Posterboy

XXVIII.

Zwei Gesichter

»Ist das dein Ernst?« Tomoda sieht Kohei an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen und Kohei verdreht die Augen. Er ist an diesem Morgen etwas später zur Arbeit gekommen. Gestern Abend sind er und Marika ausgegangen und es ist spät geworden, sodass es nicht viel Überzeugung von Marikas Seite gebraucht hat, um ihn zu überreden, am Morgen etwas länger zu schlafen. »Was ist so schlimm daran, dass ich mir eine Pause gönne? Ich hab in den letzten zwei Jahren viel zu oft, viel zu lange gearbeitet«, sagt er und rezitiert damit Marikas Worte, die sie zu ihm gesagt hat, um ihn zu überzeugen, mit ihr am letzten Freitag in einen Club zu gehen.

»Aber was ist mit Ms. Aozora und der Monatsendauswertung?«

Kohei zuckt mit den Schultern. »Aozora ist so mit ihrem Model-Ding beschäftigt, dass sie mich diesen Monat sowieso nicht schlägt. Und selbst wenn, wen interessiert das?«

Tomoda klappt die Kinnlade herunter.

»Ich meine, dass Aozora gerade größere Probleme als die Monatsendauswertung hat.«

Tomoda blinzelt. Dann leuchtet etwas in seinen Augen auf. »Ah, weil Ms. Aozora gerade keine Zeit für dich hat, hast du deine Motivation verloren. Ja, das macht Sinn.«

Kohei nimmt den Blick von seinem Bildschirm, um Tomoda verärgert anzusehen. »Was willst du eigentlich sagen? Dass ich meine Arbeit vernachlässige, weil Aozora es tut? Tu ich nicht, ich habe nur aufgehört, mehr zu arbeiten als ich muss. Ich hab auch so etwas wie Freizeit.«

»Hm, meinst du die Prinzessin? Läuft da was zwischen euch?«

»Nein«, antwortet Kohei sofort, bevor er ein Lächeln auf seine Lippen bringt. »Noch nicht.«

Tomoda runzelt die Stirn. »Okay.«

Kohei steht auf. »Ich muss kurz telefonieren«, informiert er Tomoda, bevor er das Büro verlässt. Normalerweise würde er für ein Telefonat in einen Videoraum gehen, aber der Anruf ist nicht direkt beruflich, deshalb macht er sich auf den Weg zum Dach.

Er schaut auf sein Handy, auf dem er durch seine Kontakte scollt, als er nach draußen tritt, hebt dann aber den Kopf, um zu sehen, ob er allein ist. Er hat darauf geachtet, kurz nach Mittag zu gehen, wenn die meisten ihre Pause gerade hinter sich haben, aber es ist trotzdem jemand auf dem Dach.

Kohei packt sein Handy fester, als er Rem am Geländer stehen sieht. Er hat vergessen, dass sie hierherkommt, wenn es ihr schlecht geht. Und offenbar ist sie so in Gedanken versunken, dass sie ihn nicht hört.

Er wirft einen Blick über die Schulter in den Flur. Vielleicht sollte er wieder gehen.

»Mr. Inouye?«

Zu spät. Kohei sieht wieder nach vorn und zu Rem, die nun ihm zugewandt steht. Er setzt ein Lächeln auf. »Verzeihen Sie die Störung, Ms. Aozora. Ich wusste nicht, dass Sie auf dem Dach sind.« Er meint bei diesen Worten eine kleine Falte zwischen Rems Augenbrauen zu sehen, so als ob ihr seine Worte missfallen würden. Dabei ist sie diejenige, die auf diesen Abstand besteht. Selbst als sie sich noch getroffen haben, hat sie sich standhaft geweigert, ihn mit seinem Vornamen anzureden. Sogar vor ihrer Affäre hat sie manchmal seinen Vornamen gesagt, wenn auch nur als Teil seines vollen Namens, wenn sie ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte.

»Das ist kein Problem, ich wollte sowieso gerade gehen.« Noch während sie spricht, kommt sie auf ihn zu, wobei sie es eilig zu haben scheint, an ihm vorbeizugehen.

Kohei tritt zur Seite, um ihr Platz zu machen, nach wie vor mit einem höflichen Lächeln auf dem Gesicht.

Rem lächelt nicht. Sie sieht ihn nicht einmal an. Doch als sie an ihm vorbeigeht, weht ihm schwach der Duft von Jasmin entgegen und Kohei schließt die Augen. Aber dann ermahnt er sich, weshalb er hergekommen ist, und geht von der Tür weg. Nur für den Fall, dass doch jemand aufs Dach kommt, während er telefoniert, sucht er sich den Platz heraus, der am weitesten von der Tür entfernt ist. Dann richtet er seinen Blick wieder auf sein Handy und wählt den richtigen Kontakt aus.

Es klingelt ein paar Mal, bevor ein Klicken von der anderen Seite ertönt. »Hallo?«

»Ich bins«, sagt Kohei trotz allem mit gesenkter Stimme. »Ist alles fertig?«


 

Sein Telefonat dauert nicht länger als zehn Minuten und er macht sich wieder auf den Weg zurück ins Büro, während er im Gehen seine Nachrichten öffnet. Es erscheint die Nachricht auf seinem Handydisplay, die er gestern vor dem ins Bett gehen gelesen hat. Es ist zu spät gewesen, um darauf zu antworten und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Kohei legt die Stirn in Falten, während seine Augen erneut über die Zeilen huschen. >Ich weiß, dass noch ein paar Sachen von mir in deiner Wohnung sind und da ich sie im Moment nicht abholen will, steht es dir frei, sie wegzuwerfen.<

Er verlässt den Chat mit Rem und sieht sich stattdessen seine anderen Nachrichten an, während er sich auf den Weg zurück ins Büro macht. Normalerweise bekommt er während der Arbeitszeit nicht viele persönliche Nachrichten, aber heute sind es ungewöhnlich viele, sodass er schließlich im Flur vor dem Büro stehen bleibt, um sie zu lesen.

Alle Nachrichten drehen sich um dasselbe Thema. Ein Gerücht macht die Runde und auch diesmal gibt es etwas Konkretes, um sie zu untermauern. Doch sie drehen sich nicht um Rem.

Kohei öffnet die Videodatei, die in einer Nachricht enthalten ist. Clubmusik ertönt aus den Lautsprechern seines Handys, aber sie ist nicht lauter als die Stimme, der Person, die im Zentrum des Videos steht.

»Ganz ehrlich, arbeiten ist nicht so anstrengend, wie alle immer tun. Ich weiß nicht, was arme Leute für ein Problem haben. Haha!« Marika sitzt auf einem Ledersofa im VIP-Bereich von Cadence, einem Nachtclub, in dem Kohei vor einigen Tagen mit ihr war.

»Ja, aber liegt das nicht daran, dass du heute mit mir Shoppen warst, anstatt zu arbeiten?«, fragt die junge Frau neben ihr. Sie ist eine Freundin von Marika und die Tochter von einem von Sakitronics Partnern. Rena Hirai. Es sind noch andere Leute dort, aber Rena ist die einzige, die auch zu sehen ist.

»Shoppen ist auch Arbeit«, erwidert Marika schulterzuckend und Rena lacht. »Und was machst du, wenn dein Boss es herausfindet, wo deine Businesstrips hingehen? Vielleicht feuert er dich.«

»Eh? Mein Boss? Wie klingt das denn?! Hahaha!« Marika und Rena kichern. »Wenn überhaupt feure ich ihn! Für einen ernsten Fall von Geschmacksverirrung! Er hat die schlimmste Langweiler-Frisur überhaupt!« Erneut wird gelacht. »Nicht, dass irgendwer in diesem Unterklassenbüro je was von Style gehört hat. Außer Kohei natürlich.«

»Aw, Süße, wieso tust du dir das an?«, fragt Rena und zieht an Marikas Arm.

Marika legt den Kopf schief und tippt sich mit einem Finger gegen die Wange. »Nur so zum Spaß?« Ein Grinsen verzieht ihre Lippen. »Alle meine sogenannten Kollegen sind so super nett zu mir, als wären wir Freunde oder sowas. Dabei bin ich nur nett zu denen, damit sie die Arbeit für mich machen. Lol.«

»Oh, Plebs, die ihren Platz kennen!«

»Ohne Spaß, ein paar von denen würden ein Verbrechen für mich begehen und dafür ins Gefängnis gehen.«

»Haha, Süße, du kannst echt jeden um den Finger wickeln.«

»Kohei!«

Kohei nimmt den Blick von seinem Handy, denn die Stimme, obwohl es Marikas ist, kommt nicht von seinem Handy.

»Kohei! Es ist diese Aozora! Sie hat es auf mich abgesehen!« Anders als der selbstbewusste Tonfall aus dem Video klingt Marikas Stimme nun zittrig und schrill. »Sie stalkt mich und verbreitet Gerüchte über mich!«

Kohei blinzelt verdutzt. »Ich habe das Video gesehen, aber bist du sicher, dass es Aozora war?«

»Wer soll es sonst sein, wenn nicht sie?!« Sie stemmt die Hände in die Hüften und sieht Kohei trotz ihrer feuchten Augen wütend an. »Sie hasst mich und ist eifersüchtig, weil ich dich davon abgehalten habe, dich weiter von ihr einwickeln zu lassen!«

Kohei runzelt die Stirn. »Und du glaubst, sie ist dir in den Club gefolgt und hat das hier aufgenommen?« Er hebt sein Handy.

»Offensichtlich!«

»Aber ich hab sie nicht gesehen. Wann war das überhaupt? Ich kann mich nicht daran erinnern, hast du das wirklich gesagt?«

Marika blinzelt und Irritation und Schock huschen über ihr Gesicht, bevor sie Kohei erneut anfunkelt. »Ist das wichtig?! Sie versucht, mich fertig zu machen!«

»Ich meine nur, vielleicht hat jemand etwas zusammengeschnitten.«

Marikas Züge glätten sich. »Das ist möglich…«

Kohei nickt verstehend. Sie hat es also gesagt. »Ich rede mit Hansawa.«

»Ich will, dass du mich nach Hause fährst!«

»Okay, geh schon mal vor. Hier sind die Schlüssel.« Er zieht seine Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und hält sie Marika hin.

Sie sieht von den Schlüsseln zu ihm. »Ich soll im Auto warten?!«

»Nur einen Moment, bis ich mit Hansawa geredet habe.«

»Das kannst du doch hinterher machen! Ich will keine Sekunde länger hier sein!«

»Das verstehe ich.« Kohei macht einen Schritt auf sie zu und streckt die Hand nach ihr aus. Er lächelt, während er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr streicht. »Deswegen will ich mich so schnell es geht um alles kümmern. Hab nur ein bisschen Geduld.«

Marikas Züge werden weicher und sie zieht einen Schmollmund. »… na gut. Aber beeil dich.«

Koheis Lächeln wird breiter. »Natürlich.« Er drückt ihr die Schlüssel in die Hand und geht dann mit schnellen Schritten an ihr vorbei ins Büro.

Es wird getuschelt und seine Kollegen folgen ihm mit ihren Blicken. Aber er geht gezielt auf Hansawas Büro zu, bevor jemand ihn nach den Gerüchten und Marika fragen kann.

Kohei klopft an Hansawas Tür, tritt aber ein, ohne auf eine Antwort zu warten.

Hansawa ist darüber nicht erfreut, denn er hebt mit einem missbilligenden Ausdruck den Blick von seinem Schreibtisch. »Ich bin im Moment beschäftigt, Mr. Inouye.«

»Damit herauszufinden, wer versucht, die Mitarbeiterinnen Ihrer Abteilung zu verleumden, hoffe ich doch«, erwidert Kohei, während er ohne Umschweife auf Hansawas Schreibtisch zugeht. »Das wird zu einem echten Problem.«

Hansawa seufzt. »Und was schlagen Sie vor, dass ich tun soll? Ich habe nicht die Möglichkeit, die privaten Mobilgeräte unserer Mitarbeiter zu überprüfen oder Gespräche in den Pausen zu verbieten.«

»Aber sie können Mitarbeiter wegen ungebührlichem Verhalten und Schädigung des Arbeitsklimas kündigen, oder nicht?«

Hansawas Miene verdüstert sich. »So wie Sie das zu tun pflegen?« Er verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich in seinem Stuhl zurück, während er Kohei abfällig mustert. »Wollen Sie, dass ich der halben Abteilung kündige? Das ist nicht so einfach, wie sie sich das vielleicht vorstellen.«

»Niemand hat gesagt, dass es einfach ist. Aber das heißt nicht, dass Sie es einfach gut sein lassen können. Als Abteilungsleiter sind Sie dazu verpflichtet, dem nachzugehen, wenn Mitarbeiter Ihrer Abteilung belästigt werden.«

»Glauben Sie, das weiß ich nicht?! Was erwarten Sie von mir?!«

Kohei stützt die Hände auf dem Schreibtisch auf. »Lassen Sie alle wissen, was passiert, wenn sie tratschen und Gerüchte verbreiten, und setzen Sie sich mit dem Geschäftsführer in Verbindung, damit das für alle Abteilungen gilt.«

Hansawas Miene verdüstert sich noch weiter. Dann schnaubt er. »Ist das ein Befehl? Wenn ich mich recht erinnere, wollten Sie wie alle anderen Mitarbeiter behandelt werden, nicht wie der Enkel von Toshiro Inouye.«

Kohei richtet sich wieder auf. »Das will ich. Aber hier geht es nicht um die Arbeit.« Er wendet sich ab, da er alles gesagt hat, was er sagen wollte. »Kümmern Sie sich darum. Ich nehme mir den Rest des Tages frei.«

Hinter ihm gibt Hansawa ein fassungsloses Schnauben von sich, aber Kohei verlässt ohne Weiteres das Büro.

Es sollten nicht mehr als zehn Minuten vergangen sein, aber Marika wartet ungeduldig in seinem Auto. Dabei kaut sie an den Nägeln ihrer linken Hand, während sie in der rechten ihr Handy hält. Sie trägt ihre Nägel seit einer Weile kürzer, aber Kohei kann sich nicht vorstellen, dass Nagellack gut schmeckt. Außerdem ruiniert sie ihn.

Marika reißt ihre linke Hand herunter, als Kohei zu ihr ins Auto steigt. »Was hat so lange gedauert?!«

»Tut mir leid, aber du musst dir keine Sorgen machen. Nimm dir einfach ein paar Tage frei und ich kümmere mich um alles«, erwidert er, während er den Wagen startet.

»Willst du sagen, dass du wieder keine Zeit für mich hast?«, fragt Marika in schmollendem Tonfall.

Kohei lacht leise. Er kennt sie gut genug, um zu wissen, dass er genau das tut, was sie will. »Ich brauche nur einen halben Tag. Und dann tu ich, was immer du willst.«

Marika antwortet nicht sofort und er kann spüren, wie sie ihn von der Seite ansieht. »Du bist so nett zu mir, Kohei. Was ist aus Ms. Aozora geworden?«

Kohei packt das Lenkrad fester und schnaubt. »Dachtest du, ich treffe mich weiter mit ihr, wenn diese Gerüchte über sie kursieren? Und nur weil ich ein bisschen wütend auf dich war, heißt das nicht, dass ich nichts tue, während es jemand auf dich abgesehen hat.«

»Aw, du kannst so süß sein, Kohei«, flötet Marika, jetzt mit sorgloser Stimme, und streckt die Hand nach ihm aus, um seinen Arm zu berühren.

Kohei wirft ihrer Hand einen Blick zu und fragt sich, ob es dieselbe ist, an deren Nägel sie zuvor gekaut hat, ehe er wieder auf die Straße sieht.


 

Kohei setzt Marika im Emerald ab, einem Luxushotel mit ausgezeichnetem Wellnessbereich, bevor er sich auf den Weg zum Haus ihres Vaters macht. Hoizu Sasaki liebt seine Tochter über die Maßen und sobald er hört, dass Kohei zu ihm kommt, weil sie ein Problem hat, hat er Zeit sich mit Kohei zu treffen.

Das Haus liegt in einem Nobelviertel, in dem die Villen mit Mauern umringt sind, und man zehn Minuten mit dem Auto braucht, um vom Eingangstor durch die Security bis zur Vordertür zu kommen.

Kohei wird von einem Assistenten empfangen, der ihn zu Mr. Sasakis Büro bringt. Mr. Sasaki arbeitet für gewöhnlich von Zuhause aus, da sein Haus mit den neusten Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet ist, die sein internes Netz schützen. Auch Marika hat Zugang dazu, obwohl sie nicht für Sakitronics arbeitet, sodass es kaum jemanden gibt, dessen private Daten und Social Media Accounts sicherer sind als ihre.

»Ah, Kohei.« Mr. Sasakis Augen huschen nur kurz in seine Richtung, als er das Büro betritt, bevor er wieder auf den Bildschirm seines Computers sieht. »Einen Moment, ich bin gleich bei dir.«

Kohei lächelt. »Natürlich. Es tut mir leid, dass ich so hereinplatze.«

»Nein, nein. Du bist immer willkommen. Setz dich.«

»Danke.« Kohei nimmt auf der Couch in der Mitte des geräumigen Büros Platz und holt sein Handy hervor, während er darauf wartet, dass Mr. Sasaki seine Arbeit beendet.

Es dauert etwa fünf Minuten, ehe Mr. Sasaki sich erhebt. »Bitte verzeih mir, aber das musste noch erledigt werden«, sagt er, als er sich auf die Couch gegenüber von Koheis setzt. »Du sagtest, es gäbe Probleme an deinem Arbeitsplatz, die Marika zu schaffen machen.«

Kohei nickt, während er sein Handy wieder in seine Tasche steckt. »Jemand hat ein Video von Marika aufgenommen, während sie mit Freunden in einem Club war, und es macht unter unseren Kollegen die Runde. Marika drückt sich in dem Video etwas missverständlich aus und so aus dem Zusammenhang gerissen, erweckt es einen falschen Eindruck. Vor allem aber mache ich mir Sorgen, weil ihr offensichtlich jemand gefolgt ist, um es aufzunehmen.«

Mit einer tiefen Falte auf der Stirn reibt sich Mr. Sasaki das Kinn. »Dann ist ihr jemand gefolgt, mit der Absicht ihr zu schaden? Oder ist es vielleicht sogar ein Stalker?«

Kohei schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht, aber ich denke, es wäre das Beste, so schnell wie möglich zu handeln. Ich habe mit meinem Vorgesetzten gesprochen, aber die Leute vom Reden abzuhalten wird schwierig.«

Mr. Sasaki nickt langsam. »Ja, ja. In der Tat, das ist eine ernste Sache. Wo ist Marika jetzt?«

»Ich habe sie ins Emerald gebracht.«

»Das ist gut.« Mr. Sasaki nickt erneut. »Es war die richtige Entscheidung herzukommen. Natürlich werde ich -« Er wird unterbrochen, als die Tür zum Büro aufgestoßen wird und der Assistent, der Kohei hergebracht hat, hereinstürmt. »Was soll denn das, Ryuichi?!«

»Es tut mir sehr leid, Sir, aber es ist sehr wichtig«, antwortet der Assistent, ohne stehenzubleiben. Er stellt sich hinter die Couch und beugt sich herunter, um Mr. Sasaki etwas ins Ohr zu flüstern.

»Was?! Gerade jetzt?!«

»Ja, Sir.«

Mr. Sasaki stöhnt und steht auf. »Bitte entschuldige, Kohei, ich muss mich um etwas Dringendes kümmern, aber es sollte nicht lange dauern. Ryuichi, bring etwas Tee und Gebäck für Kohei.«

»Ja, Sir.« Ryuichi wirft Kohei einen Blick zu, der ebenfalls aufgestanden ist, bevor er Mr. Sasaki aus dem Büro folgt.

Kohei bleibt zurück und betrachtet mit einem Lächeln die geschlossene Tür.


 

Mr. Sasaki braucht am Ende doch etwas länger. Jedenfalls länger, als es dauert, anschließend sein Gespräch mit Kohei zu beenden, das im Grunde nur daraus besteht, dass er sich bei Kohei für die Information bedankt und versichert, sich darum zu kümmern.

Danach macht Kohei sich wieder auf den Weg zum Emerald und während er im Wagen sitzt, ruft er seinen Großvater an.

»Wenn du anrufst, weil du wissen willst, wer es auf das Sasaki Mädchen abgesehen hat, leg ich wieder auf!«, ertönt die Stimme seines Großvaters zur Begrüßung aus seinem Autolautsprecher.

Kohei grinst. »Wieso, steckst du dahinter?«

Toshiro schnaubt. »Als ob ich Zeit für solche Kindereien hätte. Was willst du?«

»Ich will nur, dass du Saburo beschäftigst, bis die Sache geklärt ist.«

Ein tiefes Seufzen ertönt. »Denkst du, ich lasse mich dazu benutzen, damit du mehr Zeit mit dieser Schlange verbringen kannst?!«

»Sieh es doch so: Damit hältst du wenigstens Saburo von ihr fern.«

»Und wenn ich es nicht tue, haltet ihr euch gegenseitig von ihr fern. Also warum sollte ich das tun?«

Koheis Grinsen wird breiter. »Weil ich dich nicht um einen Gefallen bitte, sondern dir einen Deal vorschlage. Das interessiert dich doch, oder?«


 

Kohei verbringt den restlichen Tag mit Marika im Emerald, aber am nächsten Tag kehrt er ins Büro zurück. Anders als Marika, der er geraten hat, erst wiederzukommen, wenn sich die Gerüchte gelegt haben. Und tatsächlich ist es bereits ruhiger geworden.

Koheis Gespräch mit Hansawa ist eine E-Mail gefolgt, die an alle Mitarbeiter von Noué ging und mit scharfen Konsequenzen droht, für die, die dabei erwischt werden, Gerüchte zu verbreiten. Außerdem scheinen die meisten zu wissen, dass Kohei den Anstoß dazu gegeben hat, denn wo er im Büro auch hingeht, wird es still.

Es ist ein bisschen nervig, nachdem er sich solche Mühe gegeben hat, einen guten Ruf aufzubauen, aber es ist auch nichts, das er nicht wieder hinbiegen kann, wenn die Gerüchte erst einmal vom Tisch sind. Außerdem gibt es auch noch die, die davon völlig unbeeindruckt sind.

»Findest du nicht auch, dass heute etwas an Ms. Aozora anders ist?«, fragt Tomoda, der, seit er von der Toilette gekommen ist, immer wieder Blicke in Rems Richtung wirft.

»Nein«, antwortet Kohei sofort und starrt stur auf seinen Bildschirm. Tomoda ist nicht der erste, von dem er das hört, und das, obwohl sich kaum noch jemand traut, in seiner Nähe etwas Arbeitsunabhängiges zu sagen. Als ob es so wichtig wäre, dass Rem heute ein weinrotes Top unter ihrem schwarzen Blazer trägt, das für ihre Verhältnisse tief ausgeschnitten ist. Und außerdem eine feine Goldkette mit einem kleinen Anhänger in Form einer Sonne und dazu passende Ohrstecker. Und dass ihre Haare nicht in ihrem typisch strengen Pferdeschwanz, sondern in einem eleganten Dutt hochgesteckt sind und sie sogar Make-up trägt.

»Doch, das denke ich schon. Sie hat gerade versucht, Smalltalk zu machen, als wir uns im Flur getroffen haben.«

Koheis Finger halten inne, als Tomoda kichert.

»Ich wusste gar nicht, dass sie so ungeschickt sein kann.«

»Was meinst du?«, fragt Kohei, bevor er sich davon abhalten kann.

Tomoda wirft ihm einen schelmischen Blick zu. »Sie hat erst versucht, mit mir über das Wetter zu reden, aber bevor ich etwas dazu sagen konnte, hat sie sich darüber beschwert, wie sinnlos es ist, sich über das Wetter zu unterhalten. Und dann hat sie mich gefragt, ob ich gut mit anderen plaudern kann und ob ich Tipps für sie habe.«

Kohei sagt nichts und starrt wieder auf seinen Bildschirm. Natürlich weiß er, dass Rem nicht gut mit Smalltalk ist oder jeder anderen Form von leichtem und unseriösem Gerede. Sie ist die Art Mensch, die immer meint, was sie sagt und nicht redet, ohne dabei etwas zu sagen.

»Ich hab die Gerüchte über sie ja für eher unglaubwürdig gehalten, aber wenn sie anfängt, sich so niedlich zu benehmen…«

Kohei reißt den Kopf herum und funkelt Tomoda an. »Hast du die E-Mail nicht gelesen oder willst du deinen Job verlieren.«

»Hoho, du musst ja nicht gleich so aus der Haut fahren.« Tomoda kichert unbeeindruckt von Koheis Drohung.

»Und du solltest nicht der nächstbesten Frau nachstellen, weil Hikari dich vor die Tür gesetzt hat!«

Tomoda hört sofort auf zu lachen. »Hey!«, schimpft er und lehnt sich zu Kohei vor, um leiser sprechen zu können. »Sie hat mich nicht vor die Tür gesetzt, ich bin gegangen und das auch nur vorübergehend.«

»Wenn du schmollen willst, schmoll ohne, dass du Aozora mithineinziehst.«

»Wer schmollt?! Es ist alles ihre Schuld! Sie wollte mit einem anderen Kerl zocken, weil ich sie angeblich runterziehe, aber als ich dann auch mit jemand anderem gezockt hab, ist sie wütend geworden. Total unfair! Kannst du dir das vorstellen?!«

»Ja. Ich weiß, wie zickig du wirst, wenn du eingeschnappt bist. Leider«, erwidert Kohei trocken und sieht wieder zu seinem Bildschirm. Aber immerhin hat er erfolgreich das Thema gewechselt.

Und dann sieht er, dass er eine Mail von Kondo bekommen hat. Sie ist bei einem Kunden und müsste gerade ein Meeting beendet haben, was bedeutet, bei der Mail handelt es sich wahrscheinlich um eine kurze Zusammenfassung über das Ergebnis des Meetings.

Da der Kunde einer von Marikas ist, informiert Kondo Tomoda und ihn über das Meeting. Eigentlich sollten sie sich auch abwechseln, wer zu den Meetings geht, beziehungsweise sich um die Kunden kümmert, allerdings hat Kondo sich bereiterklärt, das meiste davon zu übernehmen.

Kohei ist von ihrem Eifer überrascht und ihm ist zudem aufgefallen, dass sie sich nicht mehr bemüht, ihn zu meiden. Allerdings flirtet sie auch nicht mehr mit ihm, weshalb er sich nicht sicher ist, ob sie versucht, ihn zu beeindrucken, indem sie so viel Arbeit auf sich nimmt, oder ob etwas anderes dahinter steckt.


 

So vergehen einige Tage. Marika erscheint nicht im Büro und mit Ausnahme von Rems Verhalten und ihrer offenbar neu entstandenen Freundschaft zu Kondo, beginnt es sich beinah wie früher anzufühlen. Aber nur so lange Kohei im Büro ist, denn seine Freizeit verbringt er fast ausschließlich mit Marika, in Clubs, teuren Restaurants und Luxushotels. Auch heute, am Freitagabend, sind sie wieder verabredet und das, obwohl Kohei nichts lieber will, als sich auf seine Couch zu pflanzen und fernzusehen, bis er einschläft. Dafür würde er sogar auf ein hochklassiges Abendessen verzichten und Fastfood bestellen.

Aber dann, als er gerade aus der Dusche gekommen ist, malträtiert jemand seine Türklingel.

Er schlüpft schnell in eine Jogginghose und ein T-Shirt, bevor er zur Tür eilt und aufmacht.

»Kohei!« Marika stürzt über die Schwelle, kaum dass er die Tür geöffnet hat, und rennt Kohei beinah um.

»Was ist los?«, fragt Kohei irritiert, da er halb erwartet hat, jemand anderen vor der Tür vorzufinden. Er und Marika sind erst in einer Stunde verabredet.

»Kohei, es ist etwas Schreckliches passiert!« Marika sieht mit Tränen verschmierten Augen zu ihm auf, während sie den Stoff seines T-Shirts in den Fäusten knüllt. Offenbar war sie gerade dabei, sich herzurichten, aber da ihre Haare noch ungemacht sind und sie noch Alltagskleidung trägt, ist sie nicht einfach früher hier. Und ihr Make-up müsste sie auch neu machen lassen.

Kohei löst sanft ihre Hände von seinem T-Shirt. »Komm erst mal herein, okay?« Er lächelt behutsam, während er sie anleitet, in seine Wohnung zu kommen, damit er die Tür schließen kann.

Dann bringt er Marika zur Couch und holt ihr ein Glas Wasser. »Also, was ist passiert?«

Marika schnieft. »Daddy wurde gehackt!«

Kohei blinzelt. »Dein Vater? Du meinst Sakitronics? Aber wie -«

»Nicht die Firma!« Sie unterbricht ihn mit schriller Stimme. »Daddy hat gesagt, er hat das beste Sicherheitssystem, aber das war gelogen! Er wurde gehackt und hat alles ruiniert!« Sie vergräbt das Gesicht in den Händen und beginnt zu schluchzen.

Kohei legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Hey, es ist bestimmt nichts, was dein Vater nicht wieder hinbiegen kann.«

Marika reißt den Kopf hoch. »Du verstehst gar nichts, Kohei, genau wie Daddy! Sie haben alles geklaut! Meine Chats, meine Bilder, meine Videos! Und sie haben es veröffentlicht!«

Kohei blinzelt und macht ein überraschtes Gesicht. »Deine Daten wurden geklaut? Aber wieso sollte – oh.« Er zieht die Brauen zusammen und spricht nicht weiter. Für die meisten wäre es peinlich, wenn persönliche Chats und Bildmaterial veröffentlicht wird, aber in Marikas Fall ist es mehr als das. Sie ist jemand, der Klatsch und Tratsch liebt, und da ist sie nicht anders, als die meisten ihrer Freunde. Und so oberflächlich diese Freundschaften auch sind, so funktionieren sie doch nur, solange niemand weiß, wer welchen Tratsch über wen verbreitet. Und wer was über wen in der Hand hält.

»Es war diese Aozora! Sie rächt sich an mir!«

»Ich glaube nicht, dass sie die Mittel dazu hat«, widerspricht er sanft.

»Sie war es!«, braust Marika auf und Kohei streckt seine Hand nach ihrem Gesicht aus. »Es ist egal, wer es war, weil ich ihn so oder so finden werde, okay?«

Marikas Gesicht verzieht sich, als ihr frische Tränen aus den Augen laufen. »Rena antwortet mir nicht mehr«, schluchzt sie. »Und auch die anderen...sogar Saburo geht nicht ran…ich hab nur noch dich...« Sie lehnt sich vor und drückt ihr Gesicht in sein T-Shirt, wo sie zu weinen beginnt.

Kohei streichelt ihr beruhigend den Rücken, aber sein Blick ist auf sein Handy gerichtet, das er zuvor auf dem Couchtisch liegen gelassen hat. Marika ist so mit weinen beschäftigt, dass sie nicht bemerkt, wie er es in die Hand nimmt.

Er hat eine ungelesene Nachricht. >Alles erledigt.<

Kohei lächelt und tippt eine Antwort. >Gute Arbeit!<

Dann legt er das Handy zurück und sieht auf Marika hinab. Er versucht, sich daran zu erinnern, was er früher in ihr gesehen hat. Denn in diesem Moment sieht er nur ein erbärmliches kleines Mädchen, das in den Armen des Mannes weint, der für ihr Leid verantwortlich ist.

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