Posterboy

XXIV.

Adrenalin

Kohei denkt sich nichts dabei, als Rem den Schankraum verlässt, aber dann erhält er kurz darauf, eine Nachricht von ihr. Sie bittet ihn, das Restaurant zu verlassen und in die Seitengasse daneben zu kommen. Es ist eine sehr eigenartige Bitte und Kohei kann sich denken, worum es geht.

Ihr muss aufgefallen sein, dass er ihr aus dem Weg geht. Der Grund dafür ist sein Stolz. Nachdem er Rem an diesem Freitagabend nach Hause gefahren hat und sich die Situation über das Wochenende durch den Kopf hat gehen lassen, ist er zu einem Ergebnis gekommen, was Rems Verhalten betraf.

Sie ist zu starrköpfig, um sich aufgrund von einer flüchtigen Schwäche von ihm verführen zu lassen. Das Einzige, was bei Rem noch stärker ausgeprägt ist, als ihre Sturheit, ist ihr Bedürfnis, Unrecht zu beseitigen. Sie hätte die Fähigkeiten, die erfolgreichste Betrügerin der Welt zu werden, wäre da nicht ihr Mitgefühl. Und damit erklärt sich auch, weshalb sie mit ihm geschlafen hat. Aus Mitleid.

Noch nie in seinem ganzen Leben hat eine Frau auch nur daran gedacht, aus Mitleid mit ihm zu schlafen! Und er hat sich auch noch so leicht verführen lassen. Aus diesem Grund hat er sich fest vorgenommen, ihr zu zeigen, dass er nicht so leicht zu haben ist. Aber in der darauffolgenden Woche war sie so mit dem Schlichten ihrer Situation mit dem Betrug beschäftigt, dass sie ihm kaum Beachtung schenkte. Schlimmer noch, die Woche darauf nahm sie Urlaub!

Zugegeben sie hat sehr müde ausgesehen und vielleicht lag es auch daran, dass ihr seine Bemühungen entgangen sind. Denn heute hat sie offensichtlich etwas bemerkt. Oder sie hat es nicht und schreibt ihm, weil sie immer noch glaubt, dass er springen würde, wenn sie ruft.

Sein Plan sieht wie folgt aus: Er würde nicht sofort hinausgehen, um nicht zu verzweifelt zu wirken. Dann würde er sich auf sie einlassen, bis sie bei ihm sind und dann, wenn sie nichts mehr abstreiten konnte, würde er sie daran erinnern, dass sie sich nicht mehr treffen wollten!

»Hehehe!«

»Hey, alles okay bei dir?«, fragt Tomoda und Kohei räuspert sich hastig. »Natürlich.«

Tomoda runzelt die Stirn. »Ich würde dich ja fragen, ob du zu viel getrunken hast, aber du hast überhaupt nicht getrunken.«

Natürlich hat Kohei keinen Alkohol getrunken. Er muss nüchtern sein, um seinen Plan umzusetzen. »Ich bin mit dem Auto hergefahren und ich will es nicht über Nacht hier stehen lassen.«

»Das machst du in letzter Zeit oft. Was ist der Sinn, einen Trinken zu gehen, wenn man gar nichts trinkt?«

»Seh ich aus, wie einer von diesen bedauernswerten Leuten, die ohne Alkohol keinen schönen Abend haben können?«, fragt Kohei im Gegenzug und hebt seine Limonade an die Lippen.

»Nein, du siehst aus wie ein arroganter Snob, aber man sollte nie vom Äußeren aufs Innere schließen.«

Kohei wirft ihm einen Blick zu. »Sagt der Kerl, mit dem Gesicht eines Gangsters.«

»Hey!«, beschwert Tomoda sich, aber Kohei steht auf. »Ich geh ein bisschen frische Luft schnappen.«

»Hm? Okay.« Tomoda sieht etwas überrascht aus, aber er kommentiert es nicht weiter und Kohei verlässt gemächlich das Restaurant. Es sind nur ein paar Minuten vergangen, aber er will auch nicht, dass Rem es sich anders überlegt. Sie soll nur leicht genervt sein.

Leise summend tritt Kohei aus der Tür in die kühle Abendluft hinaus. Es ist in den letzten Tagen kühler geworden, was Kohei vor allem daran aufgefallen ist, dass Rem ihren Rock wieder gegen eine lange Hose ausgetauscht hat. Er bedauert es ein wenig, gleichzeitig kommen ihr Hintern und ihre Oberschenkel in einer Hose besser zur Geltung.

Er sieht sich um. Die Seitengasse, die Rem meint, liegt direkt neben dem Restaurant, aber es ist kein sehr schöner Ort und Kohei fragt sich, weshalb sie sich gerade dort mit ihm treffen will. Sie will wohl unbedingt verhindern, dass sie von ihren Kollegen gesehen werden. Es passt zu Rem diesen Gedankengang zu haben, nachdem sie schon einmal -

Seine Gedanken kommen zu einem abrupten Halt, als er die Ecke des Hauses erreicht und in die Gasse sehen kann. Er hat erwartet, Rem zu sehen, die ungeduldig auf ihn wartet. Stattdessen sieht er Rem, die einen Mann mit einem Highkick zu Boden befördert. Und noch während Kohei versucht diesen Anblick zu verarbeiten, stürzt sich ein zweiter Mann auf Rem, nur um sich ebenfalls mit einem Tritt und einem anschließenden Faustschlag auf dem Boden wiederzufinden. All das geht so schnell, dass es bereits vorbei ist, als Kohei die Situation begreift.

»Ms. Aozora!«

Kohei blinzelt und erst da fällt ihm die vierte Person in der Gasse auf. Kondo. Und dann wird ihm klar, welche Situation er vor sich sieht.

»Macht, dass ihr wegkommt!«

Er erkennt Rems Stimme kaum wieder. Sie starrt immer noch auf die Männer hinab, mit einem Blick, der die Temperatur in der Gasse um einige Grad senkt, während sie drohend mit den Knöcheln knackt.

Und die Männer tun, was jeder tut, dem eine zornige Kitsune gegenüber steht. Wegrennen.

»Drecksstück!«

»Das bereust du! Schlampe!«

Koheis starre Bewunderung wird jäh zerstört, als die Männer mit Beleidigungen um sich werfen, die offensichtlich an Rem gerichtet sind. Aber zu seinem Glück haben die Männer ihn in ihrer Eile übersehen und rennen geradewegs auf ihn zu.

»Na, na«, sagt er, während er sich direkt vor dem Ausgang der Gasse positioniert.

Die Männer bleiben sofort stehen. Einer von ihnen hat eine blutende Nase, der andere eine aufgeplatzte Lippe. Außerdem stehen sie leicht zusammengekrümmt und sehen auch sonst recht ramponiert aus.

»Es ist nicht sehr nett, solche Dinge zu meiner geschätzten Kollegin zu sagen.« Er hätte die Männer einfach vorbeigelassen, hätten sie nicht ihre dreckigen Mäuler aufgerissen. Bis zu diesem Moment war es eine beeindruckende Szene.

Kohei lächelt die erstarrten Männer an, die daraufhin auf dem Absatz kehrtmachen und zurück in die Gasse laufen. Nur um daran erinnert zu werden, dass Rem immer noch dort steht und stolpernd einen Bogen um sie zu machen.

Als die Männer in der Gasse verschwunden sind, richtet Kohei seine Aufmerksamkeit wieder auf Rem. Und wird prompt von ihrem frostigen Blick getroffen. »Wieso hat das so lange gedauert?!«, faucht sie mit solcher Intensität, dass es ihn nicht wundern würde, wenn er auch einen Tritt abbekommt.

Kohei hebt abwehrend die Hände, als sie auf ihn zugestampft kommt.

»Ich hab dir geschrieben, bevor ich in die Gasse gegangen bin!« Sie bleibt vor ihm stehen und starrt vorwurfsvoll zu ihm auf.

Kohei weicht ihrem Blick aus. Er kann ihr nicht sagen, dass er sich absichtlich Zeit gelassen hat, weil er ihre Nachricht völlig missverstanden hat. Nicht nur wäre es sehr unangenehm, Rem würde ihn womöglich tatsächlich noch treten, da sie jetzt schon so aufgebracht ist, dass sie ihn in Kondos Anwesenheit duzt.

»Tut mir leid, ich hab nicht auf mein Handy geschaut. Geht es euch gut?«, fragt er, um schnell das Thema zu wechseln.

Daraufhin sehen sich beide Frauen an. Dabei scheinen sie beide den Gesundheitszustand der jeweils anderen zu überprüfen. »Wie geht es Ihrem Arm?«, fragt Rem und ihre Stimme klingt um einiges sanfter als als sie mit Kohei gesprochen hat.

Kondo schüttelt den Kopf. »Das war doch gar nichts. Ich mache mir mehr Sorgen um Sie.«

»Oh, mir geht es gut«, sagt Rem und Kohei bemerkt, dass ihre Stimme nicht nur sanfter klingt, sie zittert auch. Und nicht nur ihre Stimme tut das. Er richtet seinen Blick auf ihre Hände, die sie immer noch vor der Brust hält, eine Faust in der Handfläche der anderen Hand. Aber es sieht nicht mehr wie eine Drohgebärde aus.

»Wir sollten reingehen«, sagt er ruhig und gestikuliert auffordernd in Richtung des Restaurants.

In diesem Moment richtet Rem ihren Blick wieder auf ihn und ihre Miene verhärtet sich. Sie sagt nichts, aber sie betrachtet ihn missbilligend von oben bis unten, als wäre sie überhaupt nicht glücklich über seine Anwesenheit.

Kohei lächelt erzwungen. »Ms. Aozora? Stimmt etwas nicht?«

Rem schnaubt. »Es gefällt mir nicht! Ich hab die ganze Arbeit gemacht, also wieso hatten die Bastarde mehr Angst vor dir?!«

Kohei klappt der Mund auf.

Rem packt sein Jackett mit beiden Händen. »Alles, was du getan hast, war dastehen und blöde Sprüche klopfen!« Ihre Augen blitzen bedrohlich, aber es fehlt ihrem Blick an Intensität, als würde sie gar nicht ihn ansehen. Außerdem zittern ihre Hände noch immer.

Kohei legt seine Hände sanft auf ihre und setzt wieder ein Lächeln auf. »Ich hab überhaupt nichts getan. Die Kerle sind vor dir geflohen und das ist auch kein Wunder.«

Rem blinzelt und diesmal sieht sie ihn richtig an. Dann wird Kohei an seinem Jackett nach vorn gezogen. »Mach dich nicht lustig über mich!«

»Tu ich nicht. Es war wirklich gruselig, wie du ihnen gedroht hast.«

Rem verzieht das Gesicht und zieht stärker an seinem Jackett. »Was für ein Schwachsinn! Seh ich vielleicht aus wie ein Gangster?!«

»Im Moment…« Kohei tätschelt ihre Hand beruhigend, als Rems Augen drohend aufglühen. Dabei spürt er etwas Klebriges an seinen Handflächen. »Wir sollten reingehen und du solltest dich untersuchen lassen, nur um sicher zu sein, dass du nicht verletzt bist. Es sei denn, du hast vor, mich auch noch zu verprügeln.«

Seine letzten Worte lassen Rem irritiert blinzeln und ihr Griff lockert sich, sodass er ihre Hände von seinem Jackett lösen kann.

Sie räuspert sich. »Natürlich nicht!«, sagt sie und wendet sich ab. »Lasst uns reingehen.«

Kohei verdreht die Augen und richtet seinen Blick auf Kondo, die ihre Unterhaltung stumm verfolgt hat und deren Anwesenheit Kohei vorübergehend entfallen ist. Aber wie so oft in letzter Zeit, wendet sie sich ab, sobald sie seinen Blick bemerkt und folgt Rem.

Zurück im Restaurant erklärt Kohei, dass er sich bereiterklärt hat, die beiden Frauen nach Hause zu fahren, wobei er die Geschehnisse aus der Gasse so gut wie möglich herunterspielt. Ihr Abschied ist ein bisschen zu plötzlich und auffällig, um es völlig geheim zu halten, aber weder Kondo noch Rem sehen so aus, als wollten sie lang und breit erklären, was vorgefallen ist. Auch Kohei kennt nur das Ende der Geschichte, wobei er sich den Rest denken kann.

Er fährt erst zu Kondos Haus, dessen Adresse er noch weiß und nach der er, in der eigenartigen Stille, die von der Rückbank kommt, nicht fragen will. Auch wenn er hinterher nicht sagen kann, ob das die richtige Entscheidung ist.

Rem steigt mit Kondo aus und die beiden Frauen unterhalten sich kurz, bevor Rem wieder einsteigt, vorne auf den Beifahrersitz diesmal.

»Tut mir leid.«

Kohei ist bereits wieder auf der Straße, als Rem zu sprechen beginnt.

»Wie ich vorhin mit dir gesprochen habe, war nicht sehr nett. Und danke, dass du gekommen bist.«

Koheis Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. Er war zwar nie wütend deswegen, aber es ist trotzdem schön, ihre Entschuldigung zu hören. »Du meinst, als du kurz davor warst, mich auch zu verprügeln, weil ich nicht sofort da war, um dich zu retten?« Er sagt es spielerisch, aber tatsächlich stört ihn das wahrscheinlich mehr als sie. Der Gedanke daran, dass Rem ihn um Hilfe gebeten hat, um ein paar aufdringliche Kerle loszuwerden, ist schmeichelnd, nur leider hat er in seiner Ignoranz die Gelegenheit verpasst. Wie dankbar sie ihm wohl wäre, wenn er die Kerle für sie in die Flucht geschlagen hätte?

»Das wollte ich nicht. Ich wollte überhaupt nicht gewalttätig werden, aber sie waren so betrunken, dass man nicht mehr mit ihnen reden konnte.«

Kohei lacht leise. Rem mag ungeschlagen sein, wenn es um Debatten geht, aber das bringt nicht viel, wenn das Gegenüber nicht zuhört. »Mit manchen Menschen kann man eben nicht vernünftig reden. Und falls es dich beruhigt, du hast ihnen ordentlich Angst gemacht.«

Rem antwortet darauf mit beschämtem Schweigen und Kohei gluckst. »Ich kann nichts daran ändern, dass du neben mir immer klein und zerbrechlich aussehen wirst, aber das macht, was du getan hast, umso beeindruckender, denkst du nicht?«

»Lass das!« Rems Stimme klingt beleidigt.

»Was denn?«

»Du machst dich schon wieder über mich lustig.«

»Nein, ich mache mich darüber lustig, dass es dich gestört hat, dass die Männer mehr Angst vor mir hatten als vor dir«, erwidert Kohei kichernd. »Du musst wirklich aus allem einen Wettkampf machen.«

Er sieht aus dem Augenwinkel, wie Rem sich in ihrem Sitz empört aufrichtet. »So meinte ich das gar nicht! Ich finde es nur unfair, weil sie mich überhaupt nicht ernst genommen haben!«

»Das haben sie doch! Sie sind weggerannt, damit du sie nicht nochmal schlägst.«

»Das wollte ich gar nicht«, sagt sie nun etwas kleinlaut.

»Du hast mit den Knöcheln geknackt.«

»Nein! Mir haben nur die Hände wehgetan«, widerspricht sie nun wieder energischer. »Weißt du, wie weh es tut, jemandem mit der bloßen Faust ins Gesicht zu schlagen? Die hatten harte Köpfe!«

»Ja, weiß ich«, sagt er mit einem Lächeln. Er kann hören, dass sie immer noch aufgeregt ist, auch wenn sie mittlerweile aufgehört hat zu zittern. Ein Kampf im Ring und ein Kampf auf der Straße sind zwei völlig unterschiedliche Dinge und Rem hat es weitgehend unverletzt überstanden. Und sie war allein gegen zwei Männer, was ihn noch ein weiteres Mal bereuen lässt, dass er nicht sofort hinausgegangen ist, als er ihre Nachricht bekommen hat. Nicht nur hat er es versäumt ihr zu helfen, er hat auch versäumt ihr dabei zuzusehen, wie sie eigenhändig zwei Männer verprügelt.

Er fährt zu seiner Wohnung, was Rem nicht kommentiert, als hätte sie nichts anderes erwartet. Dabei geht es ihm hauptsächlich darum zu überprüfen, ob sie nicht doch schlimmer verletzt ist, als es den Anschein hat. Aber da sie nichts sagt, hat er nicht die Möglichkeit, ihr das zu erklären.

»Macht es dir etwas aus, wenn ich vorher dusche?«, fragt Rem, nachdem sie ihm immer noch ohne irgendetwas infrage zu stellen in seine Wohnung gefolgt ist.

»Hm? Oh, natürlich nicht«, antwortet Kohei nun doch etwas misstrauisch. Andererseits ist Rem eine sehr vernünftige Person und weiß bestimmt, dass es nicht ratsam ist, nach einer Schlägerei allein nach Hause zu gehen. Schock und Adrenalin können dafür sorgen, dass man selbst nicht merkt, wie schlimm man verletzt ist.

Und so holt Kohei seinen Verbandskasten hervor, stellt ihn auf dem Wohnzimmertisch ab und wartet auf dem Sofa, dass Rem aus dem Bad kommt.

Er hat einen Boxsack Zuhause, für die Situationen, in denen er keine Lust hat, in die Boxhalle zu gehen oder einfach eine Pause braucht, wenn er von zu Hause aus arbeitet. Aus diesem Grund hat er immer Bandagen, Pflaster und alles was man sonst noch braucht, um kleinere Wunden zu versorgen, da.

Rem braucht keine zehn Minuten und als Kohei hört, wie die Tür zum Badezimmer aufgeht, steht er auf. »Hast du außer deinen Händen noch mehr -« Er bricht ab, als sein Blick auf Rem fällt, die auf das Sofa zukommt. Im Gehen zieht sie sich das Haargummi aus den Haaren, die sie wohl zum Duschen hochgesteckt hat, und die langen, schwarzen Strähnen fallen über ihre Schultern. Ihre nackten Schultern, denn alles, was Rem trägt, ist ein Handtuch. Ein sehr kleines Handtuch.

»Wieso guckst du so?«, fragt sie, ohne stehenzubleiben. »Du hast mich doch nicht hergebracht, weil du mich verarzten wolltest.«

»Also eigentlich…«, setzt Kohei an, nur um erneut still zu werden, als Rem ihm eine Hand auf die Brust legt. Er hat gerade noch Zeit, an sich hinunterzusehen und festzustellen, dass ihre Knöchel rot sind, bevor sie ihm einen Stoß verpasst.

Mit einem überraschten Keuchen fällt er aufs Sofa zurück, wo Rem umgehend auf seinem Schoß Platz nimmt. »Du bist -«, bringt er noch heraus, bevor Rem seinen Kopf nach hinten lehnt und ihn küsst.

Irgendwo in seinem Hinterkopf weiß Kohei, dass etwas an dieser Situation schlecht ist. Aber er kann sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was. Ganz von selbst legen sich seine Hände auf ihre Hüften, während er ihren Kuss genießt. Die Art, wie sie die Oberhand übernimmt und sich an ihn drückt, als gäbe es in diesem Moment nichts anderes als ihn, lässt ihn jegliche Gedanken an Widerstand aufgeben. Selbst das Bedürfnis, sie herumzudrehen und auf das Sofapolster zu pressen, lässt sich leicht ausblenden, während er in dem Gefühl schwelgt, von ihr begehrt zu werden.

Der Kuss wird intensiver. Er hört ihren schneller werdenden Atem und spürt ihre unruhigen Bewegungen. Ihre Hände rutschen an ihm herunter, bis er das leise Klirren seiner Gürtelschnalle hört.

»Mh!« Sein Protestlaut geht an Rems Lippen unter, aber als er ihre Handgelenke packt, löst sie sich von ihm.

»Was ist?«, wispert sie mit keuchender Stimme und ihr Blick huscht mit Verwirrung über sein Gesicht.

Kohei lächelt milde, während er sich selbst fragen muss, was los ist. Der Abend ist etwas anders verlaufen als geplant, aber wenn er damit endet, dass Rem über ihn herfällt, hätte es besser nicht laufen können. Woher kommt also dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmt? »Das sollte ich dich fragen. Wieso hast du es so eilig?«

Rem blinzelt, als würde sie die Frage verwirren. Als gäbe es keinen Grund, die Sache nicht zu beschleunigen.

»Sag bloß, du hast mich vermisst.« Er lässt seine Stimme spielerisch klingen, als wäre es ein Witz. Und es ist einer. Schließlich würde Rem nicht ihn vermissen, sondern das, was sie gemeinsam tun.

Rem legt die Stirn in Falten, während sie darüber nachdenkt, wie sie ihm antworten soll. Natürlich würde sie diese Frage nie mit Ja beantworten, aber sie ist zu nett, um Nein zu sagen.

Kohei grinst und streckt eine Hand nach ihrem Gesicht aus. »Du könntest auch zugeben, wie sehr du mich gerade willst.«

Daraufhin presst Rem ihre Lippen fest aufeinander, aber ihre Wangen färben sich rot.

Kohei kann die Wärme unter seiner Handfläche spüren, als er sie an ihr Gesicht legt. Und sie zieht ihren Kopf nicht zurück. »Das ist immerhin schon das zweite Mal, dass du es initiierst.«

Rem schnaubt leise und Kohei, dessen Blick zu ihren Lippen gerutscht ist, sieht ihr wieder in die Augen.

»Überrascht dich das? Du hast, seit ich es beendet habe, deutlich gemacht, dass du jede Situation, in der ich auch nur ein bisschen unvorsichtig bin, ausnutzen wirst. Damit hast du mir praktisch das Recht gegeben zu entscheiden, wann und wo wir es tun.«

Kohei starrt sie verdutzt an. So hat er die Sache ganz und gar nicht betrachtet. Aber unrecht hat sie auch nicht. Er hat von Anfang an klargemacht, dass er sich weiter mit ihr treffen will, weil er dachte, er könnte Rem verführen. Dabei hat er vergessen, dass Rem durch und durch eine Geschäftsfrau ist und verhandlungstechnisch ist sein Verhalten nicht nur schwach. Es ist geradezu unterwürfig.

Er verzieht verärgert das Gesicht. »Und jetzt denkst du, dass ich einfach zu haben bin?«

Rem legt unschuldig den Kopf schräg. »Bist du nicht?«

Er kann verstehen, dass es aus ihrer Sicht so aussieht und in Bezug auf sie stimmt es vielleicht sogar. Aber das heißt nicht, dass er es auf sich beruhen lässt! Er nimmt seine Hand von ihrem Gesicht und packt sie bei der Taille. Er hat noch nicht entschieden, was er machen will, aber er vergisst, dass Rem nicht unbedingt bekleidet ist.

»Wenn ich wirklich -« Er bricht ab und sein Blick rutscht nach unten, als das Handtuch den Geist aufgibt und von Rems Körper fällt. Seine Hände halten es bei ihrer Taille, aber ihre Brust ist nun völlig entblößt.

»Wenn du wirklich was?«, säuselt Rem mit samtweicher Stimme und er spürt, wie ihre Finger durch sein Haar streichen.

»Ähm«, macht Kohei und versucht, nicht zu starren. Mit Mühe hebt er den Blick.

Rem hat sich wieder zu ihm vorgebeugt und während ihre rechte Hand in seinen Haaren verweilt, streicht sie ihm mit der linken über die Lippen.

»Du schummelst«, murmelt er gegen ihre Finger, die Augen fest auf ihre Lippen gerichtet, die sich zu einem Grinsen verziehen.

»Ja?«, flüstert sie noch, bevor sie sich wieder küssen.

Er weiß nicht einmal, ob sie die letzten Zentimeter überwunden hat oder ob er es war, aber das spielt auch keine Rolle. Er lässt sie los, um das Handtuch abzuschütteln und dann streichen seine Hände über ihren Rücken. Er genießt das Gefühl, ihrer Haut unter seinen Fingern, immer noch etwas feucht von ihrer Dusche. Sie riecht nach Wasser und Seife, und sie ist warm.

Nur sehr widerwillig löst er eine Hand, um zwischen den Sofapolstern nach der Packung Kondome zu tasten, die er dort versteckt. Währenddessen macht sich Rem erneut an seiner Hose zu schaffen und diesmal hält er sie nicht auf.

Er hört auf, Rem zu küssen, um das Kondom aus der Verpackung zu holen und überzustreifen, und, als wolle sie ihn dafür bestrafen, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten, zwickt Rem ihm in den Hals.

Kohei atmet kontrolliert aus, um nicht zu fluchen, und packt dann ihre Hüften. Er hört, wie Rem den Atem anhält und ihr Griff an seinen Schultern wird fester. Sie beginnt sich langsam zu bewegen und seine Hände begleiten ihre Bewegungen, während er den Kopf zurücklegt.

Rems Lippen wandern von seinen über seine Wange zu seinem Ohr und er lauscht ihrem schweren Atem, während ihre Wärme auf ihn übergeht. Er hört ihre Stimme, die zunehmend beginnt, ihre Atemzüge zu begleiten, und er beißt sich auf die Lippe, um sich davon abzuhalten, etwas zu sagen, das er später bereut.

Sie knabbert an seinem Ohr und er drückt die Finger in ihre Haut, während er sie fester zu sich zieht. Es ist eine Anstrengung, seine Hüften stillzuhalten und er fragt sich, wie er es zwei Wochen ohne sie ausgehalten hat.

Ihre Stimme wird lauter und sie drückt den Rücken durch. Ihre Hand wandert von seinem Nacken zu seinem Hinterkopf und drückt sein Gesicht in ihre Halsbeuge. Ein Zittern geht durch ihren Körper und Kohei schließt die Augen.

Dann erschlafft sie und ihr Kopf sinkt auf seine Schulter.

Kohei legt die Arme um sie und lässt eine Hand ihren Rücken hinaufwandern. »Lässt du mich jetzt nach deinen Verletzungen sehen?«, fragt er, während seine Hand ihre Haare erreicht.

»Ich bin nicht verletzt.«

Kohei verdreht die Augen und lässt seine Hand von ihren Haaren zu ihrer Schulter rutschen, um sie von sich zu drücken.

Als Rem sich aufrichtet, um ihn anzusehen, nimmt er ihre Hand und hält sie hoch. »Das nennst du nicht verletzt?«

Die Knöchel ihrer feingliedrigen Hände sind geschwollen und an einigen Stellen aufgeplatzt. Und Koheis Miene verdüstert sich noch weiter, als sein Blick ihren Arm hinaufwandert und er den dunklen Abdruck einer Männerhand auf ihrem Unterarm findet.

Er schnaubt, während er sich im Stillen ärgert, dass er die Männer einfach hat laufen lassen, und hebt Rem von seinem Schoß.

»Das ist wirklich nicht schlimm.« Sie wickelt das Handtuch wieder um sich und lehnt sich dann vor, um einen Blick in Koheis Erste-Hilfe-Koffer zu werfen.

Kohei macht seine Hose zu und als er zu Rem sieht, fällt sein Blick auf ihren Rücken. »Nicht so schlimm?!«, knurrt er und streckt die Hand nach ihr aus. »Hast du mal deinen Rücken gesehen?!«

Rem sieht über die Schulter. »Es ist physisch unmöglich, meinen eigenen Rücken anzusehen, also nein.«

Kohei schnalzt mit der Zunge und streckt ihr seine linke Hand entgegen, ohne die Augen von dem großen, dunklen Fleck auf ihrem Rücken zu nehmen. »Gib mir die Salbe!«, sagt er in befehlsmäßigem Tonfall. »Und ich bin offiziell enttäuscht von dir! Wie kann jemand, der sonst so vernünftig ist, so wenig auf sich achtgeben?!«

»Wieso machst du so einen Aufstand wegen ein paar blauer Flecken?«, fragt Rem, reicht ihm aber die Salbe. »Ich hatte Glück, dass diese Männer völlig betrunken waren. Verglichen mit denen, bin ich praktisch unverletzt.«

Kohei ist das ramponierte Aussehen der Männer noch im Gedächtnis und er kann nicht abstreiten, dass es ihnen wahrscheinlich schlechter geht als Rem. »Versuch nicht cool zu sein!«, brummt er, während er beginnt, Rems Rücken mit der Salbe einzuschmieren.

»Tue ich nicht. Ich sage nur, wie es ist.«

Kohei rümpft die Nase, während Rem so tut, als wäre es eine Kleinigkeit, zwei Männer im Alleingang zu verprügeln. Aber er sagt nichts.

»Du hast gar nicht gefragt, was passiert ist«, sagt sie dann.

»Muss ich auch nicht. Was sollten zwei betrunkene Typen in einer Gasse schon von zwei Frauen wollen? Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe.« Es ist das dritte Mal, dass er diesen Umstand bereut und es ist der schwerwiegendste Grund. Er hätte verhindern können, dass Rem verletzt wird.

Rem schüttelt den Kopf. »Nein, das hätte ich dir nicht vorwerfen sollen. Ich hätte die Situation anders angehen sollen, sodass sie nicht eskaliert.«

Kohei hält inne. »Das hätte wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht. Es war die richtige Entscheidung, mir Bescheid zu geben und nicht zu versuchen, die Situation allein zu lösen.« Noch schlimmer als die Tatsache, dass er nicht sofort zur Gasse gegangen ist, wäre es, wenn Rem beschlossen hätte, ihn gar nicht erst um Hilfe zu bitten. »Ich nehme zurück, was ich vorhin gesagt habe«, murmelt er und lehnt sich vor.

Rem hat den Rücken ihm zugedreht und ihre Haare nach vorn gezogen, damit sie nicht im Weg sind, und Kohei setzt einen sanften Kuss auf den obersten Wirbel in ihrem Nacken. »Ich bin nicht enttäuscht.«

Rem versteift sich und ein Grinsen breitet sich auf Koheis Lippen aus, als er ihre roten Ohren sieht. »Im Gegenteil«, fährt er vor, ohne sich wieder zurückzulehnen. »Ich bin beeindruckt, dass du es mit zwei Männern aufnehmen kannst.«

»D-Das ist nur, ich meine, meine Mutter hat mich schon in der Grundschule zum Kampfsport geschickt. Sie hatte sich mit meinem Vater gestritten und fand, ich sollte früh lernen, mich zu verteidigen...ähm...« Sie redet schnell und scheint am Ende etwas peinlich berührt.

»Damit du dich von keinem Mann unterkriegen lässt?«, fragt Kohei amüsiert.

»…so was in der Art.«

Kohei lächelt fröhlich, während er sich wieder seiner Aufgabe widmet. Es gefällt ihm, dass er sie so unruhig machen kann. Außerdem gefällt es ihm, dass sie ihm etwas Privates über sich erzählt und es macht ihn nur umso neugieriger, wie Rem wohl als Kind war.

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