie gut dein Vater und mein Bruder dich beschützen. Ich werde dafür sorgen, dass du dir wünschst, du wärst einfach brav in den Knast gegangen, wo du hingehörst.« Er wendet sich zur Tür. Es gibt noch mehr, das er zu ihr sagen will. Aber seine Hände zittern bereits unter der Anstrengung, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Aber dann steht Marika plötzlich vor ihm, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, und blockiert den Weg nach draußen. »Nein! Ich erlaube nicht, dass du jetzt gehst!«
Kohei senkt den Blick und betrachtet den sturen Ausdruck auf Marikas Gesicht.
»Wir kennen uns zu lange und du bist mir zu wichtig, Kohei. Ich erlaube nicht, dass ein dahergelaufenes Flittchen, dich mir wegnimmt. Wenn du mir zuhöre – urg!« Sie gibt ein Wimmern von sich, als Kohei ihren Kiefer packt und ihren Kopf nach oben zieht, sodass ihre Zähne zusammengepresst werden.
»Es muss deinen Stolz ja wahnsinnig verletzt haben, dass du mir jetzt am Arsch vorbeigehst«, knurrt er, ohne auf Marikas angstvollen Blick zu achten. »Du überschätzt dich.« Ein Grinsen verzieht seine Lippen, als er sich zu Marika herunterbeugt. »Weißt du, mit wie vielen Frauen ich geschlafen habe, während ich in dich verliebt war? Ich dachte immer, wenn es ernst zwischen uns wird, würde ich sie für dich ignorieren, aber weißt du, was lustig ist? Seit ich mich mit Rem treffe, interessieren andere Frauen mich überhaupt nicht mehr. Du bist das nie wert gewesen.« Er gibt ihr einen Stoß, sodass sie ein paar Schritte zurücktaumelt und keuchend ihren Kiefer berührt. »Du bist es, die mir jemanden wegnehmen wollte. Dabei solltest du wissen, dass ich nicht von der gnädigen Sorte bin.«
Marika, die mit beiden Händen ihren Kiefer hält, sieht Kohei mit bebendem Blick an, als könnte sie sich kaum dazu bringen, ihn anzusehen, gleichzeitig aber auch nicht wegsehen.
Kohei erwidert ihren Blick mit kühler Gleichgültigkeit. »Jetzt geh mir aus dem Weg, ich hab noch zu tun.« Er geht bereits los, bevor er zu Ende gesprochen hat und Marika taumelt hastig beiseite.
Kohei weiß, dass er jetzt all seine Chancen, als Insider gegen Marika zu arbeiten, verloren hat, aber er fühlt sich so frei wie schon lange nicht mehr.
Leider hält das Gefühl von Freiheit nicht lange an. Kaum hat er die Sasaki-Villa verlassen, drängt sich ihm die Problematik der Situation von neuem auf und er wünschte, er wäre Marika nicht sofort hinterhergefahren. Er hätte abwarten und sich sammeln sollen, um bei ihrem Treffen nicht die Beherrschung zu verlieren. Denn was er auch zu Marika gesagt hat, solange Saburo ihr ein Alibi gibt, wird Mr. Sasaki dafür sorgen, dass niemand an Marika herankommt. Selbst wenn er über die Medien Druck macht, würde das im besten Fall nur dazu führen, dass Marika das Land wieder verlässt. Aber das ist für Kohei nicht mehr akzeptabel. Marika muss die vollen Konsequenzen tragen und das nicht nur für Koheis Befriedigung.
Er will gar nicht daran denken, wie es Rem gehen muss. Rem, die stets ihr Möglichstes tut, um aufrichtig und rechtschaffen zu sein. Er will nicht, dass sie den Mut dazu verliert, weil sie fürchten muss, dass ihr jemand etwas antun will. Seinetwegen.
Anstatt nach Hause zu fahren, hält Kohei irgendwo an, steigt aus und geht, ohne ein Ziel zu haben. Er braucht Zeit zum Nachdenken, ohne gestört zu werden. Rem hat ihn vor einer Weile mehrere Male angerufen, aber wie kann er im Moment mit ihr sprechen? Wie soll er ihr erklären, dass sie beinahe gestorben wäre, weil Kohei ihr zu viel Aufmerksamkeit geschenkt hat? Es wäre nur verständlich, wenn sie sich danach von ihm fernhalten wollte. Dazu kommt noch, dass Marika keinerlei Schuldgefühle hat. Etwas, das für Rem völlig abwegig wäre, und wie soll er ihr erklären, dass Marika in ihrer Welt immer an erster Stelle steht, sodass es keine Bedeutung für sie gehabt hätte, selbst wenn Rem gestorben wäre. Was würde sie von ihm denken, in dem Wissen, dass Marika ihm einmal wichtig war? Damit hat Rem gleich zwei Gründe, sich von ihm fernzuhalten, und er könnte es ihr nicht verübeln.
Und trotzdem hat er ein so starkes Verlangen danach, sie zu sehen oder wenigstens ihre Stimme zu hören, dass er sich mehrmals davon abhalten muss, sie zurückzurufen. Er kann nicht mit ihr sprechen, bevor er nicht wieder in Ordnung gebracht hat, was sie seinetwegen durchmachen musste. Aber er kann nicht so vorgehen, wie er es bisher gemacht hat. Zwar wäre es effektiv, an die Öffentlichkeit zu gehen, aber Rem wäre damit ebenfalls in der Schusslinie und womöglich in Gefahr. Daher bleibt ihm nicht viel und seine beste Chance wäre, mit Toshiro zusammenzuarbeiten. Etwas, das er nur ungern tut, da er nicht weiß, wie weit sein Großvater bereit ist zu gehen. Und Kohei wäre nicht einverstanden, mit einem Deal mit Sakitronics der Inouye Incorporation hilft, aber nicht Rem.
Kohei lässt sich auf einer einsamen Parkbank nieder. Der Herbst neigt sich dem Ende zu, es ist kalt und die Bäume haben ihre Blätter verloren. Damit ist es kaum das Wetter, um in einem Park zu sitzen und ohne Jacke noch dazu. Aber Kohei bemerkt nicht, wie kalt seine Hände sind, als er sich übers Gesicht fährt.
Alles hängt an Saburo. Würde er sein Alibi zurückziehen, würde Toshiro sich um den Rest kümmern. Aber Kohei kennt die Sturheit seines Bruders besser als jeder andere. Er ist ein wenig überrascht, dass Saburo Marika sogar einen Mord durchgehen lässt, aber da er sich dafür entschieden hat, wird er seine Meinung nicht mehr ändern. Das spielt jedoch keine Rolle, wenn Saburo nicht aussagen kann. Mit anderen Worten, alles, was Kohei zu tun braucht, ist, dafür zu sorgen, dass sein Bruder verschwindet.
Es dämmert bereits, als Kohei zu Hause ankommt und er ist kaum über die Schwelle getreten, als sein Handy zu klingeln beginnt. Er erstarrt, einen Moment lang in der Annahme, es wäre wieder Rem. Aber als er seinen Blick auf das Display richtet, sieht er den Namen seines Großvaters.
Mit einem Seufzen nimmt er den Anruf an und hält sich das Handy ans Ohr. »Was gibt es?«, fragt er in teilnahmslosem Tonfall. Toshiro ist niemand, den man ignorieren kann, selbst wenn man es wollen würde.
»Ich rufe an, um dir zu sagen, dass ich mich um alles kümmern werde und du dich heraushalten wirst. Saburo hat mir erzählt, was passiert ist, und bevor du auf die Idee kommen kannst, alle Schuld deinem Bruder zu geben, will ich dich davor warnen, etwas Unüberlegtes zu tun. Verstanden?« Toshiro war schon immer jemand, der ohne Umschweife auf den Punkt kommt. Vielleicht, weil er nie sehr viel Zeit zu erübrigen hat, aber unaufmerksam ist er deswegen nicht.
Kohei schnaubt leise. »Was sollte ich schon tun?«, fragt er und kann den Anflug von Sarkasmus nicht aus seiner Stimme halten.
»Ich weiß, dass du wütend bist. Glaub mir, das bin ich auch. Aber Saburo ist dein Bruder.« Toshiros Stimme klingt ernst, aber Kohei hat diese Worte zu oft gehört, um besorgt deswegen zu sein.
»Dann bist du wütend«, erwidert Kohei gelangweilt und kickt sich die Schuhe von den Füßen. »Ob auf Saburo oder mich ist mir ziemlich egal.«
»Kohei!« Toshiros Stimme ist scharf. Er hat immer eine Menge zu sagen, wenn Kohei etwas tut, das ihm nicht gefällt und er, anders als Saburo, ist sehr viel aufmerksamer, was Kohei alles tut. Aber am Ende kann er sich nie dazu durchringen, mehr zu tun, als Kohei mit scharfen Worten zu kritisieren. Manchmal hat er ihm sogar geholfen, wenn Kohei sich in Schwierigkeiten gebracht hat und das ein oder andere verschleiert.
»Hast du mit Ms. Aozora gesprochen?«
Kohei, der auf dem Weg ins Wohnzimmer ist, bleibt abrupt stehen. »Nein«, antwortet er bedächtig und hofft, dass seine Stimme nicht angespannt klingt. »Wieso sollte ich?« Er weiß schon, welche Meinung Rem dazu hätte und noch ist er nicht so weit, dass er es darauf anlegt, von ihr verabscheut zu werden.
»Weil sie mit dir sprechen wollte. Hat sie dich nicht erreicht?«
Kohei kneift die Augen zusammen. Er hat nicht aufgepasst und zu sehr auf den Subtext der Unterhaltung geachtet. Toshiro hatte bei seiner Frage das Ob gemeint und nicht das Was. Und jetzt weiß Toshiro, dass Kohei Rem meidet. »Ich hatte noch keine Zeit dazu«, erwidert Kohei etwas leiser als zuvor, als ihm durch den Kopf geht, dass Toshiro möglicherweise mit Rem gesprochen hat und von den unbeantworteten Anrufen weiß.
»Dann denke ich, solltest du dir jetzt die Zeit nehmen«, antwortet Toshiro und Kohei seufzt. »Soll ich sofort auflegen? Ich werd schon noch mit ihr reden.«
Toshiro schweigt daraufhin, sodass Kohei schon anfängt, sich zu fragen, ob er wirklich auflegen soll, aber dann sagt er: »Weißt du, wieso Ms. Aozora zu mir gekommen ist und nicht zu dir, als sie den Entschluss gefasst hat, gegen das Sasaki-Mädchen vorzugehen?«
Kohei sagt nichts. Der Gedanke ist ihm bis jetzt noch gar nicht gekommen, aber es ist wohl logisch, Toshiro um Hilfe zu bitten, der um einiges mehr Einfluss hat als Kohei.
»Sie dachte, es würde dich in eine unangenehme Lage bringen, weil dir das Sasaki-Mädchen etwas bedeutet und weil…« Toshiro macht eine kurze Pause und schnaubt amüsiert. »Weil sie nicht wollte, dass du das Gefühl hast, etwas wiedergutmachen zu müssen. ‚Er hat im Grunde nichts damit zu tun‘, waren ihre Worte, glaube ich.«
Koheis Herz beginnt schneller zu schlagen, aber er ist sich nicht sicher, ob aus Ärger oder etwas anderem. Was Toshiro sagt, klingt auf jeden Fall nach Rem und ihrer viel zu rücksichtsvollen Art.
»Man muss schon ein riesiger Idiot sein, um nicht zu merken, dass Ms. Aozora eine Frau ist, die man nicht so einfach aus seinem Leben spazieren lassen sollte. Und du bist mein Enkel, also bist du kein Idiot. Was dir auch immer gerade durch den Kopf geht, vergiss dabei bitte nicht, dass es hier vor allem um Ms. Aozora geht. Und so wie ich es sehe, liegt ihr sehr viel an deiner Meinung. Mach das nicht kaputt, weil du Angst hast, sie zu enttäuschen.«
Kohei schnalzt mit der Zunge. »Anstatt mir Ratschläge für etwas zu geben, das du nie auf die Reihe bekommen hast, sag mir lieber, was du tun willst, um Rem zu schützen. Immerhin hast du sie mit deiner Eröffnung in die Schusslinie von Mr. Sasaki gebracht.«
»Ich habe ihr einen Personenschutz angeboten, aber sie hat abgelehnt.«
»Natürlich hat sie das.« Kohei stöhnt. »Rem ist stur, was diese Dinge angeht. Du musst sie heimlich beschützen lassen.«
»Darauf bin ich auch schon gekommen.« Toshiro gluckst. »Aber sag mal, mit dem, was ich nie auf die Reihe bekommen habe, meinst du meine gescheiterten Ehen, oder?«
»Was sonst?«
Normalerweise wird Toshiro nach so einer Bemerkung mürrisch, aber diesmal klingt seine Antwort schon fast fröhlich. »Das heißt dann wohl, dass du doch in Erwägung ziehst, Ms. Aozora zu heiraten.«
Kohei erstarrt ein weiteres Mal. »War es das jetzt?!«, faucht er in sein Handy und hätte am liebsten sofort aufgelegt.
»Nur noch eine Sache«, sagt Toshiro, der immer noch fröhlich klingt. »Ich kann dich nicht dazu zwingen, Ms. Aozora anzurufen, aber denk bitte darüber nach, welchen Eindruck du ihr geben würdest, wenn du ihre Anrufe ignorierst und nicht mehr mit ihr sprichst, nach dem, was heute passiert ist.«
Kohei verzieht verwirrt das Gesicht, aber Toshiro verabschiedet sich und legt auf.
Kohei nimmt das Handy vom Ohr und sieht es einen Moment verärgert an. Dann wirft er es auf die Couch und geht in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Er mag es nicht, wenn sich sein Großvater in seine Angelegenheiten einmischt und je länger er darüber nachdenkt, desto mehr stört es ihn, dass Rem Toshiro um Hilfe gebeten hat und nicht ihn. Um ihn nicht in eine unangenehme Lage zu bringen, weil Marika ihm etwas bedeutet? Er arbeitet seit Wochen daran, Marika zu demütigen und zu isolieren, sodass sie das Land verlässt! Zugegeben, er hat Rem nichts davon gesagt, aber sie weiß, was er für sie empfindet. Wie könnte Marika noch Bedeutung für ihn haben, nachdem, was sie Rem angetan hat?
Kohei kehrt zur Couch zurück und setzt sich. Er sollte die Worte seines Großvaters nicht so ernst nehmen. Immerhin kennt er Rem nicht so gut wie Kohei. Er schaltet den Fernseher ein, um auf andere Gedanken zu kommen, nur um ihn kurz darauf wieder auszuschalten.
Welchen Eindruck sollte Rem von ihm haben, wenn er sich nicht meldet? Wollte Toshiro ihm sagen, dass Rem weiß, dass Kohei sich schämt? In diesem Fall versucht sie wahrscheinlich, ihn zu erreichen, um ihm zu sagen, dass sie ihm nichts vorwirft, was Kohei nur darin bestärkt, dass es besser wäre, für den Moment nicht mit ihr zu reden. So lange, bis er Marika erfolgreich aus Rems Leben verbannt hat.
Er nickt sich selbst zu, aber das ungute Gefühl in seinem Magen, lässt sich nicht vertreiben. Toshiro hätte nicht darauf bestanden, dass Kohei sofort mit Rem spricht, wenn er glauben würde, dass sie Kohei sagen will, dass sie ihm nichts vorwirft. Es klang eher, als würde Rem etwas missverstehen.
Schließlich stellt er sein Glas auf dem Tisch ab und nimmt sein Handy in die Hand. Er sucht Rems Nummer heraus und betrachtet ihren Namen auf dem Display für einen Moment. Dann drückt er auf Anrufen.
»Inouye?« Rems Stimme ertönt fast sofort und Kohei ist so perplex, dass er nicht sofort antwortet. »Ja«, bringt er dann mit rauer Stimme heraus. Er räuspert sich. »Das war schnell. Hast du darauf gewartet, dass ich anrufe?«, witzelt er, obwohl es ein unpassender Zeitpunkt für Witze ist. Aber er sagt es, ohne darüber nachzudenken, nur um überhaupt etwas zu sagen, und es ist das Erste, das ihm einfällt.
»Ja«, kommt Rems Antwort, im Gegensatz zu seiner, völlig ernst.
Kohei schluckt. »Oh«, macht er und räuspert sich dann erneut. »Tut mir leid, dass ich erst jetzt zurückrufe. Ich musste mich um ein paar Dinge kümmern.« Es ist eine mechanische Antwort und er hofft, dass sie das leichte Zittern in seiner Stimme nicht hört.
Sie klingt erleichtert und gibt ohne weiteres zu, dass sie auf seinen Anruf gewartet hat, als hätte sie etwas falsch gemacht und würde darauf warten, dass er ihr vergibt. Und dabei reicht es schon aus, dass Rem auf ihn gewartet hat, mit ihrem Handy in greifbarer Nähe, sodass sie sofort abnehmen kann, wenn er anruft, um ihn ganz durcheinander zu bringen.
»Ja, natürlich. Du warst bestimmt sehr überrascht.« Ihre Stimme klingt jetzt zögerlich. »Ich hätte dich doch vorwarnen sollen, es tut mir leid.«
Kohei blinzelt verdutzt. Wieso entschuldigt Rem sich bei ihm?
»Es ist...bestimmt eine schwierige Situation für dich, aber wenn Ms. Sasaki das wirklich getan hat, dann hat sie damit nicht nur mich in Gefahr gebracht. Ich bin sicher, ihr Vater wird ihr die besten Anwälte zur Verfügung stellen und vielleicht war es gar nicht ihre Absicht, etwas so Gefährliches zu tun.«
Kohei starrt ungläubig seinen Couchtisch an. »Wieso verteidigst du sie?«
»Ich denke nur, dass Mr. Inouye die Umstände zu krass formuliert hat. Sie wollte mich bestimmt nicht umbringen.«
Erneut kann Kohei nicht glauben, was er hört. »Rem, sie hat dir ein paar Stahlstangen auf den Kopf fallen lassen! Jeder Idiot weiß, was das bedeutet!«
»Ja, schon, aber…« Sie klingt verunsichert und obwohl Kohei nicht weiß, wieso, merkt er, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.
»Aber was?!«, fragt er mit scharfer Stimme.
Rem atmet aus. »Ich weiß, dass du wütend bist. Ich dachte, das beruhigt dich vielleicht.« Sie spricht leise, sodass Kohei sich einen Moment unsicher ist, ob er sie richtig verstanden hat.
»Wieso sollte mich das beruhigen?«
»Ich weiß, dass Ms. Sasaki dir viel bedeutet und du wolltest bestimmt nicht - «
»Nein!« Kohei unterbricht sie mit lauter Stimme und springt auf die Füße. Und mit einem Mal versteht er, was Toshiro meinte. »Dachtest du, ich bin wütend, weil du Marika anzeigen willst?!«
»I-Ich dachte nur, dass du es vielleicht lieber auf andere Weise lösen wolltest.«
»Nein! Warum sollte ich jemanden beschützen wollen, der dich verletzt hat?! Wenn ich wütend bin, dann, weil diese Schlange so weit gegangen ist, und weil mein nichtsnutziger Bruder sie beschützt!«
Es ist still.
Dann stößt Kohei einen tiefen Seufzer aus und lässt sich wieder auf die Couch fallen. »Es tut mir leid«, sagt er, plötzlich mit kraftloser Stimme. »Ich hätte vorsichtiger sein sollen.« Seine Stimme versagt ihm, als ihm einfällt, dass er es war, der Rem an diesem Tag zu Sakitronics geschickt hat. Er hat gedacht, dass sie dort weniger zu tun hätte als im Büro. Und er hat Marika provoziert und sie glauben lassen, Rem wäre für die Gerüchte und Angriffe auf sie verantwortlich. Überhaupt ist er der Grund, weshalb Marika es auf Rem abgesehen hat. »Aber ich bringe es wieder in Ordnung. Ich sorge dafür, dass Marika nicht mehr an dich herankommt.«
Wieder ist es eine Weile still. Dann sagt Rem: »Es ist in Ordnung, auch wenn du es nicht tust. Du hast nichts Falsches getan.«
Kohei schnaubt leise, denn sie klingt, als würde sie das wirklich meinen. »Doch, ich war nicht ehrlich. Ich hätte dich vor Marika warnen sollen und dich nicht glauben lassen sollen, dass ich auf ihrer Seite stehen würde und nicht auf deiner.« Seine Abscheu für Marika ist in den letzten Wochen stetig gewachsen, aber nach außen hin hat er so getan, als würde sie ihm immer noch viel bedeuten.
»Ich hätte auch offener sein sollen«, sagt Rem mit sanfter Stimme. »Ich hätte nicht hinter deinem Rücken mit deinem Großvater sprechen sollen. Also wieso versuchen wir nicht beide, etwas ehrlicher zu sein?«
Kohei atmet aus. Er spürt, wie er lächelt und wie er beginnt, sich zu entspannen. »Ja, das sollten wir.«
»Gut.« Rem klingt ebenfalls erleichtert. »Dann sehen wir uns Morgen im Büro.«
»Ja, wir -« Koheis Lächeln verschwindet und er runzelt die Stirn. »Moment, du hast doch nicht vor, morgen wieder zu arbeiten?!«
»Hm?«, macht Rem in unschuldiger Verwirrtheit. »Wieso sollte ich nicht?«
»Muss ich das wirklich erklären?!«, knurrt Kohei, der jetzt endlich weiß, weshalb sie mit ihrem gebrochenen Arm darauf bestanden hat zu arbeiten. Aber da sie Marika nun entblößt hat, gibt es keinen Grund mehr dazu.
»Nicht jeder hat den Luxus, sich spontan freizunehmen, wie es ihm eben passt«, sagt Rem in leicht herablassendem Tonfall und Kohei schnaubt. Sie bezieht sich wohl auf heute und das bringt ihn zu einer bösen Vorahnung. »Soll das heißen, du bist nach der ganzen Sache heute im Büro geblieben.«
»Natürlich«, antwortet Rem sofort, als wäre das ganz selbstverständlich.
Kohei nimmt einen kontrollierten Atemzug. »Ab morgen bleibst du zu Hause, bis dein Arm geheilt ist oder ich erkläre Hansawa im Detail, wie es für ihn ausgehen kann, wenn du nach einem Arbeitsunfall deine Arbeit wieder aufnimmst, ohne vollständig genesen zu sein!«
»Das ist nicht nötig! Es geht mir gut!«, kommt prompt Rems sture Antwort.
»Wieso fällt es dir so schwer, nicht zu arbeiten? Glaubst du, wir anderen sind so inkompetent, dass Noué pleite geht, weil du nicht da bist?!«
»Nein, aber ich habe in den letzten Monaten so oft gefehlt -«
»Weil du eine Menge durchgemacht hast!«, unterbricht Kohei sie energisch und sie diskutieren noch eine ganze Weile weiter, ehe Rem schließlich wutentbrannt auflegt, weil Kohei sich durchgesetzt hat.
Rem bleibt genau bis zu dem Tag zu Hause, bis sie die Schlinge abnehmen darf und an ihrem ersten Tag zurück im Büro, wirft sie Kohei, wann immer sie ihn sieht, warnende Blicke zu, als würde sie sofort aus der Haut fahren, wenn er sie nur fragt, wie es ihr geht.
Sie haben in der Zeit, in der Rem zu Hause war, kaum miteinander gesprochen, aber auch nachdem ein paar Tage vergangen sind, scheint sie ihn zu meiden.
Sie muss wirklich wütend sein, denkt Kohei, der, frustriert von den letzten Wochen, beschlossen hat, seine Pause auf dem Dach zu verbringen. Abgesehen davon, dass Rem wütend auf ihn ist, hat er auch keine Fortschritte gemacht, was Saburo oder Marika angeht. Und von den wenigen Informationen, die er von Toshiro erhalten hat, weiß er, dass auch sein Großvater nicht sehr viel weitergekommen ist. In seinem Fall liegt das aber wohl eher daran, dass er, trotz seiner Warnung an Saburo, immer noch versucht, ihn zu beschützen. Denn auch wenn Toshiro Rem zu mögen scheint, hat Saburo doch Vorrang vor ihr.
Kohei seufzt tief und sein Atem formt eine Wolke in der Luft. Es ist noch kälter geworden, sodass er die Kälte sogar in seinem Mantel und mit einer dampfenden Tasse Kaffee in den Händen spürt. Er würde sich gern wieder mit Rem vertragen, aber er möchte ihr nicht gestehen, dass sich seit dem Tag, an dem Toshiro im Büro war, praktisch nichts geändert hat. Wenn er sich doch nur zusammengerissen und seine Wut nicht an Marika ausgelassen hätte.
Er ist so damit beschäftigt, grimmig in die Ferne zu starren, dass er erst registriert, dass noch jemand aufs Dach gekommen ist, als dieser Jemand schon neben ihm steht. Kohei, der die Ellbogen auf dem Geländer aufgestützt hat, fährt hoch, sodass sein Kaffee beinahe überschwappt.
»Es ist kalt«, sagt Rem mit verschränkten Armen, während sie über die Dächer der angrenzenden Häuser sieht.
»Ja«, sagt Kohei etwas ratlos.
Rem richtet ihren Blick auf ihn und lächelt scheu.
Kohei mustert sie verwirrt. »Bist du nicht mehr wütend auf mich?«
»Wieso sollte ich wütend auf dich sein?«, fragt Rem und sieht ihn ebenfalls verwirrt an.
»Weil ich dich gezwungen habe, zu Hause zu bleiben«, sagt er etwas kleinlaut.
Rem blinzelt überrascht. Dann schüttelt sie mit einem Lächeln den Kopf. »Nein, ich war nur frustriert. Aber es geht mir ja wieder gut.« Sie hebt ihren rechten Arm, als wolle sie ihm das beweisen, allerdings sieht er nicht viel von ihrem Arm, da sie ihren Mantel trägt.
Rem scheint das auch aufzufallen, denn sie senkt den Arm etwas unbeholfen wieder. Sie legt beide Hände auf das Geländer und sieht geradeaus.
Kohei räuspert sich. »Es tut mir leid, dass wir bisher nicht weitergekommen sind. Auch wenn dein Arm verheilt ist, macht das nichts wieder gut und ich sorge dafür, dass mein Großvater das nicht vergisst.«
Rem wirft ihm einen Blick zu. »Wieso machst du dir solche Vorwürfe? Was passiert ist, war nicht deine Schuld.«
Kohei sieht auf das Geländer hinab. »Du...«, beginnt er zögerlich. »Weißt doch, wieso Marika das getan hat.«
»Weil sie in dich verliebt ist und mich aus dem Weg haben wollte«, kommt Rems prompte Antwort und Kohei versteift sich unbehaglich.
Sie zuckt mit den Schultern. »Es ist nur etwas aus dem Ruder gelaufen.«
Kohei schnaubt. »Etwas mehr als das, und Marika ist nicht verliebt in mich.«
Rem sieht in von der Seite her neugierig an und Kohei seufzt und stützt die Ellbogen wieder auf dem Geländer auf. Er betrachtet den dampfenden Kaffee in seiner Tasse. »Marika ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, alles zu bekommen, was sie will, und nichts wieder herzugeben. Und die Geschichte, dass die Inouye Brüder beide um ihre Zuneigung kämpfen ist bekannt.« Kohei schnaubt erneut. Es erfüllt ihn mit Widerwillen und Abneigung gegen sich selbst und seine Dummheit, sich an diese Vergangenheit zu erinnern. Es war eine schlaue Taktik, die Marika angewandt hat, um Saburo und Kohei, die ständig miteinander konkurriert hatten, wie Brüder es nun einmal tun, auch um sie streiten zu lassen. Damit haben Saburo und er sich nicht nur überschlagen, Marika zu gefallen, Kohei für seinen Teil, hatte versäumt zu bemerken, dass sie diesen Kampf nicht wert ist.
»Marika wollte dich loswerden, weil du ihr etwas weggenommen hast, das sie als ihres betrachtet hat.« Er sieht nicht zu Rem. Eigentlich sollte er froh sein, dass er sich geirrt hat und sie nicht wütend auf ihn ist, aber er kann sich nicht davon abhalten weiterzusprechen. »Ohne mich wäre das alles nicht passiert und ich kann verstehen, wenn du auf Abstand gehen willst.« Er presst die Lippen aufeinander und umklammert seine Tasse, während er auf Rems Antwort wartet.
»Stimmt, vielleicht wäre nichts davon passiert«, sagt Rem schließlich und ihre Stimme klingt ruhig.
Kohei wirft ihr einen Blick zu, da er nicht einschätzen kann, ob sie wirklich plant, sich in Zukunft von ihm fernzuhalten.
»Aber etwas anderes wäre passiert.« Rem sieht wieder hinaus auf die Dächer, aber ihre Hände umklammern fest das Geländer. »Ohne dich wäre ich nicht so schnell über Kosuke hinweggekommen und möglicherweise hätte ich mich wieder auf einen Mann eingelassen, der bereit war, mich zu vergewaltigen, weil ich ihn abgewiesen habe.«
Kohei starrt sie an. Dann schüttelt er den Kopf. »Nein, das hättest du nicht. Ich habe nicht mal etwas getan, um dir zu helfen.«
Rem mustert ihn kurz, bevor sie wieder wegsieht. Sie atmet aus. »Vor einem Jahr waren wir auch mal zusammen auf dem Dach. Weißt du noch? Das war, nachdem ich mich von Kosuke getrennt habe und du mir gesagt hast, dass ich mich zusammenreißen soll.«
»Ich erinnere mich«, sagt Kohei. Es war noch bevor sie angefangen haben sich zu treffen und Rem sich so in die Arbeit vertieft hat, dass sie sich äußerlich mehr und mehr einem Zombie angenähert hat.
»Du hast gesagt, dass du dachtest, Kosuke und ich würden bald heiraten und wie offensichtlich es wäre, dass ich in ihn verliebt war.«
Kohei starrt mit grimmiger Miene auf seine Tasse hinab, die er nun in den Händen dreht, und antwortet nicht. Er will nicht daran erinnert werden, wie sehr Rem in einen anderen Mann verliebt war oder hören, dass sie ihm dankbar dafür ist, dass er ihr darüber hinweggeholfen hat. Er will nicht daran erinnert werden, dass Rem mit ihm geschlafen hat, um ihren Ex zu vergessen. Außerdem ist die Hilfe, die er ihr gewesen ist, wohl kaum vergleichbar mit dem Schaden, den er angerichtet hat.
»Wenn man etwas kauft und sich mehr darüber freut, es jemand anderem zu schenken, als es zu behalten, ist das Liebe. So etwas hast du gesagt.« Rem redet weiter, als würde sie von Koheis Stimmung nichts mitbekommen und das tut sie wahrscheinlich nicht, da sie immer noch geradeaus sieht.
»Wirklich«, murmelt Kohei, während er dem Kaffee in seiner Tasse dabei zusieht, wie er sich stur weigert, sich mit der Tasse zu drehen.
»Seitdem bin ich verliebt in dich.«
Die Tasse gleitet Kohei aus den Fingern. Er starrt Rem an, nur um zusammenzuzucken, als ein Klirren ertönt, als die Tasse im Hof zerspringt. Kohei guckt einen Moment auf die Scherben hinab und sieht dann zu Rem.
Sie schaut ebenfalls in den Hof. »Ein Glück stand dort niemand«, sagt sie. »Das hätte gefährlich sein können.«
»Oh, ähm…« Kohei, der das Gefühl hat, sich entschuldigen zu müssen, sieht wieder nach unten.
»Ich muss jetzt wieder an die Arbeit. Ich hab noch einen Haufen E-Mails abzuarbeiten.«
»Was?« Kohei schaut wieder zu Rem, die jedoch schon ihren Platz am Geländer verlassen hat und auf dem Weg zur Tür ist. »Hey, warte mal…« Er hebt eine Hand, aber da fällt die Tür bereits hinter Rem zu.
Mit noch immer erhobener Hand steht Kohei da und starrt die Tür an. Hat Rem ihm gerade nicht etwas Unglaubliches gesagt? Wie kann sie einfach weggehen, als wäre nichts passiert?
Er berührt seinen Kopf. Vielleicht hat er sie falsch verstanden. Oder er hat sich ihre Worte einfach eingebildet. Schließlich macht es überhaupt keinen Sinn, dass sie zuerst über ihren Ex schwafelt und dann sagt, dass sie in Kohei verliebt ist.
Kohei reibt sich die Stirn. Sie hat gesagt ‚seit dem‘. Er erinnert sich vage an den Tag, von dem Rem gesprochen hat. Das war kurz nachdem er herausgefunden hat, dass Rem sich von ihrem Freund getrennt hat und bevor es anfing, Rem besser zu gehen. Und lange bevor sie das erste Mal miteinander geschlafen haben. So sehr er sich auch wünscht, dass Rem in ihn verliebt ist, es ergibt einfach keinen Sinn, dass sie schon damals in ihn verliebt war. Er muss sich verhört haben.
Mit einem Kopfschütteln verlässt Kohei das Dach. Aber Rems Worte und ob sie sie nun gesagt hat oder nicht, kreisen ihm ununterbrochen durch den Kopf, sodass er versehentlich in die falsche Abteilung läuft. Als er dann schließlich wieder an seinem Schreibtisch sitzt, kann er sich nicht auf den Bildschirm vor sich konzentrieren und erwischt sich immer wieder dabei, wie er in Rems Richtung sieht. So beschließt er, das Handout, dass er für sein nächstes Meeting vorbereitet hat, auszudrucken und zu kopieren, da das Handout schon fertig ist und man vom Kopierer aus, Rems Schreibtisch nicht sehen kann. Aber auch dort ertappt er sich dabei, wie er ein paar Schritte zurück macht und den Hals reckt, um um die Ecke zu sehen.
Er begreift es nicht. Wenn sie nicht gesagt hat, was er denkt, was sie gesagt hat, wieso hat er es dann gehört? Und wenn sie es gesagt hat, wieso tut sie, als hätte sie es nicht? Wenn sie es gesagt hat und so tut, als hätte sie es nicht, dann wird er es ihr nie wieder durchgehen lassen, wenn sie etwas Persönliches nicht im Büro besprechen will. Wer macht jemandem ein Geständnis und arbeitet dann weiter, als wäre nichts gewesen? Das ist doch nicht normal!
»Ähm, was genau tust du da?«
Kohei dreht sich zu Tomoda um, der ihm über die Schulter schaut. »Ich kopiere die Handouts für das Meeting morgen«, erwidert Kohei, genervt über die Frage.
Tomoda runzelt die Stirn. »Morgen ist Samstag.«
Kohei blinzelt und überlegt. »Ich meinte Montag.«
»Okay und das sind alles Handouts?« Tomoda wirft dem Kopierer einen Blick zu. »So viele?«
Kohei schaut ebenfalls zum Kopierer und der Papierausgabe, auf dem ein Stapel von Dokumenten liegt. »Du weißt doch, dass ich immer ein paar mehr ausdrucke, falls unerwartet mehr Leute da sind, Praktikanten zum Beispiel«, sagt Kohei, obwohl er zugeben muss, dass der Stapel etwas dicker ist, als er sein sollte.
»Aha«, macht Tomoda. »Du hast also nicht aus Versehen 300 anstatt 30 Kopien gemacht, weil du zweimal auf die Null gedrückt hast, du bist einfach vorbereitet, falls der Kunde spontan 270 Praktikanten mitbringt.«
Kohei sieht auf die Anzeige des Kopierers hinab, allerdings ist das Gerät schon fertig, weshalb die Anzeige über seinen Kopierauftrag verschwunden ist. Dann sieht er wieder zu dem Stapel mit den Handouts und legt die Stirn in Falten. Nicht nur, hat er versehentlich zehnmal so viele Handouts ausgedruckt, wie er braucht, er stand auch noch die ganze Zeit davor wie ein Idiot und hat abgewartet.
Er schnalzt mit der Zunge. Er hofft für Rem, dass sie nach der Arbeit nichts Wichtiges geplant hat, denn ein zweites Mal lässt er sie nicht davonlaufen!
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