Tod der Heiligen

VIII.

Ich stelle fest, dass Hilena, eine Heilerin, die Estella als ‚begabt‘ bezeichnet hat, erschreckend wenig über Heilungen weiß, die über simple Magie hinausgehen. Aber ich langweile mich nicht. Tatsächlich finde ich es interessant, was Hilena in einiger Hinsicht an Wissen fehlt, beziehungsweise was offenbar als ein Standard unter Heilern gilt.

Trotzdem bin ich erleichtert, als die beiden Frauen müde werden und sich zusammen mit Annabella dicht ans Lagerfeuer legen, um zu schlafen.

»Sollten wir nicht eine Wache einteilen?«, fragt Jake, der beobachtet, wie Eden sich ebenfalls nahe dem Lagerfeuer hinlegt und leise darüber schimpft wie unbequem es ist.

»Das ist nicht nötig«, sage ich sofort. »Solange mein Schild aktiv ist, könnt ihr beruhigt schlafen.«

Jake richtet seinen Blick überrascht auf mich. »Wollt Ihr nicht auch schlafen, Eure Heiligkeit?«

»Ich komme einige Tage ohne Schlaf aus und ich denke, wir alle können uns besser ausruhen, wenn die Monster uns gar nicht erst entdecken.« Ich könnte sowieso nicht schlafen und dabei geht es nicht um die Monster.

»Seid Ihr sicher?«, fragt Mikail und mustert mich mit kritischem Blick. Er scheint an meinen schwächlichen Zustand zu denken.

»Mein Schild hält die Monster nicht nur fern, es verbirgt auch eure Präsenzen. Es befinden sich einige Monster in der Gegend, denen ihr nicht gewachsen seid und wie ich bereits sagte, bin ich keine Kriegerin. Ich würde es bevorzugen, keine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.«

Daraufhin sagt niemand mehr etwas.

Es dauert noch über eine Stunde, bis sich endlich alle hingelegt haben und ruhig sind. Ich helfe ein bisschen mit meiner Magie nach, damit sie einschlafen, während ich so tue, als ob ich bete. Dann erhebe ich mich von meinem Platz am Lagerfeuer und verlasse die kleine Lichtung.

Es ist eine sternenklare Nacht und ich schlage meinen Schleier zurück, um die sanfte Brise auf meinem Gesicht zu spüren. Die Bäume halten das Licht etwas zurück, aber es ist hell genug, sodass ich keine Buffs brauche, um im Dunkeln zu sehen.

Ich will mir ein bequemes Plätzchen suchen, etwas essen und dann auf Monsterjagd gehen. Als Lorelai zu kämpfen ist anstrengend und umständlich, und es wäre mir lieber, tagsüber keinen Monstern über den Weg zu laufen. Leider war ich wohl nicht leise genug und so beschließe ich, in Richtung Fluss zu gehen.

Ich weiß nicht, ob er sich absichtlich Zeit lässt, aber Mikail holt mich erst ein, als ich bereits am Ufer stehe.

»Solltet Ihr nicht schlafen?« Ich drehe mich um und sehe zu Mikail, der einige Schritte hinter mir steht. Er hat sein Jackett ausgezogen und das schneeweiße Hemd, das er unter seiner Weste trägt, leuchtet im Mondlicht.

»Es fühlt sich unfair an zu schlafen, wenn Ihr wach bleiben müsst, um uns zu beschützen.«

Ich runzel die Stirn. »Macht es einen Unterschied, wenn wir morgen beide müde sind?«

Er lächelt schwach und schüttelt den Kopf. »Ich wollte außerdem mit Euch reden.« Er kommt auf mich zu, um sich neben mich ans Ufer zustellen. »Ich habe mich noch nicht bei Euch bedankt.«

»Wofür?«

»Ihr habt nicht nur meine Schwester geheilt, sondern auch mich. Außerdem habt Ihr die Bergtrolle besiegt und Ihr beschützt uns vor den Monstern. Ohne Euch wären wir lange tot.«

»Für all das wollt Ihr mir danken?«

Er nickt. »Es erscheint mir angebracht.«

Ich mustere ihn. Er gehört wohl zu der Sorte von Adligen, die auf derartige Floskeln Wert legen. »Dann sollte ich mich wohl auch bei Euch bedanken. Dafür, dass Ihr Euch dem Attentäter in den Weg gestellt habt.«

Mikail zögert. »Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr meine Hilfe so nötig hattet wie ich Eure.«

»Das hatte ich nicht.«

Obwohl ich ihm nur zugestimmt habe, macht er ein verdutztes Gesicht. »Verzeihung.« Er senkt den Blick und scheint tatsächlich niedergeschlagen.

»Versteht mich nicht falsch, ich bin geschmeichelt, dass Ihr mir helfen wolltet.« Das ist gelogen. Ich bin immer noch sauer, weil er meine Pläne ruiniert hat. »Aber Ihr hattet Glück, dass es so ein schwacher Angriff war. Ihr solltet nicht versuchen, jemanden zu retten, der stärker ist als Ihr.«

Mikail sieht immer noch zu Boden und seine Miene ist steinern, als höre er diese Worte nicht gern. »Ich verstehe, was Ihr sagen wollt, aber das kann ich nicht tun.«

»Wieso nicht?«, frage ich, bemüht darum, nicht genervt zu klingen.

»Ich weiß, dass ich mich mit Eurer Macht nicht messen kann.« Er hebt den Kopf und sieht mir in die Augen, die Brauen entschlossen zusammengezogen. »Aber in diesem Moment wirkte es auf mich, als wärt Ihr überrascht und ich dachte, Ihr schafft es vielleicht nicht, rechtzeitig zu reagieren.«

Ah, ich habe zu gut das ängstliche Häschen gespielt, denke ich verdrossen, als ich verstehe, was mir zum Verhängnis geworden ist. »Selbst dann wäre meine Chance zu überleben besser als Eure.«

Aber Mikail schüttelt den Kopf. »Das sehe ich anders, Eure Heiligkeit. Wenn ich verletzt werde, seid Ihr in der Lage mich zu heilen, aber wenn Ihr verletzt werdet, kann ich Euch nicht helfen.«

Das muss er auch nicht, da ich mir selbst helfen kann. Ich unterdrücke ein Seufzen. »Ihr habt großes Vertrauen in meine Fähigkeiten.« Und darin, dass ich sie für ihn benutzen würde.

»Natürlich.«

Ich spüre, wie ich die Stirn in Falten lege. Sein Vertrauen ist völlig unangebracht, vor allem wenn man bedenkt, dass ich noch vor kurzem in Erwägung gezogen habe, ihn und die anderen zu opfern, um meinen Tod vorzutäuschen. Und ich würde ihn immer noch sterben lassen, wenn es für mich und meine Pläne von Nutzen wäre. »Und was ist, wenn ich Euch nicht helfen kann? Ein Attentäter, der es darauf anlegt, mich zu töten, wird nach Wegen suchen, eine Verletzung herbeizuführen, die ich nicht heilen kann.«

Mikail verschränkt die Hände hinter dem Rücken. »In diesem Fall würde ich wohl sterben.« Er sagt es leichthin und ich sehe ihn verdutzt an. »Seid Ihr nicht ein bisschen jung, um so leichtfertig vom Tod zu sprechen?«

»Das stimmt.« Er mustert mich mit leicht zusammengezogenen Brauen. »Aber solltet gerade Ihr das zu mir sagen?«

»Was ist seltsam daran?«

»Ihr seid jünger als ich.«

Ich blinzle. Ich habe keine Ahnung wie alt er ist, aber da er offenbar weiß, wie alt ich bin, wird es wohl so sein. Ich räuspere mich. »Was ich sagen wollte, ist, dass Ihr viel zu verlieren habt. Ihr seid der Erbe eines großen Hauses und Ihr seid außerdem mit der Prinzessin verlobt.«

»Ihr habt recht.« Ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen und sein Blick huscht zur Seite über den Fluss, als würden seine Gedanken für einen Moment abschweifen. »Aber ich würde auch etwas verlieren, wenn ich das Risiko nicht eingehe.«

»Was wäre das?«

Sein Blick kehrt zu mir zurück. »Der Mensch, der ich sein will.«

Er will ein Idiot sein, der sich übermütig in den Tod stürzt? »Ich verstehe nicht.«

»Ich bin ein Ritter, Eure Heiligkeit«, sagt er und klingt stolz dabei, obwohl Adlige Ritter werden, sobald sie ein bisschen mit Aura umgehen können. »Und ich möchte die Art Ritter sein, die keine Angst hat, sich in Gefahr zu bringen, um jemandem zu helfen.«

Ich starre ihn an. Was für ein kindischer Traum soll das sein? »Mir war nicht bewusst, wie naiv Ihr seid.« Die Worte rutschen mir heraus, bevor ich es verhindern kann.

Aber Mikail lacht. »Ich verstehe, warum Ihr es so seht, aber ich habe nicht vor, jemand zu sein, der ständig gerettet werden muss.«

Das sind mutige Worte von jemandem, der so schwach ist.

Mikail tritt einen Schritt zurück und vollführt eine galante Verbeugung. »Ich verspreche Euch, dass ich sehr bald stark genug sein werde, um Euch eine Hilfe zu sein.«

Ich presse die Lippen aufeinander und wünschte, ich könnte ihm sagen, dass er sich die Mühe nicht machen muss. Egal, welche naiven Träume er behauptet zu haben und wie galant er sich gibt, er ist ein Moraen. Selbst wenn er der mächtigste Aura-Träger der Welt wäre, würde ich seine Hilfe nicht wollen.



 

Ich glaube nicht an Gott, aber es gibt Momente, in denen es so wirkt, als gäbe es doch einen, und zwar einen mit einem schrecklichen Sinn für Humor.

Nachdem Mikail sich schlafen gelegt hat, ist der Rest der Nacht sehr ergiebig für mich gewesen. Zum einen konnte ich in aller Ruhe essen und zum anderen konnte ich meine Debuffs lösen. Außerdem kann ich endlich den dämlichen Mantel der Heiligen und das Kleid ausziehen. In meiner Rüstung fühle ich mich deutlich wohler und ich setze sogar die dunkelblaue Maske mit dem Mond und der Sonne auf, die ich als Lawrence stets trage, um mein Gesicht zu verbergen. Ich spüre zwar keine menschliche Präsenz bis auf meine schlafenden Begleiter in der Nähe, aber sicher ist sicher.

Am nächsten Morgen fühle ich mich nach der produktiven Nacht entsprechend erfrischt und ich bin guter Dinge, dass ich heute besser durch den Tag komme als gestern. Aber mein Optimismus verschwindet restlos, kaum, dass wir unseren Rastplatz verlassen haben.

Wir sind langsam losgelaufen und obwohl ich darauf bedacht war, meine Kräfte zu schonen und sogar meine Debuffs etwas weniger stark gemacht habe, braucht es keine halbe Stunde, bis ich meine Grenzen erreicht habe. Gestern war unser Ziel nur der Fluss, aber heute versuchen wir, so weit wie möglich auf das nächste Dorf zuzugehen. Und wir werden Wochen brauchen, wenn wir alle halbe Stunde eine Pause einlegen.

Schon bei der zweiten Pause merke ich, wie die anderen zu dem Schluss kommen, dass es so nicht weitergehen kann und Mikail kommt zu dem Baum, gegen den ich mich lehne und geht vor mir auf die Knie. »Eure Heiligkeit, erinnert Ihr Euch, was ich gestern zu Euch gesagt habe?«, fragt er mit sanfter Stimme und einem Lächeln, so als wäre er kein bisschen genervt von mir. Was ich ihm nicht abkaufe. Sogar ich bin genervt von mir.

»Was im Speziellen meint Ihr?«, frage ich und versuche nicht, gereizt zu klingen. Was nicht allzu schwierig sein sollte, da ich zu sehr keuche, um irgendeine Emotion in meine Stimme zu bringen.

»Darüber, dass ich Euch gerne eine Hilfe sein würde.«

Ah, ja. Der Teil, der mich am meisten genervt hat. »Was ist damit?«

»Nun, ich kann Euch nicht helfen, was die Monster angeht, aber das Laufen ist eine andere Sache.«

»Was meint Ihr?« Ich verstehe nicht, weshalb er sich solche Mühe gibt, um den heißen Brei herumzureden.

Er räuspert sich. »Wenn Ihr es mir erlaubt, kann ich Euch tragen.«

Mein Keuchen verstummt, als ich in meiner Entgeisterung vergesse zu atmen. Wie gesagt. Gott hat einen schlechten Sinn für Humor.

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