Kitsune

XXVII.

Durchhaltevermögen

Seit Rem angefangen hat für Noué zu arbeiten, ist sie nicht einmal ungern zur Arbeit gegangen. Es war nicht immer schön, oft anstrengend und manchmal nervig, aber alles in allem, mochte sie ihren Job. Selbst an den Tagen, an denen es nicht so gut lief und sie den Tag lieber zu Hause im Bett verbracht hätte, hatte die Arbeit etwas Erfüllendes an sich, denn es ist ihr Job, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdient und der sie zu ihrer eigenen, selbstständigen Person macht. Es hatte sie mit Stolz erfüllt.

>Wie schamlos kann man sein, sich als Nummer eins zu feiern, wenn man in Wahrheit nur eine billige Nutte ist. Such dir einen Job, den du kannst!<

Rem sitzt im Flur des Studiogebäudes, in dem sie einen weiteren Shoot für Syrene hat, und starrt auf ihr Handy hinab. Es ist nicht die erste Nachricht dieser Art, die sie bekommt und egal wie oft sie die Nummer des Absenders blockt, es kommen immer neue. Sie wusste nicht, dass so viele ihrer Kollegen einen Groll gegen sie hegen und egal, wie sehr sie sich einredet, es sich nicht zu Herzen zu nehmen, der Wunsch alles hinzuschmeißen wächst täglich. Denn selbst wenn sich die Gerüchte über sie irgendwann legen, wie soll sie weiter an einem Ort arbeiten, an dem es von Menschen wimmelt, die ihr bei der erstbesten Gelegenheit in den Rücken fallen?

»Da bist du, Onee-san!« Yujis fröhliche Stimme lässt sie zusammen zucken und sie hebt den Kopf, um zu sehen, wie er auf sie zukommt.

»Ich wollte nur sagen, dass die Pause gleich vorbei ist.«

Rem nickt nur und wartet darauf, dass er wieder geht. Aber stattdessen setzt er sich neben sie. »Es war grad ziemlich anstrengend, oder? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich könnte zehn Minuten mehr Pause vertragen.«

»Mir geht es gut«, antwortet Rem mechanisch. Sie weiß, dass Yuji keine längere Pause für sich will. Natürlich hat er von den Gerüchten über sie gehört und er versucht, entgegenkommend zu sein. Genau wie Mr. Blake, der sie unter anderen Umständen sicher längst gefeuert hätte.

Ihre Fähigkeiten als Model hatten sich schon vorher in Grenzen gehalten, aber seit diese Gerüchte ihre Runde machen, ist ihre Performance nur noch mies.

»Onee-san?«, beginnt Yuji und Rem kann hören, dass er versuchen will, sie aufzuheitern.

Sie atmet geräuschvoll aus. »Ich weiß, dass du gesagt hast, dass es einfacher ist, zusammenzuarbeiten, wenn wir vertraut miteinander reden, aber würdest du bitte aufhören, mich so zu nennen?« Ihre Stimme klingt strenger als beabsichtigt und noch während sie redet, fällt ihr auf, dass sie immer noch informell mit ihm spricht. Es klingt eigenartig, da sie ihn darum bittet, sie formeller anzusprechen, aber sie hat sich zu sehr daran gewöhnt. Rem ist selbst überrascht davon, wie vertraut sie mit ihm umgeht, obwohl sie sich erst seit ein paar Wochen kennen. Aber wie sich herausstellt, hilft viel Körperkontakt und einige unangenehme Situationen ungemein dabei, jemandem näherzukommen.

Und jetzt ist Rem dabei, das wieder kaputtzumachen, denn Yuji steht auf. Er hat sich Mühe gegeben, so zu tun, als wüsste er nichts von den Gerüchten über sie und zu Anfang war sie ihm dankbar dafür, aber die Gerüchte scheinen nur schlimmer zu werden. Er hat es nicht verdient, dafür ihre Abneigung auf sich zu ziehen, aber Rem hält es für besser, auf Distanz zu ihm zu gehen. Immerhin hat er auch einen Ruf und eine Karriere zu verlieren.

Aber dann stellt Yuji sich plötzlich vor sie und geht in die Hocke. »Du machst es falsch herum, Onee-san!«, sagt er mit beleidigter Stimme und sieht sie von unten herauf unzufrieden an.

Rem beobachtet verdutzt, wie er einen Finger hebt.

»Du musst die Leute wegstoßen, die die Gerüchte glauben, nicht die, die auf deiner Seite sind!«

Einen Moment lang starrt sie ihn an, dann seufzt sie und verschränkt die Arme vor der Brust. »Du bist ein junges Model, in den Startlöchern deiner Karriere. Kannst du es dir leisten, auf meiner Seite zu sein?«

Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin zu unbekannt, als das sich jemand für mich interessieren würde.«

»Im Moment vielleicht, aber was, wenn du später damit konfrontiert wirst, dass du mit einer Werbeagentin geschlafen hast, um deine Karriere in Schwung zu bringen?«

»Hab ich ja nicht. Und wenn Gerüchte so leicht entstehen, kann mir das passieren, ob ich mich von dir fernhalte oder nicht, ist es nicht so?« Er grinst vertrauensvoll.

»Das passiert nicht, wenn du auf einen professionellen Abstand achtest.«

»Ich finde, unser Abstand ist perfekt!« Er sieht Rem an, als wäre er verwirrt über ihre Bemerkung. »Wir arbeiten doch gut zusammen und ist einen guten Job zu machen, nicht das Wichtigste, wenn es um Professionalität geht?«

Rem antwortet nicht sofort. Noch vor einer Weile hätte sie ihm ohne zu zögern zugestimmt. Aber jetzt….Ihr Blick huscht zu ihrem Handy, das sie immer noch in der Hand hält. »Was nützt das, wenn dir niemand glaubt, dass du deinen Job auf anständige Weise machst?«

»Ich glaube dir!«, sagt Yuji inbrünstig und Rem runzelt die Stirn. »Ich würde mir Sorgen machen, wenn du es nicht tätest.« Immerhin soll sie auch mit ihm geschlafen haben, was natürlich nicht heißt, dass er nicht glauben könnte, dass sie mit Mr. Blake schläft. Aber da sie so eng zusammenarbeiten, wäre es sehr enttäuschend.

»Aber ich bin ja nicht der einzige. Mr. Blake glaubt dir auch!«

»Und ich bin auch sehr froh, dass er ebenfalls weiß, dass ich nicht mit ihm geschlafen habe«, erwidert Rem etwas aufgebracht.

Yuji zieht den Kopf ein. »Tut mir leid, ich wollte nur helfen.«

Rems Augen weiten sich, als sie seine Reaktion sieht und dann wendet sie schnell den Blick ab. »Du musst dich für nichts entschuldigen«, murmelt sie, während ihre Gedanken unwillkürlich zu Inouye huschen. Seit sie ihn vor dem Restaurant angefahren hat, haben sie nicht mehr miteinander geredet, nicht einmal auf ihre Nachricht hat er geantwortet. Stattdessen sieht sie ihn immer öfter an Sasakis Seite, lächelnd und fröhlich. Der Gedanke allein schnürt ihr die Kehle zu und sie blinzelt hastig, während sie ihn verdrängt. Sie hat kein Recht, sich darüber aufzuregen, nachdem sie ihm gesagt hat, er solle sich von ihr fernhalten.

»Ich geh heute Abend mit ein paar Freunden aus, hast du Lust mitzukommen, Onee-san?«, fragt Yuji plötzlich und Rem sieht ihn überrascht an. Aber als sie den hilflosen Ausdruck auf seinem Gesicht sieht, lächelt sie. »Nein, danke.«

Yuji blinzelt irritiert und braucht eine Sekunde, um zu realisieren, dass sie trotz ihres Lächelns Nein gesagt hat. »Nein?«, wiederholt er dann und dann scheint ihm ein Licht aufzugehen. »Meine Freunde sind cool und sie wissen nichts von den Gerüchten! Sie werden bestimmt nicht tratschen!«

Rem runzelt die Stirn. »Sie werden nicht darüber tratschen, wenn du eine ältere Frau, mit der du zusammenarbeitest, mitbringst?«, fragt sie zweifelnd.

Yuji zögert. »Sie werden jedenfalls nicht darüber tratschen, dass einer von uns versucht, seine Karriere zu verbessern«, sagt er dann mit einem erhobenen Finger und einem zuversichtlichen Grinsen auf dem Gesicht.

Rem schnaubt und muss sogar ein bisschen schmunzeln. Aber sie macht eine auffordernde Geste in seine Richtung, damit er aufsteht. »Wir sollten zurückgehen. Die Pause ist vorbei.«


 

Seit die Gerüchte über sie die Runde machen, verkriecht Rem sich nach der Arbeit und am Wochenende in ihrer Wohnung. Sogar die Aussicht, Kosuke über den Weg zu laufen, stört sie kaum noch. Aber an diesem Wochenende ist Rem verabredet. Es war Moris Idee und nachdem sie argumentiert hat, dass der Gedanke hinter ihren Treffen ist, sich in solchen Situationen aufeinander zu verlassen, ist Rem nichts eingefallen, mit dem sie ihr widersprechen könnte. Außerdem haben Mori und Yamato zugestimmt, auch Kondo einzuladen, die tatsächlich zugesagt hat. Da es Rems Vorschlag war, sie einzuladen, sieht sie sich in der Verpflichtung aufzutauchen. Vor allem aber denkt sie an Yujis Worte, denn weder Mori noch Yamato haben auch nur eine Frage darüber gestellt, wie die Gerüchte zustande gekommen sind.

Der Samstag ist ein regnerischer und windiger Tag, sodass das Café nur wenig Gäste hat. Rem ist froh darüber, denn obwohl sie weiß, dass niemand außer ihren Kolleginnen sie kennt, kann sie nicht anders, als sich beim Eintreten umzusehen.

Yamato und Kondo sitzen bereits an einem Tisch und Yamato, die bis eben nervös auf ihre Knie gesehen hat, hebt erleichtert den Kopf und lächelt Rem an.

»Hallo«, sagt Rem und erwidert ihr Lächeln, bevor sie zu Kondo sieht, die mit vor der Brust verschränkten Armen da sitzt und bei Rems Anblick aufhört, mit den Fingern auf ihren Oberarm zu trommeln.

»Hallo«, antwortet sie, wobei sie Rem kritisch mustert.

Rem runzelt die Stirn, während sie ihre Jacke auszieht und sich setzt. »Es freut mich, dass Sie es einrichten konnten«, sagt sie etwas unbeholfen.

Kondo nickt nur. Dann ist es still am Tisch.

Rem beißt sich auf die Lippe. Es ist ihr vorher nie so stark aufgefallen, aber es ist immer Mori, die das Gespräch in Gang hält. Yamato ist schüchtern, Rem verschwiegen und Kondo neu, und so ergreift keiner die Initiative. Es ist keine angenehme Situation und sie bereut schon, hergekommen zu sein, denn ihr ist nicht nach Reden zumute. Es gibt kaum etwas, das man gegen Gerüchte ausrichten kann, außer abzuwarten, bis sie vergehen und Rem würde es bevorzugen, nicht auch noch in ihrer Freizeit mit dem Gerede über sie konfrontiert zu werden.

»Tragen Sie auch außerhalb des Büros bevorzugt Hosen, Ms. Aozora?«, fragt Kondo dann plötzlich und Rem sieht sie überrascht an. Offenbar ist ihr die Stille auch unangenehm und sie versucht es mit Smalltalk.

»Ja«, antwortet Rem.

»Und ich dachte, Sie geben sich nur im Büro Mühe schlicht auszusehen.«

Rem blinzelt. »Das tue ich nicht«, sagt Rem und als Kondo etwas verunsichert die Stirn in Falten legt, fügt Rem hinzu: »Ich meine, ich gebe mir nicht sehr viel Mühe aufzufallen oder gut auszusehen.«

»Wieso?«

Rem zögert, entschlossen diesmal eine ausschweifendere Antwort zu geben. Und Kondo hat nicht unrecht. Sie trägt heute ein weißes Top, einen roten Rock und eine schlichte goldene Kette und Ohrringe. Ihre kastanienbraunen Haare fallen ihr in langen Wellen über den Rücken und ihr Make-up sitzt perfekt.

Rem dagegen hat einfach eine Hose und ein Shirt aus ihrem Schrank geholt und für den Weg ihren Mantel darüber gezogen.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie können tragen, was Sie wollen, aber wenn Sie sich extra einschränken, damit Sie weniger Probleme auf der Arbeit haben, dann bin ich enttäuscht.«

Erneut antwortet Rem nicht sofort, aber diesmal, weil sie sich nicht sicher ist, was Kondo sagen will.

»Oh, das hört sich ja nach einer spannenden Unterhaltung an!«

Rem nimmt den Blick von Kondo und sieht zu Mori, die gerade ihren Tisch erreicht. Sie lächelt Kondo an. »Es ist schön, dass du gekommen bist. Ich darf doch du sagen?«

»Oh, ähm, natürlich.« Kondo sieht etwas überfordert aus, als sie zwischen Mori und Rem hin und her sieht.

»Gut, ich finde es viel angenehmer, wenn wir vertraut miteinander reden, aber keine Sorge, Rem vergisst es auch ständig.« Mori setzt sich. »Also worüber habt ihr gesprochen?«

»Über unsere bevorzugte Kleidung«, antwortet Rem.

»Ich meinte nur, dass sich jeder so anziehen sollte, wie er will, ohne darauf zu achten, was andere sagen oder denken!«, sagt Kondo und klingt dabei ein wenig gehetzt.

»Denken Sie, dass ich das tue?«, fragt Rem, ehrlich neugierig.

»Du«, wirft Mori ein.

»Ich dachte, dass es Ihnen darum - ich meine, dir darum geht, bei der Arbeit nicht zu attraktiv zu sein, als Frau.«

Rem legt den Kopf schief. »Es stimmt, dass ich keinen Wert darauf lege, attraktiv zu sein. Ich gehe ins Büro, um zu arbeiten, nicht um zu flirten.«

»Sich herzurichten, sodass man einem gefällt, bedeutet nicht, dass man flirten will«, erwidert Kondo sofort. »Ich zum Beispiel tue es nur für mich und ich höre nicht auf damit, nur weil sich ein paar Männer einbilden, ich täte es für sie!«

Es ist einen Moment still am Tisch und die Stille ist nach Kondos leidenschaftlich erhobener Stimme noch deutlicher zu spüren. »Eine gute Einstellung!«, sagt Mori dann, als sich Kondos Wangen rosa färben. »Und ich weiß, was du meinst.« Sie sieht Rem an. »Ich hab dich auf diesem Werbebild fast nicht erkannt. Wenn du so ins Büro kommen würdest, könnte sich die halbe Abteilung nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Deswegen habe ich auch überlegt, ob du absichtlich versuchst, nicht aufzufallen.«

Rem legt die Stirn in Falten. »Sieht es so aus?«, fragt sie und überlegt, ob sie deshalb beleidigt sein soll.

»Du bist immer eintönig und praktisch gekleidet, ohne Schmuck oder Accessoires, trägst kein Make-up und frisierst deine Haare zu einem strengen Zopf«, sagt Kondo. »Ist das nicht Absicht?«

»Nein«, sagt Rem und rollt mit den Augen. Es ist nicht so, dass diese Annahme nicht schlüssig ist, aber sie hätte nicht gedacht, dass sich ihre Kollegen so viele Gedanken über ihre Garderobe machen. Aber vielleicht haben sie das nur im Zuge der Gerüchte getan. »Ich bin einfach kein Morgenmensch.«

Kondo und Mori sehen sie verwirrt an und auch Yamato guckt, als wüsste sie nicht, was Rem meint.

»Ein Outfit heraussuchen, die Haare machen, schminken, das braucht alles Zeit und ich schlafe morgens lieber länger.«

Erneut ist es still am Tisch.

»Das ist der Grund?«, fragt Mori dann mit einem ungläubigen Blick in den Augen.

Rem zuckt mit den Schultern.

»Oh, ich dachte, Rem ist eine Frühaufsteherin«, sagt Yamato und hält sich eine Hand vor den Mund, als wolle sie ein Lächeln verbergen.

»Ja oder?«, stimmt Mori zu. »Sie wirkt wie die Sorte, die morgens keinen Wecker braucht und vor der Arbeit noch Sport macht oder so.«

Sogar Kondo nickt langsam, als würde sie dem zustimmen.

»Aber jetzt wo du es sagst, du bist morgens oft etwas unterkühlt. In deiner Art meine ich, was denkst du, Ami?«, sagt Mori.

»Hm? Oh, manchmal vielleicht?«, antwortet Yamato, obwohl es eher danach klingt, als würde sie eine Frage stellen.

Mori grinst Rem an. »Rem ist also ein Morgenmuffel.«

Rem legt die Stirn in Falten, sagt aber nichts.

»Ich dachte, diese Treffen dienen dazu, Probleme auf der Arbeit zu besprechen?«, sagt Kondo und Rem ist froh, dass sie das Thema wechselt.

»Stimmt«, sagt Mori. »Hast du eins?«

»Ist es nicht offensichtlich, wessen Problem wir besprechen sollten?«, erwidert Kondo und sieht Rem an. Die versteift sich und ist plötzlich nicht mehr glücklich über den Themenwechsel.

»Deswegen habe ich deine Kleidung angesprochen«, fährt Kondo unbeirrt fort. »Die Gerüchte über dich werden geglaubt, weil es auf der einen Seite viele gibt, die dich beneiden und du auf der anderen Seite einen kühlen und abweisenden Eindruck machst, was dir wenig Sympathie einbringt. Es würde dir helfen, wenn du weniger streng auftrittst und zeigst, dass man mit dir reden kann, damit du den Leuten sagen kannst, dass die Gerüchte über dich völliger Unsinn sind.«

Rem presst die Lippen aufeinander. Auch Yamato und Mori sagen nichts und sehen nur besorgt zwischen Rem und Kondo hin und her.

»Das ist vielleicht leichter gesagt als getan«, sagt Mori dann vorsichtig.

Kondo räuspert sich. »Ich dachte nur, das wäre ein Ansatz. Gegen Gerüchte kann man nicht viel machen, weil die Leute glauben, was sie wollen. Und man glaubt Leuten, die man sympathisch und attraktiv findet, einfach mehr.«

Rem betrachtet ihre Hände. Kondo hat recht. Wäre sie beliebter bei ihren Kollegen, würde sie wohl kaum so viele Probleme haben, aber das zu wissen, hilft ihr nicht groß dabei, es zu ändern. Rem war noch nie jemand mit großer Beliebtheit, der im Mittelpunkt steht und mit allen gut auskommt, und gerade jetzt, wo alle hinter ihrem Rücken über sie tuscheln, würde sie es nicht über sich bringen, ein Lächeln aufzusetzen und fröhlichen Smalltalk zu betreiben. »Ich bin nicht gut darin, Leute dazu zu bringen, mich zu mögen«, sagt sie schließlich mit leiser Stimme. Sie hebt den Blick und sieht Kondo an. »Das ist ein guter Rat, aber ich glaube nicht, dass ich das überzeugend hinbekomme, selbst wenn ich es versuche.«

Kondo sieht einen Moment lang so aus, als wäre sie erleichtert, dass Rem ihr geantwortet hat, und dann lächelt sie. »Dann helfen wir dir.«

Rem blinzelt. »Was?«

Kondo zuckt mit den Schultern und sieht in die Runde. »Immer wenn ich jemand tratschen gehört habe, hab ich mich dazu gestellt und einfließen lassen, wie weit hergeholt und unglaubwürdig die Gerüchte sind, und wie unmöglich ich es finde, dass darüber getratscht wird, als wären wir alle Schulkinder. Ich denke, das ist viel effektiver, wenn Aozora dabei ist und zustimmt.«

Rem sieht Kondo verdutzt an. Sie hat versucht, die Gerüchte gegen sie zu entkräften?

»Wow, das ist eine super Idee!«, sagt Mori. »Ich hab das auch versucht, aber ich hab dabei vielleicht ein bisschen zu pampig geklungen.«

»Das verstehe ich, aber dadurch macht man es im schlimmsten Fall nur schlimmer, weil sich die Leute persönlich angegriffen fühlen.«

»Ja, obwohl sie es sind, die Mist erzählen.«

»Ich habe auch versucht, etwas zu sagen«, sagt jetzt Yamato. »Aber ich glaube nicht, dass man mir geglaubt hat.«

»Wahrscheinlich, weil du zu unsicher rübergekommen bist.«

Rem schweigt und lauscht den drei Frauen, die sich darüber beraten, wie sich die Gerüchte am besten bekämpfen lassen. Sogar Kondo, von der sie immer dachte, dass sie Rem nicht besonders gut leiden kann, hat offenbar mehr darüber nachgedacht, wie sie Rem helfen kann, als Rem selbst.

Sie denkt zurück an das, was Yuji zu ihr gesagt hat und ihr wird plötzlich klar, dass alles, was sie getan hat, sich zu verkriechen und jeden von sich zu stoßen war, in der Hoffnung, dass die Gerüchte nicht schlimmer werden. Sie fragt sich, ob Inouye ebenfalls damit beschäftigt ist, die Gerüchte über sie abzutun und ob sie nicht doch noch einmal mit ihm reden sollte. Und während sie über Inouye nachdenkt, fällt ihr Blick auf Kondo.

Rem beteiligt sich kaum an dem Gespräch und ihre Gedanken schweifen immer mehr vom ursprünglichen Thema ab, während sie mehr und mehr das Gefühl bekommt, dass sie Kondo eine Erklärung schuldet. Und dann, als Kondo auf die Toilette verschwindet, folgt Rem ihr nach einigem Zögern.

Als sie die Damentoilette erreicht, ist Kondo gerade dabei sich die Hände zu waschen. Rem räuspert sich.

Kondo hebt den Blick und sieht sie überrascht an. »Stimmt etwas nicht?«

Rem beißt sich auf die Lippe. »Ich wollte allein mit Ihnen reden, weil ich denke, dass Sie etwas wissen sollten, bevor Sie mir helfen.« Sie knetet unruhig ihre Hände, während sich Kondos Miene verhärtet. Aber sie sagt nichts und Rem spricht weiter. »Sie erinnern sich bestimmt an den Abend, an dem Sie und Ms. Sasaki sich nach der Arbeit zu uns gesetzt haben, und wir über Mr. Inouye geredet haben.« Rem schluckt, während sie versucht, Kondos Reaktion einzuschätzen. Aber Kondo verzieht keine Miene.

»Ms. Sasaki hat davon erzählt, dass sie in seiner Wohnung Sachen von einer Frau gefunden hat. Das -, das waren meine.« Rems Stimme wird am Ende leiser und ihr Blick rutscht auf den Boden.

Kondo sagt nichts. Sie war damals nicht sehr überrascht von Sasakis Eröffnung, was bedeutet, dass sie ihr schon vorher davon erzählt hatte. Aber es hat sie trotzdem schwer getroffen, was man daran sehen kann, wie eisern sie Inouye meidet. Und Rem kann sich vorstellen, wie schlimm es sein muss, wenn man herausfindet, dass jemand, in den man seine Hoffnungen gesetzt hat, sich bereits mit einer anderen Frau trifft.

Und dann wird ihr klar, dass sie ein wichtiges Detail nicht erwähnt hat. Rem hebt den Blick und reißt die Arme hoch. »Oh, wir sind kein Paar. Wir hatten nur, also vor einer Weile, wir haben es beendet, so etwas wie...eine Affäre.« Rem beißt sich auf die Lippe, während sie Kondo mustert, die nach wie vor eine nichts sagende Miene trägt. Aber dann seufzt sie. »Ich weiß.«

Rem starrt sie verdutzt an. »Verzeihung?«

Kondo wendet sich ab und reibt sich mit den Händen übers Gesicht. »Ich meine, ich habe so etwas vermutet. Es ist ja kaum zu übersehen, wie er Sie ansieht.«

Diesmal sagt Rem nichts und sie ist froh darüber. Sie hätte beinahe gefragt, wie Inouye sie ansieht.

»Wieso erzählen Sie mir das?« Kondo dreht sich wieder zu Rem um. »Sie wissen, dass es zwischen Mr. Inouye und mir nicht geklappt hat, ich bin nicht einmal seine Ex-Freundin. Und selbst wenn, hätte ich kein Recht, wütend auf Sie zu sein, weil Sie sich jetzt mit ihm treffen.« Trotz ihrer Worte sieht Kondo alles andere als teilnahmslos aus. Und sie hat sichtlich Mühe, Rem weiter anzusehen, bis sie schließlich zu den Waschbecken sieht. »Selbst wenn«, beginnt sie dann und ihre Stimme zittert ein wenig. »Selbst wenn Sie sich von Mr. Inouye fernhalten würden und er mich ansehen würde…« Sie bricht ab und vergräbt erneut das Gesicht in den Händen.

Rem erinnert sich an den Tag zurück, an dem sie Kondo weinend im Treppenhaus vorgefunden hat, nachdem Inouye sie zurückgewiesen hatte. Es ist damals mehr ein Missverständnis gewesen, da Inouye unsicher über Kondos Wünsche war, aber das ändert nichts daran, dass er sich hinterher nicht mehr für sie interessiert hat.

»Ich komme mir blöd vor, weil ich Sie immer als meine Rivalin betrachtet habe, obwohl wir uns weder bei der Arbeit noch wenn es um Mr. Inouye geht, messen können. Und als Sie mir vor ein paar Wochen in dieser Gasse zur Hilfe gekommen sind und darüber gesprochen haben, als wäre ihre Hilfe selbstverständlich, ist mir klar geworden, dass ich auch die Einzige von uns bin, die in Ihnen eine Feindin gesehen hat.« Kondo lacht ein Lachen, dass auch durchaus ein Schluchzen sein könnte.

Natürlich ist Rem in der Vergangenheit nicht entgangen, dass Kondo nicht viel für sie übrig hat, aber das ist nie zu einem Problem geworden. Es hat sie nur zu dem Schluss gebracht, dass Kondo und sie nicht viel gemeinsam haben. Aber in diesem Moment kann Rem besser nachempfinden, wie es Kondo geht, als ihr lieb ist.

»Mein Freund hat mich betrogen«, sagt Rem und überrascht sich selbst damit.

Kondo hebt den Kopf und sieht Rem verdutzt an. Und diesmal ist es Rem, die ihrem Blick ausweicht. »Während ich gearbeitet habe, hat er sich mit einer anderen Frau getroffen und als Begründung hat er gesagt, dass ich...ihn nicht befriedigen würde.« Ihre Stimme klingt tonlos bei den letzten Worten und sie spürt, wie ihr Hitze in die Wangen steigt. Gleichzeitig verspürt sie jedoch auch Wut über Kosukes Worte und die Tatsache, dass sie sich bisher nicht getraut hat, irgendwem davon zu erzählen. Es ist nicht fair, dass sie sich für etwas schämen muss, an dem sie keinerlei Schuld trägt. »Es ist ironisch, weil ich nur getan habe, was er wollte und dann hat es ihm nicht einmal gefallen.« Sie beißt sich auf die Lippe und wünschte, sie hätte nicht davon angefangen.

»Wie...«, sagt Kondo dann, nachdem es eine Weile still war, und räuspert sich. »Wie haben Sie es dann geschafft, sich auf Mr. Inouye einzulassen?«

Rem zuckt mit den Schultern. »Das wollte ich gar nicht. Wir waren betrunken und er hat sich darüber lustig gemacht, dass ich nicht über meine Beziehung hinwegkomme.«

Kondo sieht sie reichlich verwirrt an und Rem wird klar, dass man nach ihren Worten nicht verstehen kann, weswegen sie mit Inouye geschlafen hatte.

Sie reibt sich unbeholfen den Hals. »Was ich sagen will, ist, dass ich mir keine Gedanken darum gemacht habe, ob es Mr. Inouye gefällt und ich denke, das sollten Sie auch nicht.« Rem kommt sich komisch vor. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal am Wochenende mit Kondo in der Damentoilette eines Cafés stehen und sich über Beziehungen und Sex unterhalten würde. Aber Kondo hat ihr offen und ehrlich gesagt, was sie denkt. Es ist nur fair, wenn Rem dasselbe tut.

»Sie sind kompetent, unabhängig und sehr attraktiv, und die meisten Männer träumen davon, mit einer Frau wie Ihnen auszugehen. Sie sind viel zu gut für jeden Mann, der von Ihnen erwartet, seinen persönlichen Wünschen zu entsprechen.« Rem spürt, wie sie erneut rot im Gesicht wird, dafür etwas so Kitschiges zu sagen, aber sie zwingt sich Kondo weiterhin anzusehen, damit sie weiß, dass Rem es ernst meint.

Kondo erwidert Rems Blick einen Moment lang. Dann wird sie ebenfalls rot. »Oh«, macht sie und dreht den Kopf weg. »N-Natürlich, ähm, ich meine, das ist nett.«

Rem rollt mit den Augen. Die Situation ist noch unangenehmer als vorher und sie fragt sich, ob es die richtige Entscheidung war, Kondo hinterherzugehen. Sie ist froh, dass sie ihr von Inouye und sich erzählt hat, aber Kondo wusste offenbar schon davon. Und sie nimmt es Rem nicht übel.

»Ich fürchte nur, dazu fehlt mir das Selbstvertrauen.« Kondos Stimme ist leise, sodass Rem sie fast nicht versteht.

»Wollen Sie mit mir zum Kickboxen gehen?«, fragt Rem und erst als sie Kondos verdutztes Gesicht sieht, merkt sie, wie eigenartig ihre Frage klingen muss. Sie hebt die Hände. »Wenn Sie Ihr Selbstvertrauen steigern wollen, kann es helfen, Kampfsport zu lernen und wenn Sie Interesse haben, kann ich Sie mit in meine Boxhalle nehmen, zum Ausprobieren.«

Kondo blinzelt. »Das ist nett, danke.«

Rem nickt und wirft der Tür hinter sich einen Blick zu, während sie überlegt, ob jetzt ein guter Moment ist, um zurück zum Tisch zu gehen.

»Da ist noch eine Sache, Ms. Aozora«, sagt Kondo in diesem Moment und ihre Stimme klingt wieder kräftiger und ernst.

Rem sieht sie fragend an, aber Kondo zögert. »Sie haben mich doch gebeten, ein Auge auf Ms. Sasakis Kunden zu haben, um zu sehen, ob mir etwas Eigenartiges auffällt.«

Rems Augen weiten sich mit Interesse, als sie sich wieder an den Gefallen erinnert, um den sie Kondo nach der Sache mit den betrunkenen Idioten gebeten hat. Wegen der Gerüchte hat sie völlig vergessen, was ihr vor alldem Sorgen gemacht hat.

»Mir sind einige eigenartige Dinge aufgefallen und ich bin mir sicher, dass Ms. Sasakis Beziehungen und Einfluss dabei eine große Rolle spielen. Deswegen habe ich mich nicht getraut, tiefer zu graben, aber ich habe außerdem das Gefühl, dass sie die Gerüchte über Sie anfacht. Möglicherweise steckt sie sogar dahinter.«

»Wieso denken Sie das?«, fragt Rem mit scharfer Stimme. Sie hat Sasaki im Verdacht, was den Betrugsversuch angeht, aber ihr ist nicht eingefallen, dass sie auch für die Gerüchte verantwortlich sein könnte.

»Wegen Ihrem Verhältnis mit Mr. Inouye. Sie muss irgendwie davon erfahren haben und es ist offensichtlich, dass sie ihn für sich haben will.«

Rem legt sich eine Hand ans Kinn. Kondos Vermutung ist dieselbe wie Rems, aber wenn sie stimmt, dann würde das bedeuten, dass es Sasaki nicht darum geht, dass Rem sich von Inouye fernhält. Immerhin treffen Inouye und sie sich nicht mehr. Und so nahe wie Sasaki und Inouye sich stehen, sollte sie das wissen. Noch dazu verbringen die beiden so viel Zeit zusammen, dass es keinen Grund gibt, eifersüchtig auf Rem zu sein. Welchen Groll sollte Sasaki also gegen Rem hegen?

Sie wirft Kondo einen Blick zu, die sie ihrerseits mustert, aber sie bringt es nicht über sich, sie nach Inouye zu fragen. Sie will nicht darüber nachdenken, dass er sich in dieser Sache auf Sasakis Seite stellen könnte. Dass ihm das Hin und Her in ihrer Beziehung zu anstrengend war und er sich wieder Sasaki zugewandt hat. Dass sie am Ende nicht nur den Komfort, den ihr die Arbeit verschaffte, verloren hat, sondern auch Inouye.

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