Kitsune

Triggerwarnung: Das folgende Kapitel enthält nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen.

XXIX.

Abschied

Es ist Mittwochabend und Rem steht in dem kleinen Supermarkt bei sich um die Ecke, bis eben damit beschäftigt, darüber nachzugrübeln, wie viel sie einkaufen soll. Da es die letzte Woche im September ist und sie am Wochenende in ihre neue Wohnung ziehen wird, will sie vermeiden, zu viel einzukaufen. Aber da sie denselben Gedanken schon hatte, als sie das letzte Mal einkaufen war, ist ihr Kühlschrank im Moment komplett leer.

Aber während sie überlegt hat, ist ein weiterer Kunde in den Laden gekommen, und zwar niemand anderes als Kosuke. Obwohl sie sich mittlerweile daran gewöhnt hat, ihn zu ignorieren, beschließt sie, schnell fertig zu werden, was sich jedoch als Fehler herausstellt. Denn Kosuke scheint dasselbe zu denken und sie enden damit, den Supermarkt gemeinsam zu verlassen.

Der Weg nach Hause dauert kaum fünf Minuten, aber selbst das ist eine zu lange Strecke, um sie mit jemandem zu laufen, dem man aus dem Weg gehen will. Und so beschließt Rem, es mit Smalltalk zu versuchen. Es ist eine gute Übung, da sie auch im Büro versucht, die Umstände mit Smalltalk weniger unangenehm zu machen, und sie ist in Bezug auf Kosuke nicht mehr so empfindlich, dass sie nicht mehr mit ihm reden möchte. Sie hat ihm nicht vergeben, aber ihre Trennung ist nunmehr eine Tatsache als etwas, das sie bereut, sodass sie darüber hinwegsehen kann. Das Einzige, was sie bereut, ist diese Situation, in der sie sich kaum ansehen können. Denn abgesehen davon, dass sie ein Paar waren, ist Kosuke auch ihr engster Freund gewesen, der sie verstanden hat, wie kein anderer.

»Du siehst müde aus«, sagt Rem, nur um dann innezuhalten und sich zu fragen, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn zu fragen, wie es ihm geht.

Kosuke sieht sie überrascht an. Tatsächlich scheint er einen Moment zu überlegen, ob sie wirklich mit ihm spricht. »Ich hab bis eben gearbeitet, um meine Deadline einzuhalten«, sagt er dann mit einem schüchternen Lächeln.

»Heißt das, du hast einen festen Platz in einem Magazin bekommen?«

Er nickt eifrig. »Im WeeklyManga. Es ist nichts Großes und viel Geld gibt es auch nicht, aber es ist etwas und ich freu mich einfach, dass Leute meine Geschichten lesen.«

Rem lächelt und nickt. »Das ist toll. Herzlichen Glückwunsch.«

Kosuke reibt sich etwas beschämt den Hinterkopf, aber er grinst wie ein Honigkuchenpferd.

»Dann bist du jetzt wohl sehr beschäftigt.«

Er nickt. »Ja, schon. Ich bin fast nur am Zeichnen. Und dann muss ich mich mit meinem Editor herumschlagen, wenn ihm etwas nicht gefällt. So wie es eben ist.« Trotz seiner Worte scheint er ehrlich glücklich zu sein. Aber dann verblasst sein Lächeln. »Und du? Für deinen Umzug ist alles vorbereitet?«

»Ja«, erwidert Rem knapp. Sie will mit ihm nicht über den Umzug reden. Das würde sie nur daran erinnern, weshalb sie entschieden hat umzuziehen, und sie ist froh, dass sie in diesem Moment das Haus erreichen.

Sie schweigen wieder, als sie gemeinsam die Treppe hinaufgehen, aber als sie ihre Türen erreichen, räuspert Kosuke sich. »Ich kann verstehen, wenn du das nicht willst, aber ich dachte, weil du ja gehst, könnten wir vielleicht ein letztes Mal…« Er bricht ab und kratzt sich am Kopf. »Ich dachte nur, falls wir uns irgendwann wiedersehen, will ich nicht, dass es komisch zwischen uns ist. Und -, und wenn nicht, dann wäre das hier unser letztes Gespräch, also…« Er wirft Rem einen Blick zu.

»Du hast recht«, sagt sie mit einem sanften Lächeln und Kosukes Miene hellt sich auf.

»Dann, hast du am Freitagabend Pläne? Wir können deinen Umzug und meinen Platz bei WeeklyManga feiern. Mit Bier und Fried Chicken. So wie früher?« Er grinst sie erwartungsvoll an und Rem kichert. »Okay.«

Kosuke nickt. »Cool, dann bis Freitag!«

»Ja, bis Freitag«, antwortet Rem und holt ihre Schlüssel aus der Tasche. »Gute Nacht, Kosuke«, sagt sie noch, bevor sie ihre Wohnungstür aufschließt und hineingeht.


 

»Das ist gut so! Ein bisschen tiefer, Mr. Sawada, und Ms. Aozora, versuchen Sie nicht so auszusehen, als würden sie lachen müssen.«

Rem presst die Lippen aufeinander, als sie Mr. Blakes Anweisung hört. »Das ist deine Schuld«, flüstert sie Yuji zu.

Er trägt ein Halsband mit einer Leine, die Rem festhält und ihn zu sich zieht, während er sie im Arm hält. »Was meinst du?«, säuselt Yuji, während er sie weiter mit einem hitzigen Blick ansieht und dabei den Kopf leicht hin und her bewegt, als wolle er sie hypnotisieren. »Ich bin völlig gefangen von dir«, fährt er mit theatralischer Stimme fort. »Und der Hundeleine.«

Rem prustet.

»Mr. Sawada, würden Sie aufhören, Witze zu reißen«, ertönt Mr. Blakes erschöpfte Stimme. Aber er klingt nicht verärgert. Tatsächlich helfen Yujis Witze ungemein, die Stimmung am Set zu heben und es ist fast, als hätte es nie Gerüchte gegeben. Es ist eine große Erleichterung, vor allem, da Rem sich endlich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren kann, sodass die Ergebnisse vorzeigbar sind. Das bedeutet aber auch, dass sie die Zeit aufholen können, die sie durch Rems Aussetzer verloren haben, weshalb die Tage am Set deutlich länger sind.

»Okay, wir machen eine Pause!«, ruft Mr. Blake schließlich, nachdem Yuji und Rem sich zusammengerissen haben und sie ein paar Shots hinbekommen haben.

Yuji und Rem richten sich auf und er schüttelt seinen Arm, mit dem er Rem gehalten hat. Für Rem war es nicht bequem im Hohlkreuz über seinem Arm zu hängen, aber für ihn war es bestimmt auch nicht leicht, sie die ganze Zeit zu halten. »Alles gut?«, fragt sie, während sie ihm das Halsband abnimmt.

»Klar. Ein Glück bist du so leicht.« Er grinst sie an.

»Du musst nicht meinetwegen lügen. Ich müsste unmenschlich leicht sein, damit du keinen Muskelkater bekommst«, sagt Rem und nimmt seinen Hals in Augenschein. Das Halsband wurde sorgfältig ausgewählt, damit es nicht scheuert, aber nachdem Rem über eine Stunde daran gezogen hat, sieht man doch einen roten Rand. »Vielleicht solltest du da eine Salbe draufschmieren.«

»Onee-san macht sich immer solche Sorgen um mich.« Yuji gluckst fröhlich.

»Natürlich. Wenn du einen wunden Hals bekommst, können wir nicht weiter machen.«

»Eh? Ist das der einzige Grund?« Er zieht einen Schmollmund.

Rem schüttelt den Kopf und schiebt ihn auf Ms. Nishioka zu, damit sie sich um ihn kümmern kann. Sie selbst beschließt, sich etwas zu trinken zu holen.

Im Flur gibt es einen Getränkeautomaten, gleich an der nächsten Ecke, aber als Rem darauf zugeht, hört sie Stimmen:

»….die Gerüchte sind übertrieben, aber sie und Mr. Blake treiben es auf jeden Fall. Hast du gehört, wie er mich wegen dem Licht angemotzt hat, weil Ms. Aozora nicht perfekt angestrahlt wurde? Bei diesem ganzen Shoot geht es nur um sie!«

»Klar, deswegen war er auch so angepisst wegen den Gerüchten. Ist nicht schön, wenn alle darüber reden, wie es dein Mädchen mit einem Haufen anderer Männer macht.«

»Ganz ehrlich, mir ist das egal, aber ich kann es nicht ab, dass ich deswegen mehr Arbeit hab.«

Rem ballt die Fäuste, als ihre gute Laune in den Keller sinkt. Sie hätte im Studio bleiben sollen. Aber gerade als sie zurückgehen will, geht jemand an ihr vorbei.

»Sie hätten weniger Arbeit, wenn Sie ein besseres Verständnis von Ihrem Job hätten«, sagt Mr. Blake in unterkühltem Tonfall, während er ungeniert an der Ecke vorbeitritt, sodass die beiden Männer ihn sehen können. »Wir arbeiten an einer Werbung für einen Lippenstift, der Frauen ansprechen soll, also ist es selbstverständlich, dass das weibliche Model im Mittelpunkt steht. Und da ich hier die Leitung habe, ist das das einzige, was zählt. Wenn Sie das nicht verstehen, würde ich Ihnen einen anderen Job ans Herz legen, anstatt uns andere mit ihrem schändlichen Halbwissen zu belästigen.«

»Mr. Blake…«, stammelt einer der beiden, nach einer peinlichen Pause, nun mit schwächlicher Stimme. »Wir haben nur geredet. Es hatte keine Bedeutung.«

»Für Sie mag es bedeutungslos sein, aber für mich ist es das ganz sicher nicht, wenn meine Arbeit beeinträchtigt wird, weil mein Hauptmodel verleumdet wird!«

Diesmal ist es still.

Mr. Blake seufzt. »Bitte berücksichtigen Sie, welche Auswirkung diese Gerüchte auf Ms. Aozora und ihr Privatleben haben. An dem ich nicht teilhabe, wie ich betonen möchte. Haben Sie verstanden?«

»Ja. Verzeihen Sie.«

»Verzeihung.«

»Entschuldigen Sie sich nicht bei mir«, sagt Mr. Blake und dreht sich, sodass er Rem zugewandt steht.

Erst da wird ihr klar, dass sie hätte gehen sollen, wenn sie nicht von den Männern gesehen werden wollte.

Schock breitet sich auf den Gesichtern der Männer aus, als sie um die Ecke sehen und Rem entdecken. »Ms. Aozora -«, beginnt einer von ihnen, aber Rem hebt ihre Hand, um ihn zu unterbrechen. »Vergessen Sie es einfach!«

Die beiden machen schuldbewusste Gesichter, aber sie sagen nichts mehr und gehen an Rem vorbei. Da sie ihnen nicht folgen will, steht sie unschlüssig da und weicht Mr. Blakes Blick aus. Sie sollte ihm danken, dafür, dass er versucht hat, Klarheit zu schaffen, aber unangenehm ist es dennoch. Es hat gerade erst angefangen, leichter zu werden und jetzt hört sie, was den Mitgliedern der Crew noch immer durch den Kopf geht, wenn sie arbeiten.

»Ms. Aozora. Sind Sie nicht hier, um sich etwas zu trinken zu holen?«, fragt Mr. Blake plötzlich und Rem zuckt zusammen. »Wie -? Oh, ja!« Sie geht auf ihn zu und tritt vor den Getränkeautomaten. »Danke«, murmelt sie, mit dem Rücken zu Mr. Blake. Er muss es auch so langsam müde sein, ständig zu wiederholen, dass seine Arbeitsmotivation nicht von einer stürmischen Liebe zu Rem herrührt. Denn, auch wenn sie zugeben muss, dass sie selbst einige Zweifel bezüglich seiner Absichten ihr gegenüber hatte, hatte er doch noch einmal zu Beginn ihrer Arbeit deutlich gemacht, dass er ein rein geschäftliches Interesse an ihr hat. Außerdem denkt er, dass sie mit Inouye zusammen ist.

Rem erstarrt bei diesem Gedanken. Mr. Blake denkt, dass sie mit Inouye zusammen ist! Sie wirbelt herum. »Mr. Blake!«, ruft sie mit etwas lauterer Stimme, als gewollt und Mr. Blake, der sich gerade zum Gehen abgewandt hat, sieht sie überrascht an.

»Ähm, was -, was Mr. Inouye und mich angeht -, ich meine, Sie haben doch niemandem davon erzählt?«

Mr. Blake legt die Stirn in Falten. »Welchen Grund sollte ich haben, mit jemandem über ihre persönliche Beziehung zu Mr. Inouye zu reden?«

Rem hebt die Hände. »Ich will nicht andeuten, dass Sie darüber tratschen würden, aber Sie nehmen wahrscheinlich fälschlich an, dass Mr. Inouye und ich…« Rem hält inne, als ihr klar wird, was sie im Begriff ist zu sagen. Dass sie keine feste Beziehung mit Inouye hat und sie nur mit ihm geschlafen hat, ganz genauso wie die Gerüchte sie beschreiben.

»Ms. Aozora.«

»Was ich sagen will, ist, dass diese Beziehung der Vergangenheit angehört und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie niemandem -«

Eine Hand wird auf dem Getränkeautomaten direkt neben Rems Kopf platziert. »Ms. Aozora!«, sagt Mr. Blake mit eindringlicher Stimme, dessen Gesicht sich nun dicht vor Rems befindet. »Erinnern Sie sich, weshalb ich Sie unbedingt als Model haben wollte?«

Rem blinzelt irritiert, verwirrt über die plötzliche Nähe und den Themenwechsel. »V-Verzeihung?«

»Haben Sie etwas Verbotenes getan?«

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«

»Haben Sie?«

»Nein.«

»Wofür rechtfertigen Sie sich dann?«

Rem starrt ihn überrascht an. »Ich...will mich nicht rechtfertigen, aber ich möchte verhindern, dass es Gerüchte über Mr. Inouye gibt. Er ist prominenter als ich und es hätte sehr viel schwerere Folgen für ihn.«

»Was ist mit Ihnen?« Seine Miene ist streng, aber der Blick in seinen Augen ist eine Spur weicher. »Wieso haben die Gerüchte so schwere Folgen für Sie?«

Rem runzelt die Stirn. »Es tut mir leid, ich versuche daran zu arbeiten -«

»Das habe ich nicht gemeint!« Mr. Blake unterbricht sie ein zweites Mal. »Ich will keine Entschuldigung hören, ich will wissen, wieso Sie sich von den Gerüchten so beeinflussen lassen.«

Rem starrt ihn an. Dann seufzt sie. »Ich weiß nicht, wie es in England ist, aber in Japan ist es kein Ehrenzeichen für eine Frau, wenn sie mit mehreren Männern schläft und dann auch noch, um ihre Karriere zu verbessern.«

»Na und?«, erwidert Mr. Blake, als hätte Rem etwas Belangloses gesagt. »Wieso interessiert Sie das?«

Mit einem Schnauben verschränkt Rem die Arme vor der Brust. »Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten, dass Sie glauben, mich würde so etwas unberührt lassen.«

»Ich halte Sie für eine Frau, die aus einer E-Mail, die dazu gedacht war, ihr einen Betrug anzuhängen, eine Werbekampagne gemacht hat.«

»Aber das ist etwas anderes!«

»Wieso? Können Sie es nicht ausnutzen, dass die Leute glauben, Sie hätten es nötig, Ihre Kunden zu verführen?«

Diesmal antwortet Rem nicht sofort, denn ganz unrecht hat Mr. Blake nicht. Aber das Problem bei den Gerüchten ist ja nicht nur, dass angenommen wird, dass Rem ihren Job nicht könnte. Sondern auch, dass erwartet wird, dass sie bei Kunden auf bestimmte Taktiken zurückgreift. In den letzten Wochen hatte Rem mehr Probleme mit sexueller Belästigung als im ganzen Jahr davor. Meistens sind es nur Bemerkungen, über die sich aufzuregen eine Zeitverschwendung wäre, aber unangenehm sind sie dennoch. Daher hat Rem nie daran gedacht, sie auszunutzen.

Mr. Blake lächelt. »Zeigen Sie den Leuten, wie Sie ihren Job machen und niemand wird -«

»Mr. Blake!«

Rem zuckt bei der vertrauten Stimme zusammen und dreht den Kopf, um den Flur hinunterzusehen.

Dort, aus der Richtung, die zu einem anderen Studio führt, kommt Inouye auf sie zu. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das Rem erschaudern lässt.

»Vielleicht wären Sie so freundlich, mir zu erklären, was Sie da tun?«

Mr. Blake runzelt die Stirn und wirft Rem einen fragenden Blick zu. Aber er nimmt seine Hand von dem Getränkeautomaten und tritt einen Schritt zurück. »Ms. Aozora und ich haben uns unterhalten.«

»Wirklich?« Inouye bleibt vor ihnen stehen und seine Augen huschen zu Rem. Während er sie betrachtet, kühlt sein Blick deutlich ab, auch wenn sein Lächeln bestehen bleibt.

»Wir haben uns nur unterhalten«, sagt Rem, um Mr. Blakes Worte zu bestätigen, aber Inouye beachtet sie gar nicht.

»Standen Sie nicht ein bisschen zu nah, für ‚nur‘ eine Unterhaltung?«

»Überlassen Sie diese Einschätzung doch Ms. Aozora und mir. Unsere Unterhaltung hat schließlich nichts mit Ihnen zu tun, Mr. Inouye.«

Inouye hebt die Brauen. »Es hat nichts mit mir zu tun, wenn Sie Ms. Aozora bedrängen.«

Rem starrt Inouye empört an. »Das ist ein Missverständnis, Mr. Inouye«, sagt sie mit gepresster Stimme, nur um wieder ignoriert zu werden.

»Ganz genau«, sagt Mr. Blake, ohne Inouye aus den Augen zu lassen. »Ms. Aozora kann für sich selbst sprechen, wie Sie sehen. Es ist bewundernswert, dass Sie sich für eine Kollegin einsetzen wollen, aber Sie sollten vorher sichergehen, dass Sie wirklich gebraucht werden.«

Inouyes Blick verdüstert sich. »Eine Kollegin?«, wiederholt er.

»Ms. Aozora hat mich darüber aufgeklärt, dass sie keine private Beziehung teilen, weshalb ich Ihr Verhalten genauso infrage stellen könnte, wie Sie meines.«

Etwas blitzt in Inouyes Augen auf und sein Lächeln ist schlagartig verschwunden. »Denken Sie, Sie hätten jetzt eine Chance, weil ich - «

»Das reicht jetzt!«, sagt Rem mit lauter Stimme und stellt sich unterstreichend zwischen Inouye und Mr. Blake. Sie wirft ersterem einen warnenden Blick zu, bevor sie sich an Mr. Blake wendet und entschuldigend den Kopf senkt. »Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeit und ich danke Ihnen für Ihren Rat. Ich werde darüber nachdenken.«

»Rem, was -«

Rem reißt den Kopf herum, als nicht Mr. Blake, sondern Inouye auf ihre Worte antwortet. Aber unter ihrem scharfen Blick klappt er den Mund wieder zu und zieht den Kopf ein.

Rem sieht wieder zu Mr. Blake. »Verzeihen Sie, aber bitte geben Sie mir fünf Minuten, um das zu klären.« In diesem Moment ist Rem zu aufgebracht, um richtig darauf zu achten, aber Mr. Blakes Lippen kräuseln sich, als müsste er ein Grinsen zurückhalten. »Natürlich. Ich sehe Sie nach der Pause am Set«, sagt er, macht aber keine Anstalten als erster zurückzugehen.

Rem zwingt ein Lächeln auf ihre Lippen, bevor sie sich zu Inouye umdreht. »Mitkommen!«, knurrt sie leise, bevor sie an Mr. Blake vorbeigeht und sich auf den Weg zu ihrer Umkleidekabine macht.

Rem öffnet die Tür für Inouye und schließt sie geräuschvoll hinter sich, bevor sie sich mit verschränkten Armen an Inouye richtet. »Was sollte das?!«, fragt sie mit barscher Stimme, aber zu ihrer Überraschung erwidert er ihren Blick genauso verärgert. »Das sollte ich dich fragen! Was für ein Gespräch war das, dass es nötig war, ihm zu versichern, dass nichts zwischen uns ist!«

Rem sieht ihn ungläubig an. »Denkst du, du bist in einer Position, in der du das Recht hast, wütend auf mich zu sein?!«

»Hast du eine Ahnung, wie das gerade aussah?« Er deutet zur Seite, etwa in die Richtung, in der sich der Getränkeautomat befindet. »So dicht, wie er vor dir stand und mit dir in diesen Klamotten! Was, wenn nicht ich, sondern jemand anderes vorbeigekommen wäre?! Du behandelst mich, als hätte ich etwas Schlimmes getan, dabei wollte ich nur helfen!«

»Das verstehst du unter ‚helfen‘?!«, faucht Rem. »Mal abgesehen davon, dass du die Situation schlimmer gemacht hast, habe ich dir schon einmal gesagt, was ich von dieser Art von Hilfe halte! Zählt es für dich nicht, was ich sage, oder glaubst du, du hättest irgendwelche Besitzansprüche auf mich, weil wir miteinander geschlafen haben?!«

»So ist das nicht!«, gibt Inouye nun ebenfalls mit erhobener Stimme zurück.

»Dann verrate mir doch, wieso du dich zum zweiten Mal wie ein besitzergreifendes Arschloch aufführst, nur weil ich es gewagt habe, mich mit einem Kollegen zu unterhalten, während ich mein Kostüm trage?! Sehe ich so aus, als könnte ich nicht für mich selbst sprechen?!«

»Ich wollte nur verhindern, dass die Gerüchte schlimmer werden!«

»Wir haben uns nur unterhalten!«

»So sah es nicht aus!«

Rem starrt ihn an. »Was soll das heißen?! Dass ich mich auf Mr. Blake einlasse?! Glaubst du das?!«

»Ich sage nur, dass ihr zu dicht beieinander standet.«

»Und wer bist du, um das zu beurteilen?! Selbst wenn wir zu dicht beieinander standen, wieso musst du dich gleich so bescheuert aufführen?!«

Inouye erstarrt. Er sagt nichts und Rem weiß nicht, was sie von seinem geschockten Gesichtsausdruck halten soll. Sie schüttelt den Kopf. »Ich muss zurück zum Set.« Sie dreht sich um, um die Tür zu öffnen, aber als ihre Hand die Klinke berührt, packt Inouye ihren Arm.

Rem dreht sich um, um ihn fragend anzusehen, aber Inouye starrt zu Boden. Außerdem, und das hält sie davon ab, etwas zu sagen, spürt sie, dass seine Hand zittert.

»Tu nicht so, als wüsstest du das nicht«, wispert er mit tonloser Stimme.

Rem starrt ihn an.

Seine Schultern beben und er hat den Kopf eingezogen, als fürchte er sich vor ihrer Reaktion. Es ist ein so ungewohnter Anblick, dass Rem ihn nur anstarren kann.

Und dann lässt Inouye sie los. Plötzlich und so hastig, als wäre ihm erst da klar geworden, was er tut. »Ich m-meine…« Er bricht ab und räuspert sich. Dabei hebt er eine Hand und hält sie sich vor den Mund, und sie bleibt dort, während sich seine Wangen rosa färben. »Es tut mir leid, ich hab nicht nachgedacht. Du hast gesagt, ich soll mich von dir fernhalten, aber es sah so aus, als würde er dich bedrängen und dann…« Er räuspert sich erneut. Vielleicht hat er gemerkt, wie schnell er spricht, oder einfach nur, um sich zu unterbrechen. Und er sieht sie nicht an. Er blinzelt oft und hält noch immer die Hand vor sein Gesicht.

Es ist nicht das Verhalten von jemandem, der Besitzansprüche an sie stellt und Rem muss unwillkürlich an die Situationen denken, in denen er zu vertraut mit ihr umgegangen ist. Momente, in denen sie das Gefühl hatte, dass er sie nicht nur als eine bedeutungslose Affäre gesehen hat. Tu nicht so, als wüsstest du das nicht.

»V-Vielleicht sollten wir uns nach der Arbeit treffen und reden«, sagt sie schließlich, nun ebenfalls mit dünner Stimme.

Inouye räuspert sich erneut. »Okay, wann bist du hier fertig?«

Rem blinzelt. »Oh, das kann ich gar nicht sagen. Wir müssen noch so viel nachholen und je nachdem wie gut es klappt...vielleicht ist heute nicht so gut.«

»Dann morgen? Freitag würde mir auch besser passen.«

Rem erstarrt. Unter den Umständen kann sie Inouye unmöglich sagen, dass sie schon mit Kosuke verabredet ist. »Morgen habe ich leider schon etwas vor«, sagt sie und wünschte in diesem Moment nichts mehr, als Kosuke absagen zu können. Aber es ist nicht so, dass sie ihre Verabredung mit Kosuke verschieben kann.

»Oh«, macht Inouye und fährt sich unbeholfen durchs Haar. »Dann am Wochenende?«

Rem, die bei seinem entmutigten Blick am liebsten sofort Ja gesagt hätte, presst die Lippen aufeinander. »Der Umzug«, bringt sie schließlich heraus.

Inouye tritt einen Schritt zurück. »Ist schon in Ordnung. Ich weiß -«

Rem folgt ihm und packt seine Hand. »Ich mach das nicht mit Absicht, es ist wirklich nur schlechtes Timing. Ich weiß nicht, wie lange der Umzug dauert, aber ich hab am Sonntag bestimmt ein bisschen Zeit. Ich schreib dir, okay?«

Inouye schenkt ihr ein Lächeln, das sie zu gut kennt, um davon überzeugt zu sein. »Klar, mach dir keinen Stress.«

»Mach ich nicht. Ich will wirklich mit dir reden.« Ihre Augen huschen zwischen seinen hin und her, um seine Reaktion zu überprüfen.

»Sicher. Du musst zum Set zurück, oder?«, erwidert Inouye immer noch lächelnd.

»Ja.« Rem lässt seine Hand los. Es gefällt ihr nicht, aber sie wird bis Sonntag warten müssen. Vielleicht schafft sie es sogar noch am Samstagabend. Sie lächelt. »Ich schreib dir, versprochen«, sagt sie noch, bevor sie die Umkleide verlässt und sich auf den Weg zurück ins Studio macht.

Das Gespräch ist vielleicht nicht optimal verlaufen, aber sie ist froh, dass sie nicht impulsiv Zeit für Inouye auf Kosten von Kosuke gemacht hat. So sehr sie sich mit Inouye aussprechen will, der Abschied von Kosuke ist ihr auch wichtig. Es ist nur fair, mit Kosuke abzuschließen, bevor sie sich mit Inouye trifft. Also ist es gut, so wie es ist.


 

Als Rem am Freitag nach der Arbeit nach Hause kommt, räumt sie hastig ein bisschen auf, bevor sie sich frisch macht und in eine Bluse und eine bequeme Hose schlüpft, sodass sie nicht zu schick, aber auch nicht schäbig aussieht. Und dann klingelt Kosuke auch schon. So hat sie gar keine Zeit besorgt zu sein oder sich zu viele Gedanken über Inouye zu machen.

»Du hast wirklich alles kahl gelassen«, bemerkt Kosuke, als er ihre Wohnung betritt und sich umsieht. Er hat einen Eimer Fried Chicken unterm Arm und eine Tüte mit Bierdosen.

»Ich hatte keine Zeit zum Dekorieren«, sagt Rem und streicht sich nervös ein paar Haare hinters Ohr. »Und du hättest das nicht alles selbst kaufen müssen.«

»Schon okay.« Kosuke lächelt und stellt die Sachen auf dem Tisch ab. »Und du hast nie Zeit zu dekorieren. Normalerweise macht Frauen sowas doch Spaß.«

Rem verzieht das Gesicht. »Was soll das denn heißen?«

»Nur, dass Frauen meiner Erfahrung nach eher darauf achten, ein gemütliches Heim zu haben.«

»Deiner Erfahrung nach?«, wiederholt Rem mit vor der Brust verschränkten Armen.

Kosuke nickt mit gewichtiger Miene. »Meiner Mangaerfahrung nach«, sagt er, als wäre das eine zuverlässige Quelle. »Und von meiner Mutter und deiner Mutter. Aber du kommst in der Hinsicht wohl eher nach deinem Vater.« Er mustert sie kurz.

Rem sieht ihn nur wortlos an. Sie hat vergessen, dass Kosuke dazu neigt, Unsinn zu plappern, besonders wenn er nervös ist.

Kosuke grinst. »Wie geht es deinen Eltern eigentlich? Alles gut?«

Rem seufzt. »Es ist wie immer, du kennst sie ja.«

Kosuke kichert. »Okay, nicht überraschend. Und was ist mit dir. Läuft im Büro immer noch alles rund?«

Sie zögert. Früher hätte sie ihm von dem Betrug erzählt, den Gerüchten und von Sasaki, die sie zu sabotieren scheint, aber heute ist ihr nicht einmal danach, ihm von ihrer neuen Freundschaft mit Kondo zu erzählen. Er weiß noch nicht einmal, dass sie mit Mori und Yamato per du ist. »Ja, auch alles wie immer. Sollten wir nicht über deine Arbeit reden?«

Kosuke lacht und fährt sich durchs Haar. »Was willst du denn wissen?«, fragt er und tut so, als wäre er damit beschäftigt, die Bierdosen aus der Tüte zu holen. Aber Rem kennt ihn gut genug, um zu wissen, dass er darauf gewartet hat, dass sie diese Frage stellt. Sie zuckt mit den Schultern. »Du hast einen festen Platz in einem Magazin. Wie kam es dazu?«

Kosuke grinst mit vor Aufregung geröteten Wangen. »Ich hab dir doch gezeigt, wo ich meine erste Geschichte veröffentlicht habe…«

Und so erzählt Kosuke ihr ausschweifend, wie er zu seinem Vertrag mit WeeklyManga kam. Dabei rutscht er irgendwann immer tiefer in seine Geschichten ab und welche Gedanken er sich beim Zeichnen macht. Aber es stört Rem nicht, dass er ihr praktisch einen Monolog über die Arbeit eines Mangaka hält. Es gibt nichts, dass sie ihm im Moment erzählen möchte und es ist erfrischend, sich mit jemandem zu unterhalten, der keine Ahnung von den Gerüchten über sie hat. Und so sitzt sie neben Kosuke auf dem Bett, trinkt Bier und isst Fried Chicken, während sie ihm zuhört.

»...und ich dachte, das ist haargenau wie in meiner Geschichte. Ich versuche immer, meine Geschichten und die Charaktere mit meinen Erfahrungen aus der Realität abzugleichen.«

Es ist beinahe wie früher. Kosuke hat nicht unbedingt ein Talent dafür, sich auszudrücken oder fesselnde Reden zu halten. Er verspricht sich sogar oft oder verschachtelt sich in seinen Sätzen, sodass es manchmal schwer ist, ihm zu folgen. Aber wann immer er über seine Arbeit spricht, sieht er so begeistert aus, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt, als Mangaka zu sein.

»Dich zum Beispiel. Als wir noch in der Schule waren, warst du meistens die Grundlage für meinen weiblichen Hauptcharakter.«

Rem verzieht das Gesicht. »Das hast du mir schon mal gesagt. Und diese Charaktere waren alle ein bisschen dumm.«

Kosuke schüttelt heftig den Kopf. »Nicht dumm, im Gegenteil. Nur eben nicht so gut, was das Zwischenmenschliche angeht.«

Rem verdreht die Augen.

»Du kannst nicht abstreiten, dass das stimmt«, sagt er und deutet mit dem Finger auf sie. »Deswegen hat Shiroma dich so gehasst.«

Rem sagt nichts, weil sie ihm nicht widersprechen kann. Hana Shiroma ist eine ehemalige Klassenkameradin von Rem und Kosuke gewesen, die Rem nicht in die Augen sehen konnte, ohne die Nase zu rümpfen.

Kosuke lacht. »Weißt du noch, als wir diese Gruppenarbeit gemacht haben? Und Shiroma versucht hat, uns zu koordinieren und du sie ständig verbessert hast? Irgendwann hat sie dich angeschnautzt, dass wir erst seit fünf Minuten zusammensitzen und du sie schon 100 Mal verbessert hast und weißt du noch, was du gesagt hast?« Er klopft mit der Hand auf die Matratze, während er noch heftiger lacht. Es muss daran liegen, dass sie schon einige Dosen Bier geleert haben, denn Rem kann sich nicht daran erinnern, dass es so lustig war. Für sie ist es eher peinlich.

»Du hast gesagt, und das weiß ich noch ziemlich genau, du hast gesagt: Acht Mal. Und es sind zwölf Minuten. Hahaha! Ich dachte, ihr Kopf explodiert.«

»Sie hat unnötig viel Zeit verplempert und dann auch noch ständig das Thema verwechselt«, grummelt Rem in ihr Bier hinein. »Wenn ich nichts gesagt hätte, wären wir gar nicht fertig geworden.«

Kosuke nickt eifrig. »Du hast recht, aber du warst manchmal einfach ein bisschen zu direkt. Weißt du noch, Mr. Omori?«

»Nein!« Rem schüttelt heftig den Kopf.

»Du hast ihn vor der Klasse als Mann entblößt, der seine Frau betrügt.«

»Das war keine Absicht!«, verteidigt Rem sich, auch wenn sie weiß, dass sie damals einfach den Mund hätte halten sollen. »Er hat damit angegeben, dass er immer mit dem Fahrrad zur Schule fährt, dabei war es offensichtlich, dass ihn jemand gefahren hat. Ich wusste nicht, dass es nicht seine Frau war.«

»Wieso hast du überhaupt etwas gesagt?«

»Weil er es so oft betont hat, dass es verdächtig war. Es war, als wollte er sichergehen, dass wir nie vergessen, dass er mit dem Fahrrad kommt.«

»Klar, er wollte nicht, dass seine Frau ihn erwischt. Sie hat ihn immer abgeholt, weißt du noch?«

Rem hebt unterstreichend einen Finger. »Ihr hab ich es nicht gesagt.«

»Weil er uns alle angefleht hat, die Klappe zu halten.« Kosuke kichert. »Du hättest Detektiv oder so etwas werden sollen.«

»Damit hätte ich mir bestimmt nur Ärger eingehandelt. Außerdem brauchte ich Geld, um die Wohnung zu bezahlen.«

Kosukes Lächeln verblasst. »Tut mir leid. Ich weiß, dass du nie die Zeit hattest, dir zu überlegen, was du mal machen möchtest, und dabei hast du mir alle Zeit der Welt gegeben.«

Rem sieht ihn überrascht an. Dann schüttelt sie den Kopf. »Das stimmt nicht. Ich wollte nicht mehr bei meinen Eltern wohnen und ich wäre auch ohne dich ausgezogen. Und ich mag meinen Job.«

Er lächelt. »Siehst du, das ist genau das, was ich an deinem Charakter mag«, sagt er mit sanfter Stimme. »Du bist sehr korrekt und manchmal zu direkt, aber du meinst es immer gut. Du bist jemand, auf den man sich immer verlassen kann, und das ist eine seltene Eigenschaft unter Menschen.«

Rem blinzelt und senkt den Blick. »Ich weiß nicht, ob das stimmt.«

»Doch. Deswegen liebe ich deinen Charakter.«

Rem zuckt zusammen und hebt den Blick. Sie hat nicht erwartet, das Wort ‚liebe‘ aus seinem Mund zu hören.

Kosuke erwidert ihren Blick. Er scheint ihre Reaktion einzuschätzen und Rem spürt, wie Wärme in ihr aufsteigt. Sie weiß nicht, woher diese plötzliche Spannung kommt, aber in diesem Moment ist es ihr unmöglich den Blick von Kosuke zu nehmen.

Er lehnt sich vor.

Die Hitze und der Alkohol machen sie ganz wirr im Kopf und sie kommt sich blöd vor, als er nur seine Bierdose auf dem Stuhl auf Rems Seite des Betts abstellt. Sie schließt die Augen und atmet aus.

»Rem?«

Sie zuckt ein wenig zusammen, da seine Stimme sehr dicht ist, und öffnet hastig die Augen.

Ein Lächeln umspielt Kosukes Lippen. »Wieso schließt du deine Augen?«

Sie blinzelt ein paar Mal und ihr wird noch wärmer. »Ich glaube, ich hab zu viel getrunken«, murmelt sie und reibt sich die Stirn.

»Ja?« Eine kühle Hand legt sich an ihre Wange. »Dein Gesicht ist warm«, wispert er, während er sich langsam nähert.

»Warte«, murmelt Rem mit schwächlicher Stimme, kurz bevor sich ihre Lippen berühren.

Er hält inne und sein Blick huscht zu ihren Augen.

Rem schluckt und versucht, ihre Gedanken in Ordnung zu bringen. Und dann liegen seine Lippen auf ihren. Er küsst sie sanft. Aber dann wandert seine Hand zu ihrem Nacken und er vertieft den Kuss. Es hat etwas Vertrautes an sich. Seine kühle Hand, die etwas steif in ihrem Nacken liegt, seine direkte Art, sie zu küssen, sein Geruch. Kosuke hat schon immer versucht, von Anfang an eine dominante Rolle einzunehmen, sodass er nie ausgetestet hat, auf welche Weise Rem seinen Kuss erwidern würde. Er hat sie einfach immer geradeheraus geküsst und Rem hatte erst durch Inouye gelernt, was der Unterschied zwischen einem Kuss und einem guten Kuss ist.

Rem öffnet die Augen. Der Gedanke an Inouye und ihr Gespräch vor zwei Tagen klärt den Nebel in ihrem Kopf und sie schiebt Kosuke zurück. »Das sollten wir nicht tun«, sagt sie mit leiser, aber entschlossener Stimme.

Kosuke lehnt sich zurück und setzt sich wieder hin. »Es tut mir leid. Ich weiß, dass du immer noch sauer auf mich bist.«

»Darum geht es nicht«, sagt Rem und hebt eine Hand, aber Kosuke schüttelt den Kopf. »Bitte, ich muss das sagen.« Er sieht sie flehend an und Rem senkt ihre Hand wieder.

Er legt die Stirn in Falten. »Seit wir uns getrennt haben, hatte ich viel Zeit nachzudenken, und mir ist aufgefallen, dass du viel mehr auf mich eingegangen bist, als ich auf dich. Ich hab immer nur meine Arbeit und Mangas im Kopf, und immer versucht dich dafür zu begeistern. Aber ich hab nie versucht, mich für deine Hobbys zu interessieren.«

»Kosuke…«, setzt Rem an, aber er redet hastig weiter: »Ich war sehr unfair zu dir und ich will, dass du weißt, dass ich darüber nachgedacht habe.«

Rem sagt nichts. Sie weiß nicht, ob sie ihm vergeben kann, dass er sie betrogen hat, aber sie hasst ihn nicht genug, um ihm nicht die Möglichkeit zu geben, ihre Trennung ebenfalls hinter sich zu lassen.

Kosuke hebt eine Hand und beginnt, mit seinen Ohrringen an seinem linken Ohr zu spielen. »Als ich mit dir eingezogen bin, hab ich mir vorgenommen, dass ich mich ins Zeug lege, damit ich bald auch Geld verdiene. Ich wollte immer, dass du die erste bist, die hört, dass ich eine Geschichte veröffentlicht habe. Aber jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, bist du nicht mehr da.«

Rem presst die Lippen aufeinander. Sie fragt sich, was gewesen wäre, wenn Kosuke früher eine Geschichte veröffentlicht hätte. Ob sie sich dann nicht getrennt hätten. Aber dann seufzt sie. »Vielleicht hätten wir uns trotzdem getrennt. Auch wenn du früher veröffentlicht und Geld verdient hättest, ändert das nichts daran, dass wir nicht viele Gemeinsamkeiten haben. Es hätte also bestimmt auch so gekracht.«

»Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. So oder so ist alles meine Schuld.«

Sie schüttelt den Kopf. »Es ist nicht alles deine Schuld.« Sie zögert kurz. Dann fügt sie hinzu: »Nur dass du mich betrogen hast, ist zu 100 Prozent deine Schuld und ich nehm es dir übel.«

Kosuke zieht den Kopf ein. »Ich weiß, ich weiß. Ich hasse mich auch dafür.«

Sie nickt. »Mach das nie wieder. Sonst endest du wie Mr. Omori.«

Er hebt den Blick und sieht sie verdutzt an. Dann prustet er. »Ja, verstanden.«

Rem lächelt, erleichtert, dass sie die Stimmung auflockern konnte.

»Also wenn ich verspreche, dass ich dir nie wieder so wehtun werde, gibst du mir noch eine Chance?«

Rems Lächeln verblasst. »Das ist nicht so einfach, Kosuke.«

»Wieso nicht?« Er stützt die Hände auf der Matratze auf, während er sich zu ihr vorbeugt. »Du hättest dich nicht mit mir getroffen, wenn du jemand anderen hättest.«

Rem spürt einen Stich von Schuld und sie fragt sich, ob es doch das richtige gewesen wäre, Kosuke abzusagen.

»Es tut mir wirklich leid!« Er greift ihre Hand. »Wenn du willst, entschuldige ich mich auf Knien bei dir. Sag mir einfach, was ich tun soll.«

»Ich denke nicht, dass das einen Unterschied macht.«

»Wieso? Du hast mich doch geliebt, oder?« Kosuke sieht sie hoffnungsvoll an, aber Rem beißt sich auf die Lippe, als die Erinnerung daran, wie er ihr vorgeworfen hat, ihn nie geliebt zu haben, ihr durch den Kopf geht. »Ich habe dich geliebt, aber - «

»Wie oft muss ich deine Hand küssen, bis aus Vergangenheit Gegenwart wird?« Kosuke hebt ihre Hand an seine Lippen.

»Kosuke, das bringt doch nichts.« Rem schüttelt den Kopf und zieht an ihrer Hand.

»Dann deinen Fuß?«

Sie hält verdutzt inne. »Was?«

Kosuke lässt ihre Hand los und wendet sich ihren Füßen zu.

»Nein! Halt!« Rem packt seinen Arm, um ihn davon abzuhalten, ihr tatsächlich die Füße zu küssen.

»Nicht?« Kosuke sieht sie so unschuldig an, als wäre das ein ganz normales Vorgehen.

Rem lacht. »Du bist so ein Idiot.«

Kosuke lächelt. »Dann vergibt deinem Idioten«, murmelt er noch, bevor er sich vorbeugt und sie erneut küsst. Diesmal ist er nicht vorsichtig und Rem, die sich hingekniet hat, um ihre Füße aus seiner Reichweite zu ziehen, hält sich an seinen Schultern fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Aber sie verliert es trotzdem und landet mit dem Rücken auf der Matratze, Kosuke über sich.

»Warte«, sagt sie, aber dann liegen seine Lippen wieder auf ihren und er küsst sie noch intensiver als zuvor.

»Mh!« Rem drückt gegen seine Schultern und dreht den Kopf weg. »Lass das«, sagt sie, aber Kosuke nutzt ihre Bewegung, um ihren Hals zu küssen.

»Nicht«, sagt Rem erneut und drückt gegen seine Schultern.

»Sei doch nicht so«, murmelt Kosuke nah bei ihrem Ohr. »Ich möchte, dass du dich gut fühlst.«

»Nein! Ich will das nicht!«, sagt sie wieder, diesmal mit mehr Nachdruck und stemmt ihre Hände stärker gegen seine Schultern. »Stopp!«

Kosuke richtet sich schließlich auf, aber nur um ihre Handgelenke zu packen und auf die Matratze zu drücken. »Was ist denn schon dabei? Mit diesem Typen von der Arbeit treibst du es doch auch.« Er grinst. »Ich hab euch gehört, schon vergessen?«

Rem starrt ihn an. Das Grinsen auf seinem Gesicht, der Blick in seinen Augen, als er auf sie herabsieht. Es ist ein Ausdruck, wie die, die sie im Büro verfolgt haben. Herabwürdigend, spottend, begierig. Aber von Kosuke auf diese Weise angesehen zu werden, ist unerträglich.

»Er muss richtig gut sein, so laut wie du warst.« Kosuke packt sein Shirt und zieht es sich über den Kopf.

Sie hält den Atem an, während er sich wieder zu ihr herunterbeugt. Er lässt ihre Handgelenke los, um ihre Bluse aufzuknöpfen. »Aber ich bin besser«, flüstert er ihr ins Ohr, bevor er an ihrem Hals zu knabbern beginnt.

Rems Zähne graben sich in ihre Unterlippe, während die Decke über ihr verschwimmt.

Kosukes Hand schiebt sich unter ihre Bluse und greift ihre linke Brust.

Sie schnappt nach Luft und ihr zittriger Atem bleibt ihr in der Kehle stecken.

Kosuke hebt den Kopf. »Rem?«

Tränen laufen aus Rems Augenwinkeln, sodass sie kaum erkennen kann, was für ein Gesicht er macht. »Seit wann...«, schluchzt sie und ihre Stimme kommt ihr kaum über die Lippen. »...bin ich so wertlos in deinen Augen?«

Kosuke erstarrt. »W-Was?«

»Ich habe...dich geliebt.« Rems Stimme bebt und ihr laufen noch immer Tränen aus den Augen. »Aber du hast mich betrogen. Und du hast mich verlassen. Und jetzt, als ich endlich über dich hinweg bin, vergewaltigst du mich?« Ihre Stimme versagt am Ende und Rem presst die Lippen aufeinander, um nicht in Schluchzen auszubrechen.

»Was?! Nein!« Er reißt abwehrend die Hände hoch. »Ich würde nie…!«

»Wieso tust du das dann?«, bringt sie heraus. »Ich habe Nein gesagt!«

»Ja, aber ich hab doch gar nichts getan. Scheiße, wieso weinst du? Mit diesem Kerl hast du es doch auch ständig getrieben! Wieso machst du plötzlich so ein Problem daraus!«

In diesem Moment zerbricht etwas in Rem. Alles, was sie in den letzten Wochen so sorgsam unter Verschluss gehalten hat. Der Stress, die Wut und die Scham, alles sprudelt heraus. Obwohl ihr Körper heftig zittert, setzt sie sich auf und verpasst Kosuke einen so kräftigen Stoß, dass er vom Bett fällt. »UND WENN ICH ES MIT JEDEM VERDAMMTEN MANN IN GANZ JAPAN TREIBEN WÜRDE, NEIN HEIßT NEIN!«, brüllt sie so laut, dass ihre Stimmbänder schmerzen und Kosuke erschrocken rückwärts vor ihr wegkriecht.

»Rem, ich wollte nur -«

»RAUS!« Rem deutet auf die Tür.

»Lass es mich erklären!«

Sie packt sein Shirt, das neben dem Bett auf den Boden gefallen ist, und schleudert es ihm ins Gesicht. »HAU AB!«

Er rappelt sich auf die Füße. »Rem!«

»VERSCHWINDE!«

Und dann endlich dreht Kosuke sich um und geht.

Er hat Rem kaum den Rücken zugekehrt, als ihre Knie nachgeben und sie schluchzend zu Boden sinkt. Sie stützt sich mit beiden Armen auf dem Boden auf, aber sie zittert so stark, dass sie sich trotzdem kaum aufrecht halten kann. Und dann sagt jemand ihren Namen.

Rem reißt den Kopf hoch und für einen schrecklichen Moment denkt sie, Kosuke ist zurückgekommen. Aber es ist nicht Kosuke. Es ist viel schlimmer.

Rems Kehle schnürt sich zu, als sie in Inouyes Gesicht sieht, und es ist, als würde sämtliche Wärme aus ihrem Körper verschwinden. Er ist hier, denkt sie. Er hat Kosuke gesehen und er wird herausfinden, was sie getan haben. Sie muss etwas sagen! Sie muss es ihm erklären!

Aber kein Wort will ihr über die Lippen kommen.

Dieses Feld ist obligatorisch

Dieses Feld ist obligatorisch

Die E-Mail-Adresse ist ungültig

Ich bin damit einverstanden, dass diese Daten zum Zweck der Kontaktaufnahme gespeichert und verarbeitet werden. Mir ist bekannt, dass ich meine Einwilligung jederzeit widerrufen kann.*

Dieses Feld ist obligatorisch

* Kennzeichnet erforderliche Felder
Bei der Übermittlung Deiner Nachricht ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuch es erneut.
Vielen Dank für Deinen Kommentar :)

Kommentar

Konstruktive Kritik ist immer erwünscht. Schreib mir, was du denkst und hilf mir damit weiter :)

© 2024 Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten.

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.