Kitsune

XXI.

Schleichendes Übel

Rems Versuch sich beschäftigt zu halten, zahlt sich aus, denn in der kommenden Woche hat sie so viel zu tun, dass sie Abends nur noch erschöpft ins Bett fällt. Das liegt vor allem daran, dass sie ihre Arbeit und die Termine zum Besichtigen von Wohnungen miteinander abstimmen muss. Die gute Nachricht ist, dass viele Vermieter auf ihre Anfragen reagiert haben, die schlechte, dass nicht alle eine Besichtigung am Wochenende anbieten.

Da sie so schnell wie möglich umziehen will, gibt sie einige Termine mit Kunden an Mori und Yamato ab und bei den Terminen, die sie besucht, scheint sich ihre Überlastung bemerkbar zu machen. Als sie am Mittwoch eine neue Werbekampagne für die Schuhmarke Haishe vorstellt, spürt sie, dass Ms. Hirata sie mit einem kühlen Blick mustert, als wäre sie unzufrieden.

Da sie schon lange mit Ms. Hirata zusammenarbeitet, beschließt sie nach Ende des Meetings zu ihr zu gehen und sich zu entschuldigen, auch wenn sie im Grunde keinen Fehler gemacht hat.

»Sie müssen sich für nichts entschuldigen, Ms. Aozora«, sagt Ms. Hirata, aber ihre Stimme klingt so abweisend, als wäre Rems gesamte Präsentation ein Reinfall gewesen. »Ihre Arbeit ist einwandfrei wie immer. Jedenfalls oberflächlich.« Den letzten Teil hört Rem beinah nicht, weil Ms. Hirata sich abwendet und Rem im Flur stehen lässt.

Rem sieht ihr nachdenklich hinterher. Sie hat sich immer sehr gut mit Ms. Hirata verstanden, da sie ähnliche Vorstellungen teilen, wenn es um die Arbeitseffizienz und -handhabung geht. Da Rem sich jedoch an nichts erinnern kann, mit dem sie Ms. Hirata verärgert haben könnte, erklärt sie es sich damit, dass Ms. Hirata einen schlechten Tag gehabt haben muss und belässt es dabei.

Aber dann passiert es wieder. Bei einem anderen Kunden und nochmal. Keiner bemängelt ihre Arbeit oder sagt etwas Konkretes, aber sie scheinen nicht sehr gut auf Rem zu sprechen zu sein.

Eine Woche vergeht und Rem wird das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt. Sie hat es Mori und Yamato gegenüber angesprochen, aber keiner von ihnen ist etwas Eigenartiges bei den Kunden aufgefallen. Und nach einem Meeting bei Syrene ist Rem sich nicht mehr sicher, ob sie nicht einfach paranoid ist. Sie hatte das Gefühl, dass Mr. Blake sie während des Meetings angestarrt hat, aber das könnte auch daran liegen, dass er seine Pläne sie zu einem Model zu machen, doch noch nicht ganz verworfen hat.

Und tatsächlich sucht er sie nach dem Meeting auf. »Ms. Aozora, hätten Sie einen Moment Zeit für mich?«

Rem, die noch dabei ist, ihre Tasche zu packen, wirft einen Blick auf die Uhr. »Leider nicht. Ich muss zurück ins Büro«, sagt sie, als sie feststellt, dass sie sich beeilen muss, wenn sie pünktlich zu ihrem Meeting mit Inouye erscheinen will.

»Dann erlauben Sie mir, Sie dort hinzufahren.«

Rem seufzt. »Mr. Blake, ich denke, ich habe mich das letzte Mal klar ausgedrückt.«

»Es geht nicht um das Angebot, dass ich Ihnen gemacht habe«, sagt er, kaum dass Rem zu Ende gesprochen hat.

Sie hält überrascht inne und sieht ihn an. »Worum geht es dann?«

Mr. Blake hat einen scharfen Blick in den Augen, während er sie mustert und er antwortet nicht sofort. Dann sagt er: »Es geht um die E-Mail, die Sie geschrieben haben.«

Rem legt die Stirn in Falten und versucht, sich an die letzte E-Mail zu erinnern, die sie ihm geschrieben hat. »Okay, dann geht es um den Terminplan?«

Mr. Blakes Augen schmälern sich. »Nein, die andere E-Mail.«

Rem reibt sich mit einem Seufzen die Stirn. »Verzeihung, können Sie mir sagen, worum es genau geht.«

Wieder antwortet er nicht sofort. »Nicht hier«, sagt er dann plötzlich und wendet sich ab. »Lassen Sie uns im Auto reden.« Er gibt ihr keine Chance zu widersprechen und Rem starrt ihm hinterher. Und erneut sagt ihr ihr Gefühl, dass etwas nicht stimmt.

Sie behält recht. Sobald sie in Mr. Blakes Mercedes sitzen, reicht er ihr sein Handy, auf dem eine E-Mail geöffnet ist, die von Rems E-Mail-Adresse verschickt wurde. Eine E-Mail, die Rem nie geschrieben hat noch jemals schreiben würde. »Was ist das?!« Rem starrt auf die Worte vor ihren Augen, die sie wieder und wieder gelesen hat, nur um jedes Mal von Neuem schockiert zu sein.

»Sie haben diese E-Mail also nicht geschrieben?«

Rem reißt den Kopf herum und sieht Mr. Blake an, der gelassen auf die Straße sieht. Er sieht um einiges entspannter aus als zuvor, im Gegensatz zu Rem. »Nein!«, ruft sie aus und deutet mit einem zitternden Finger auf Mr. Blakes Handy. »Das ist Betrug! Ich würde niemals versuchen, meinen eigenen Arbeitgeber zu bestehlen, und ich würde ganz bestimmt nicht meinen Kunden eine so dubiose E-Mail schreiben!« Die E-Mail richtet sich an Mr. Blake persönlich und schlägt ein Geschäft vor, bei dem Mr. Blake eine neue Werbekampagne in Auftrag gibt, die jedoch nicht existiert, und bei der Rem die finanziellen Mittel für die Produktionskosten einstreicht und mit Mr. Blake teilt.

»Das dachte ich mir«, sagt Mr. Blake, nach wie vor mit den Augen auf der Straße. »Deshalb habe ich Sie darauf angesprochen.« Die E-Mail verlangt auch unbedingtes Stillschweigen, unabhängig davon, ob das Angebot angenommen wird oder nicht.

Rem schüttelt den Kopf und legt Mr. Blakes Handy in ihrem Schoß ab. »Ich muss das klären«, murmelt sie, während sie ihr Handy aus der Tasche zieht. Aber bevor sie es auch nur entsperren kann, legt Mr. Blake ihr eine Hand auf den Arm. »Bleiben Sie ruhig. Das ist sicher ein Schock für Sie«, sagt er mit ruhiger Stimme und wirft ihr einen kurzen Blick zu. »Ich verstehe, dass Sie sich darum kümmern wollen, aber es ist wichtig, dass Sie jetzt nichts Unüberlegtes tun. Warten Sie, bis wir bei Noué sind, bevor Sie irgendetwas tun.«

»Aber ich muss meine Kunden warnen, dass sie nicht darauf eingehen dürfen!«, beharrt Rem und dann wird ihr eiskalt, als ihr klar wird, weshalb ihre Kunden sie mit einer so abweisenden Haltung behandelt haben. »Das darf nicht wahr sein! Wie kann so etwas überhaupt passieren? Unsere IT-Abteilung sollte Hackerangriffe melden!«

»Es gibt sicher eine Erklärung dafür. Am besten, Sie sprechen mit Ihrem Vorgesetzten und lassen ihn entscheiden, was als Nächstes zu tun ist.«

Aber Rem hört ihm kaum zu. »Wenn herauskommt, dass wir gehackt wurden. Wie sollen uns die Kunden je wieder vertrauen?« Sie vergräbt das Gesicht in den Händen.

»Ich denke nicht, dass es ein allzu großes Problem wird, wenn Sie sich angemessen darum kümmern und alles erklären.«

Rem hebt den Kopf und sieht ihn scharf an. »Woher wollen Sie das wissen?!«

Mr. Blake wirft ihr einen Blick zu. »Weil ich mein Vertrauen in Sie nicht verloren habe.«

Rem blinzelt. Seine Worte gehen ihr durch den Kopf und erst da wird ihr bewusst, was er getan hat. Anders als der Rest ihrer Kunden hat er sie auf die Mail angesprochen und schien nicht überrascht, dass sie nicht von Rem geschrieben wurde. Der Gedanke lenkt sie für einen Moment von der falschen E-Mail ab. »Darf ich fragen, woher dieses Vertrauen kommt?«

Mr. Blake runzelt die Stirn und wirft ihr einen Blick zu. »Ich habe keine Hintergedanken, falls Sie das andeuten wollen.«

Rem macht ein verdutztes Gesicht. Erst dann wird ihr klar, dass sie versehentlich zu streng mit ihm gesprochen hat und ihm einen falschen Eindruck vermittelt haben muss. »Das dachte ich nicht, bitte entschuldigen Sie. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir erzählt haben, was vor sich geht.« Sie neigt höflich den Kopf in seine Richtung. »Ich bin nur überrascht, weil es so klingt, als hätten Sie von Anfang an nicht geglaubt, dass ich diese E-Mail geschrieben habe.«

Diesmal lacht Mr. Blake leise. »Ich bin zuversichtlich, was meine Menschenkenntnis angeht und diese E-Mail klingt kein bisschen nach Ihnen. Außerdem, wenn Sie Geld so gern hätten, dass Sie dafür das Gefängnis riskieren, hätten Sie mein Angebot nicht so entschlossen abgelehnt.«

Rem antwortet nicht. Nachdem sie Mr. Blake nur mit Strenge und Misstrauen begegnet ist, hat sie nun ein schlechtes Gewissen. Auch wenn er es so klingen lässt, als würde sein Vertrauen auf logischer Deduktion basieren.

Das Auto hält und erst da bemerkt Rem, dass sie sich im Parkhaus von Noué befinden.

Mr. Blake schaltet den Wagen aus und sieht sie an. »Also?«

Rem lächelt. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen in mich. Ohne Sie hätte ich nicht so schnell erfahren, was los ist. Und selbstverständlich werde ich mich um alles kümmern.«

Mr. Blake runzelt die Stirn. Er mustert Rem einen Moment überrascht und dann schnaubt er leise. »Ich glaube, das ist das erste echte Lächeln, das ich von Ihnen bekommen habe.«

»Machen Sie sich nicht über mich lustig«, sagt Rem, aber der Tadel in ihrer Stimme ist kaum hörbar.

»Würde ich nie«, sagt er, auch wenn der amüsierte Blick in seinen Augen ihn nicht sehr glaubwürdig macht. »Sie scheinen den Schock überwunden zu haben.«

Rem nickt. Es ist ihr ein bisschen peinlich, so emotional geworden zu sein, besonders wo es so wichtig ist, einen kühlen Kopf zu bewahren. Mit gerunzelter Stirn starrt Rem auf das Armaturenbrett, während sie nachdenkt. Dann richtet sie ihren Blick auf Mr. Blake. »Würden Sie mir einen Gefallen tun, Mr. Blake?«, fragt sie dann und ein kühles Lächeln umspielt ihre Lippen.

»Der da wäre?«

Rem nimmt sein Handy, dass immer noch in ihrem Schoß liegt und hält es hoch. »Antworten Sie auf die E-Mail und nehmen Sie an.«

Mr. Blakes Miene verdüstert sich. »Das halte ich für keine gute Idee. Wenn das Unternehmen gehackt wurde, sollten Sie es ihrem Vorgesetzten melden und es der zuständigen IT-Abteilung überlassen.«

»Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen, aber ich glaube nicht, dass Noué gehackt wurde.«

Mr. Blake hebt fragend die Brauen.

»Ich will nicht behaupten, dass ich mich gut mit Computern auskenne, aber kommt es Ihnen nicht zu umständlich vor? Jemand hackt Noué, um dann von meinem E-Mail-Account Fishing-Mails zu verschicken? Und dann auch noch solche, die lediglich eine Aufforderung zu einem Betrug beinhalten und keinen Virus.«

Während er ihr zuhört, macht der widerwillige Ausdruck auf seinem Gesicht einem nachdenklichen Platz.

Rem schließt daraus, dass er ihre Worte für plausibel hält und lehnt sich etwas zu ihm herüber. »Ich denke, jemand, der Zugang zu unserem internen Netz hat, steckt dahinter. Ich habe sogar einen Verdacht, wer.« Es ist ein zu großer Zufall, dass jemand ihr Postfach gehackt hat, nachdem sie Probleme damit hatte und der zuständige IT-Mitarbeiter so wütend auf sie war. Aber das allein reicht nicht aus, um sicher zu sein. Eigentlich ist es kaum einen Verdacht wert, aber niemand sonst sollte Zugang zu ihrem Postfach haben. »Diese Mails sind nicht in meinem Gesendet-Ordner und ich nehme an, dass bedeutet, dass jemand volle Kontrolle über mein Postfach hat. Und da ich viele Mails am Tag bekomme, muss dieser jemand sehr beschäftigt sein, damit ich nichts bemerke.«

»Sie sagen, Sie wollen die Person, die Sie im Verdacht haben, im Auge behalten, während ich auf die Mail antworte, um zu sehen, ob sie sie bekommt.«

Rem nickt mit einem Lächeln. »Natürlich werde ich mich bei Ihnen revanchieren.«

Mr. Blake runzelt die Stirn.

»Ihren Modeljob. Ich nehme ihn an.«

Seine Augen weiten sich, aber aus der Überraschung in seinem Blick wird schnell Neugier. »Es ist nur eine E-Mail.«

Rem lehnt sich mit einem Kopfschütteln in ihren Sitz zurück. »Sie wissen, welchen Schaden diese Situation anrichten kann und ohne Sie wüsste ich nicht einmal, was los ist. Für Sie zu modeln ist ein kleinerer Gefallen, als den, den Sie mir getan haben.«

»Ich verstehe, was Sie sagen wollen, aber Sie auf etwas hinzuweisen und eine Mail zu schicken ist kaum eine Mühe für mich. Also ist das nicht nötig.«

»Doch ist es«, widerspricht Rem ohne zu zögern. »Es sei denn, Sie haben kein Interesse mehr daran, mich als Model zu engagieren.«

Mr. Blake runzelt die Stirn. »Das nicht, aber Sie waren mit Ihrer Ablehnung sehr deutlich.« Er mustert sie kurz. Dann beginnt ein Lächeln seine Lippen zu umspielen. »Sagen Sie bloß, Sie tun das, weil Sie mir nichts schulden wollen.«

Rem zieht leicht gereizt die Brauen zusammen. »Ich tue es, weil es sich gehört. Sie können es lächerlich finden, aber ich glaube nicht, dass es für irgendeine Partei vorteilhaft ist, ein ungleiches Verhältnis zu haben, bei der eine Seiten einen Gefallen als für selbstverständlich nimmt.«

»Oh?«, macht Mr. Blake und er klingt amüsiert. »Wenn Sie in dieser Hinsicht kompromisslos sind, werde ich Sie von nichts abhalten. Wir können die Details besprechen, wenn -« Weiter kommt er nicht, da die Tür auf Rems Seite plötzlich geöffnet wird.

Rem, die erschrocken herumgefahren ist, sieht entgeistert in Inouyes lächelndes Gesicht. Mit einer Hand am oberen Rahmen der Tür abgestützt, beugt er sich herunter, um ins Auto zu sehen. »Mr. Blake«, sagt er, als würde er Rem überhaupt nicht sehen und trotz seines Lächelns blitzen seine goldenen Augen mit Abneigung. »Wie ich sehe, sind Sie meiner Kollegin gegenüber äußerst zuvorkommend.«

Mr. Blake mustert Inouye mit gerunzelter Stirn, bevor er zu Rem sieht.

In dem Versuch, die Situation zu schlichten, setzt Rem ein Lächeln auf, aber ihre Augen funkeln frostig, während sie Inouye ansieht. »Mr. Inouye, was für eine Überraschung. Was tun Sie hier?«

»Das sollte ich dich fragen. Du hast mich versetzt.« Inouyes Blick huscht zu ihr und er erwidert den ihren nicht weniger kühl.

Rem blinzelt überrascht. Dann sieht sie auf die Uhr. Erst da fällt ihr wieder ein, dass sie eigentlich in Eile war. »Das tut mir leid«, sagt sie, etwas weicher als zuvor, aber sie richtet ihre Augen fest auf Inouye. »Aber wären Sie so freundlich, noch einen Moment zu warten, damit ich mein Gespräch mit Mr. Blake beenden kann?«

Inouyes Miene ändert sich nicht. Einige Sekunden verstreichen, in denen er sie einfach nur anstarrt, bis Rems Mundwinkel zu zucken beginnen, unter der Anstrengung ihr Lächeln auf den Lippen zu behalten. Dann lehnt er sich noch ein Stück weiter herunter. »Warum sprichst du so förmlich mit mir? Er weiß doch von uns.«

Rem verschluckt sich beinah, als sie scharf die Luft einzieht und gleichzeitig sprechen will. Zum Glück hält sie das davon ab, etwas Unüberlegtes zu sagen. Sie räuspert sich. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagt sie dann in frostigem Tonfall, während sie Inouye drohend anfunkelt. »Ich bin nur höflich. Auf der Arbeit! Zu einem Kollegen

Aber Inouye lächelt, als würde er die unmissverständliche Andeutung in ihren Worten nicht hören, und richtet sich wieder an Mr. Blake. »Haben Sie das gehört? Sie kann es nicht leiden, wenn man während der Arbeit mit ihr flirtet. Nur für den Fall -«

»Mr. Inouye!« Rems Stimme ist lauter als gewollt, aber immerhin bringt sie Inouye dazu, still zu sein. Dann dreht sie sich schnell zu Mr. Blake um. »Bitte entschuldigen Sie und vergessen Sie alles, was Mr. Inouye gesagt hat«, sagt sie, während sie sich alle Mühe gibt, so geschäftsmäßig wie möglich zu klingen. Aber es fällt ihr schwer, Mr Blake in die Augen zu sehen und so ist sie erleichtert, dass sie einen Grund hat, in ihrer Tasche zu kramen. »Ich kontaktiere Sie später, wegen der Mail«, sagt sie, während sie einen Stift und einen kleinen Notizblock aus ihrer Tasche zieht und etwas darauf kritzelt. »Über Ihr Angebot sprechen wir besser später und hier, das ist meine private Nummer und E-Mail-Adresse, nur für den Fall der Fälle.« Sie reißt den obersten Zettel von dem Notizblock und hält ihn Mr. Blake hin.

Mr. Blake sieht auf den Zettel hinab, dann vorbei zu Inouye und schließlich zu Rem. »Ein guter Vorschlag«, sagt er und Rem ist sich nicht sicher, ob er dabei ist, ein Lächeln zu unterdrücken. Aber sie hält sich nicht damit auf, es herauszufinden. »Gut, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Mr. Blake«, sagt sie und wartet kaum auf seine Erwiderung, bevor sie aus dem Auto steigt.

Sie behält ein gelassenes Lächeln auf den Lippen, während sie im Innern vor Wut schäumt und darauf wartet, dass der schwarze Mercedes die Etage verlässt.

»Hey«, sagt Inouye, während Rem noch dem Auto hinterhersieht. »Hast du dem Kerl gerade deine Nummer gegeben, um mich wütend zu machen?«

Rem reißt den Kopf herum und sieht ihn empört an. Dann schnaubt sie. »Ich hätte fast vergessen, was für ein selbstzentrierter Mistkerl du sein kannst.«

»Wirklich? Weil für jemanden, der so viel Wert auf geschäftliche Distanz legt, bist du plötzlich sehr locker, was deine Kontaktdaten angeht.« Seine Stimme klingt abfällig und die Tatsache allein, dass er in dieser Situation wütend auf Rem ist, bringt sie in Rage. »Das reicht! Was du gerade getan hast, war respektlos und sehr unangenehm. Es ist mir egal, was du gedacht hast, was wir besprechen. Ich will nicht, dass du so etwas noch einmal tust, ist das klar?!«

Inouyes Augen weiten sich, so als wäre er überrascht, dass sie wütend ist. Aber der Ausdruck verfliegt schnell wieder. »Ich wollte dir nur helfen.«

»Und wobei?!«, fragt Rem mit einem Schnauben. »Weil das, was du getan hast, ist das Gegenteil von Hilfe!«

»Du erinnerst ihn an seine Verlobte.«

Rem, die schon den Mund zu einer Erwiderung geöffnet hat, hält inne. Sie sieht Inouye verwirrt an. »Was?«

»Erinnerst du dich an Paula Jordan? Die englische Botschafterin?«, fragt Inouye, offenbar zufrieden mit ihrer Reaktion. »Sie kennt Mr. Blake aus England und sie kennt auch seine Verlobte. Oder besser gesagt, seine Ex-Verlobte. Sie hat gesagt, du ähnelst ihr.«

Einen Moment lang starrt Rem ihn nur an und verarbeitet diese Information. Dann runzelt sie die Stirn. »Und?«

Jetzt ist es Inouye, der Rem verwirrt ansieht. »Denkst du, er kann mit einer Frau zusammenarbeiten, die ihn an seine Ex-Verlobte erinnert, ohne irgendwelche Hintergedanken zu haben. Oder was glaubst du, warum er den Chauffeur für dich spielt.«

Rem verschränkt die Arme vor der Brust. »Das hat überhaupt nichts damit zu tun.«

Inouye schnaubt. »Willst du jetzt wirklich naiv spielen?!«

»Nein!«, erwidert Rem in verärgertem Tonfall. »Ich kann nur sehr gut nachvollziehen, wie sich das anfühlt.«

Inouye verzieht das Gesicht. »Was?!«

»Das Letzte, was man nach einer Trennung will, ist eine Person zu treffen, die einen an den Ex erinnert.« Rem erinnert sich gut an Mr. Blakes Verhalten und wie sehr es ihrem eigenen nach ihrer Trennung von Kosuke geähnelt hat. Es war nicht das Verhalten von jemandem, der sich im Guten von seinem Partner getrennt hat. »Das Einzige, was das ändert, ist, dass ich jetzt verstehe, warum Mr. Blake es mir am Anfang so schwer gemacht hat.«

Inouye zögert, offenbar weil ihm nichts einfällt, um ihr zu widersprechen. »Wieso fährt er dich dann durch die Gegend? Ich weiß, dass das nicht das erste Mal ist.«

Rem beißt sich in die Innenseite ihrer Lippe. Er tut es schon wieder. Es mag stimmen, dass sie ihn versetzt hat und er ihr nur helfen wollte, weil er dachte, Mr. Blake bedrängt sie in irgendeiner Weise. Aber er benimmt sich wie ein eifersüchtiger Freund. »Und wenn schon. Wir hatten etwas Wichtiges zu besprechen und es spart Zeit.« Vielleicht ist es feige, sich dumm zu stellen, aber Rem will keinen Beziehungsstreit mit jemandem führen, mit dem sie nicht einmal in einer Beziehung ist. Sie legt ihm eine Hand auf den Arm, bevor er etwas erwidern kann. »Ich weiß, dass wir verabredet waren, aber ich muss mich um etwas kümmern.«

Inouyes Blick huscht zu ihrer Hand. Seine Augen schmälern sich, als er sie wieder auf ihr Gesicht richtet. »Etwas, das du mir nicht sagen kannst?«

»Im Moment.« Sie senkt die Stimme und sieht sich um. »Es ist am besten, wenn du zurück in den Videoraum gehst und so tust, als wäre ich auch dort.«

»Im Ernst?« Inouye runzelt zweifelnd die Stirn. »Soll ich deine Stimme imitieren, wenn jemand vor der Tür steht?«

»Sag einfach, dass ich bei dir bin, wenn dich jemand fragt«, erwidert sie mit einem entnervten Blick auf ihn. »Wenn du das tust, erzähle ich dir alles später.«

Inouye mustert sie abschätzend. »Na gut.«

Rem nickt und geht an ihm vorbei auf das Treppenhaus zu.

»Was bekomme ich dafür?« Inouye folgt ihr und sie kann das Grinsen auf seinen Lippen förmlich hören.

»Ich vergebe dir, was du gerade getan hast«, erwidert Rem ohne zu zögern. Er ist so vorhersehbar.

»Du meinst, meine galante Hilfe, dich vor einer missverständlichen und unangenehmen Situation mit einem Kunden zu bewahren?«

Sie wirft ihm einen missbilligenden Blick zu. »Die Situation war völlig in Ordnung, bevor du sie missverständlich und unangenehm gemacht hast.«

»Wusstest du, dass einem keine Konsequenzen drohen, wenn man jemanden verletzt oder sogar tötet, wenn man Erste Hilfe leistet und dabei versehentlich einen Fehler macht?«

»Dann weiß ich, wen ich nicht in meiner Nähe haben will, wenn mir etwas passiert.«

Inouye lacht.


 

Rem geht mit Inouye ins Büro zurück und sorgt dafür, dass sie gesehen wird, bevor sie in einem Videoraum verschwinden. Aber dort angekommen, schreibt sie Mr. Blake eine Nachricht. Da er noch im Auto sitzen müsste, schreibt sie ihm zunächst eine Entschuldigung für die unangenehme Situation im Parkhaus. Zu ihrer Überraschung antwortet er fast sofort und fragt nach der Mail, die er für sie schreiben soll. Sie antwortet, dass er in einer kurzen Antwort nachhaken soll, was genau passieren würde, wenn er das Angebot annimmt und sie umgehend abschicken soll. Außerdem bittet sie ihn, die ursprüngliche Mail an ihr privates Postfach zu schicken. Dann macht sie sich auf den Weg in die IT-Abteilung.

Sie weiß nicht, ob es ihr gelingt, das Büro ungesehen zu verlassen, aber es ist sowieso nur eine Vorsichtsmaßnahme, die unter den Umständen keine allzu große Rolle spielen sollte. Der IT-Mitarbeiter, sein Name ist Furusawa, sollte jetzt zu sehr mit Mr. Blakes Mail beschäftigt sein, um zu überprüfen, ob Rem ihren Terminplan einhält, den er sich sicherlich besorgt hat.

Als sie eine Etage höher, in der IT-Abteilung ankommt, tritt sie an den Schreibtisch, der der Tür am nächsten ist, und beugt sich hinunter, sodass man sie nicht sofort entdeckt. »Verzeihung«, sagt sie mit gesenkter Stimme, was den Mitarbeiter, der in seinen Bildschirm vertieft ist, zusammenzucken lässt.

»J-Ja?«, stammelt der Mann etwas unbehaglich.

Rem lächelt. »Könnten Sie mir sagen, wo Mr. Furusawa sitzt? Ich habe nur mit ihm telefoniert und kenne sein Gesicht nicht.« Natürlich hätte sie vorher herausfinden können, wie Mr. Furusawa aussieht oder die Namensschilder lesen, die auf den Tischen stehen. Aber sie will nicht riskieren, dass Furusawa merkt, dass sie nach ihm sucht.

Der Mitarbeiter reckt sich auf seinem Stuhl, achtet aber darauf, nicht aufzustehen, während er auf die Fenster deutet. »Der letzte Platz, vorm Fenster.«

Rem hebt den Kopf, um über die Schreibtische hinwegzusehen. Da die Schreibtische in Abteile geteilt sind, kann sie Mr. Furusawa nicht sehen, aber sie richtet ihren Blick auf das letzte Abteil. »Vielen Dank.« Jetzt, da sie weiß, welchen Platz sie im Auge behalten muss, richtet sie sich auf und geht auf den Platz zu. Dabei gibt sie sich Mühe, leise zu sein, was bei dem ständigen Tippen und Gemurmel, das das gesamte Büro erfüllt, nicht sonderlich schwer ist. Außerdem ist Mr. Furusawa im Moment abgelenkt.

Er bemerkt sie nicht, als sie sich ihm nähert und als Rem hinter ihm stehen bleibt, wirft sein Nachbar ihr einen neugierigen Blick zu. Sie legt sich einen Finger an die Lippen und lächelt den Mann freundlich an, woraufhin dieser sich wieder seiner Arbeit zu wendet, ohne seinen Kollegen auf Rem aufmerksam zu machen.

Rem richtet ihren Blick auf den Bildschirm von Furusawa und tatsächlich ist er völlig darin vertieft eine E-Mail zu schreiben. Sie sieht Mr. Blakes Namen und ihren eigenen und sie weiß gar nicht, ob sie überrascht sein soll oder nicht. In diesem Moment ist sie viel mehr empört darüber, dass er so dreist ist, das vor aller Augen im Büro zu tun. Sie weiß, dass er Mr. Blakes Mail schnell beantworten und dann löschen muss, damit sie nichts davon merkt, aber es ist trotzdem dreist.

Sie zieht ihr Handy aus der Tasche und wartet, bis er zu Ende geschrieben hat und die Mail zur Kontrolle liest. Dann macht sie ein Foto.

Das Geräusch ihrer Kamera lässt ihn herumfahren und Rem macht noch ein Foto, damit sein Gesicht auf dem Bild ist.

Furusawa springt auf die Füße. »Was soll das?!«, ruft er so laut, dass sich seine Kollegen ihnen zuwenden.

Rem senkt ihr Handy und erwidert seinen wütenden Blick unerschrocken. »Soll ich das wirklich beantworten?«

Furusawa wirft einen Blick auf seinen Bildschirm und versucht verspätet, sich davorzustellen. Dabei sieht er sich nervös um, als wäre ihm die Aufmerksamkeit, die er auf sie gezogen hat, plötzlich unangenehm.

»Kommen Sie mit«, sagt Rem und dreht sich um. Sie wartet nicht auf seine Antwort und das ist auch nicht nötig, denn er folgt ihr ohne Widerworte. Während sie auf die Tür zum Büro zugeht, setzt das Tippen und Murmeln langsam wieder ein, als wäre nichts gewesen. Im Flur hört sie dann nur noch die schweren Schritte von Furusawa, die ihr folgen. Schritte, die sich langsam nähern und leichter werden.

Rem wirft einen Blick zu ihrer linken Hand, in der sie ihr Handy hält. Dann hört sie, wie Furusawa, der nun direkt hinter ihr läuft, den Atem anhält. »Das würde ich lassen«, sagt sie und hebt ihre linke Hand vor die Brust, während sie über die Schulter sieht.

Furusawa erstarrt in der Bewegung, eine Hand halb nach Rems linker Seite ausgestreckt.

»Sie machen es nur schlimmer.«

Sie bringt Furusawa zu Hansawas Büro, wo sie an die Tür klopft.

»Herein«, ertönt Hansawas erschöpfte Stimme von drinnen.

Rem öffnet die Tür und Hansawa hebt widerwillig den Blick von seinem Schreibtisch. »Ms. Aozora, wenn es nichts Wichtiges ist…« Er bricht ab, als er sieht, dass sie nicht allein ist.

»Es ist wichtig. Sehr sogar«, sagt Rem und geht ohne Umschweife um seinen Schreibtisch herum, sodass sie sich neben ihn stellen kann.

Hansawa sieht verwirrt zu ihr auf und sie hält ihm ihr Handy hin. »Mr. Blake hat mich darüber informiert, dass er diese E-Mail von meinem E-Mail-Account bekommen hat. Und leider gilt das wohl für alle meine Kunden.«

Hansawa nimmt ihr das Handy aus der Hand, um die Mail zu lesen. Dann springt er auf die Füße. »Was zur Hölle ist das?!«, faucht er und Rem runzelt die Stirn. Gemessen an seiner gereizten Reaktion muss er immer noch ziemlich im Stress sein.

»Das habe ich mich auch gefragt. Aber sehen Sie sich das an.« Sie nimmt ihm ihr Handy wieder ab und öffnet die Galerie, um ihm die Bilder von Furusawa und seinem Computerbildschirm zu zeigen.

Hansawas Miene verdüstert sich. Dann richtet er seinen Blick auf Furusawa. »Erklären Sie das!«

Furusawa steht mit geballten Fäusten und gesenktem Blick da. Er sagt nichts.

Rem beobachtet ihn eingehend. Es stimmt, dass es schwer wird, sich aus der Sache herauszureden, aber er versucht es nicht einmal.

»Ihnen ist doch klar, dass Sie eine Anklage wegen Betrugs riskieren, von Ihrem Job ganz zu schweigen.«

Furusawa schweigt.

Rem sieht auf ihr Handy hinab, das Hansawa ihr zurückgegeben hat, und öffnet die Mail mit dem dubiosen Angebot an ihre Kunden.

Hansawa stößt ein Zischen aus. »Als ob ich nicht schon genug Arbeit hätte! Haben Sie eine Ahnung, was das für Noué bedeutet?! Wie sollen unsere Kunden uns nach so etwas weiter vertrauen?! Ist Ihnen das überhaupt klar?!«

Aber auch darauf schweigt Furusawa.

»Wenn Sie weiter still bleiben, sehe ich das als ein Geständnis und setze mich mit Ihrem Vorgesetzten in Verbindung. Und Sie können mit einer Anzeige rechnen.«

»Ich hätte eine Lösung«, sagt Rem in diesem Moment und die Blicke beider Männer richten sich auf sie. Rem hebt ihr Handy mit der Mail. »Wieso verkaufen wir das nicht als einen missverständlichen Versuch für eine besondere Werbeaktion?«

Hansawa blinzelt verwirrt, während Furusawa die Stirn in Falten legt.

»Die Mail ist sehr unkonkret formuliert, sodass viel Interpretationsspielraum bleibt.« Die Idee ist Rem gekommen, als sie Mr. Blake aufgetragen hat, eine genauso unkonkrete Antwort zu schreiben. Natürlich erwähnt die ursprüngliche Mail keinen Betrug oder etwas ähnlich Eindeutiges. »Wir müssen uns nur daran halten, dass kein konkretes Produkt beworben wird, dass Noué die Kosten trägt und es gewinnbringend für den Kunden ist.«

Hansawa kratzt sich nachdenklich am Kopf. »Sie sagen das so einfach, aber wenn die Kunden uns das glauben würden, müssen wir etwas produzieren, dass dem Anlass entsprechend angebracht ist und das würde uns einen enormen Verlust einbringen.«

»Geld ist leichter wiederzubekommen als Vertrauen.« Rem richtet ihren Blick auf Furusawa. »Und ich bin mir sicher, dass Mr. Furusawa alles dafür tun würde, um seinen Fehler wiedergutzumachen.«

Furusawa schnaubt und Verärgerung zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, als er Rem ansieht. »Vergessen Sie es. Schmeißen Sie mich raus, zeigen Sie mich an, ist mir egal. Ich helfe Ihnen nicht.« Damit dreht er sich um und verlässt das Büro.

Rem starrt entgeistert die geschlossene Tür an. Es kann nicht sein, dass er nicht weiß, wie schlecht es für ihn aussieht. Er wird wegen der Sache wahrscheinlich nicht ins Gefängnis kommen, aber niemand wird einen Mann einstellen, der einmal dafür verurteilt wurde, seinen eigenen Arbeitgeber sabotiert zu haben. Wie kann es sein, dass ihn das überhaupt nicht stört?

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