Kitsune

VII.

Die seltsamen Launen der Männer

Rem sitzt mit grimmiger Miene auf der Couch und versucht sich auf einen Dokumentarfilm mit dem Titel London Work & Life zu konzentrieren. Neben ihr liegt ihr Handy, auf dem sich nun mehrere ungelesene Nachrichten befinden. Eben ist eine weitere gekommen, weshalb Rem sich größte Mühe gibt, ihrem Handy keine Beachtung zu schenken.

Sie weiß, wer der Sender ist und auch im groben, was die Nachrichten beinhalten. Es ist jetzt eine Woche her, seit Kosuke um ein Treffen gebeten hat und seitdem gibt er sich redlich Mühe. Das Problem ist, dass seine SMS klingen, wie die des Kosuke, den sie gekannt und geliebt hat. Bedächtig und rücksichtsvoll. Er schreibt, dass es ihm nur darum geht zu reden und dass sie ihm sicherlich auch einiges zu sagen hat. Und er hat recht. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, was sie ihm alles vorwerfen könnte, damit er sich genauso miserabel fühlt, wie sie sich gefühlt hat? Und sie hat noch immer das Bedürfnis, ihn wissen zu lassen, wie schlecht es ihr seinetwegen gegangen ist. Aber sie weiß, dass das in der Realität nicht so einfach ist. Dass sie sich von ihm erweichen lassen und es nicht über sich bringen würde zu sagen, was sie sagen will.

Gleichzeitig will sie ihn nicht wissen lassen, dass sie immer noch nicht über ihre Trennung hinweg ist und ihn nicht sehen will. Also versteckt sie sich hinter dem Vorwand, dass sie keinerlei Veranlassung hat, ihm zu antworten. Und das, obwohl sie weiß, wie durchsichtig dieser Vorwand ist.

Aber als wäre das nicht schon genug, muss das Fernsehen, mit dem sie sich ablenken wollte, gerade jetzt eine Doku über London zeigen. Mr. Blake kommt aus London. Und wenn es eine Sache gibt, die schlimmer ist, als ein Mann, der nicht versteht, dass sein Verhalten unangenehm ist, dann ist es ein zweiter Mann mit demselben Problem.

Es steht die Produktion für eine große Werbekampagne an und in der vergangenen Woche hat er Rem behandelt, als wäre er ihr einziger Kunde, in den sie all ihre Zeit investieren müsse. Es hat ihr vor Augen geführt, dass Mr. Blake, den sie bisher für streng und erfolgsorientiert gehalten hat, in Wahrheit den Charakter einer alten, gehässigen Dame besitzt, die mit nichts zufriedenzustellen ist. Es geht so weit, dass es den Anschein hat, als wolle er, dass Rem einen Fehler macht, damit er sich darüber aufregen kann und das macht es umso anstrengender, mit ihm zu arbeiten.

Und so muss sie sich auch von ihrer Ablenkung ablenken und richtet ihren Blick schließlich auf Inouye. Er sitzt an seinem Schreibtisch und arbeitet am Computer. Er hat sie gebeten zu bleiben, nur um ihr dann zu sagen, dass sie tun könne, was sie wolle, da er etwas zu erledigen hätte. Das ist mehr als eine Stunde her. 

Es ist wahr, dass es schlechtere Orte als das Penthouse in einem luxuriösen Apartmentgebäude gibt, an denen man seine Zeit verbringen kann, Rems winzige Wohnung zum Beispiel. Aber aufgrund der Art ihrer Beziehung, fühlt Rem sich unwohl dabei, seine Wohnung auf diese Weise für sich zu beanspruchen. Zumal sie ohnehin schon zu viel von ihm profitiert.

Sie treffen sich immer bei ihm, weil sie beide rund um die Uhr für ihre Arbeit erreichbar sein wollen, und das ist von seiner Wohnung aus leichter zu bewerkstelligen als von einem Hotel aus. Das bedeutet aber auch, dass das ganze Essen, das sie essen, und alles andere von ihm bezahlt wird. Rem hat angeboten, ihn zu entschädigen, aber er hat nur eine süffisante Bemerkung gemacht und ihr Angebot abgelehnt.

Kurzentschlossen schaltet Rem den Fernseher aus, steht auf, ohne ihr Handy mitzunehmen, und geht auf Inouye zu.

Er bemerkt sie nicht einmal, als hätte er vergessen, dass sie noch hier ist. Erst als sie ihre Hände auf seine Schultern legt und ihn gegen die Lehne seines Schreibtischstuhls drückt, sieht er auf.

»Hey«, sagt Rem, während sie sich auf seinem Schoß niederlässt. »Hast du mich nur gebeten, hierzubleiben, damit ich zusehe, wie du auf deinen Bildschirm starrst?«

Inouye blinzelt und sieht sie einen Moment so verdutzt an, als hätte er sie tatsächlich vergessen. Dann verziehen sich seine Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Was, bist du so ungeduldig?«

»Ich langweile mich«, antwortet sie. »Und wenn du zu tun hast, werde ich nach Hause gehen.«

»Hm, hast du Pläne für das Wochenende?«, fragt er, als wäre es überraschend, dass sie ihre freie Zeit nicht nur mit ihm verbringt, und legt die Arme um sie.

»Ich fahre morgen zu meinen Eltern und ich habe noch nicht gepackt.«

Er runzelt die Stirn. »Zu deinen Eltern?«

»Am Montag ist Neujahr, schon vergessen?«

Er blinzelt, als hätte er das tatsächlich vergessen.

Rem mustert ihn, während sie versucht, sich vorzustellen, wie er Neujahr bei seinen Eltern verbringt. Es gelingt ihr nicht und ihr fällt auf, dass sie rein gar nichts über seine Familie weiß, abgesehen davon, dass sein Großvater der Vorstandsvorsitzende von Inouye Incorporation ist.

»Ist das, was du tust, wichtig?«, fragt sie, als ihr in den Sinn kommt, dass seine Familie das neue Jahr bestimmt nicht mit einem Schreinbesuch feiert. Vielleicht ist er mit den Vorbereitungen für eine glamouröse Party beschäftigt.

Inouyes Blick huscht kurz zur Seite und sein Grinsen gerät etwas steif. »Nein«, sagt er in einem unbekümmerten Tonfall, der Rem möglicherweise überzeugt hätte, wenn seine Miene ihn nicht verraten hätte. »Es ist noch Monate hin«, fügt er leise hinzu, während er sich vorbeugt. Er beginnt, ihren Hals zu küssen.

Vielleicht hat es mit dem Anruf am Morgen zu tun, denkt Rem, aber sie beschließt sich nicht einzumischen. Sie vergräbt ihre Hand in seinem Haar und schließt die Augen. Er ist eine viel bessere Ablenkung, als jeder Fernseher. Wenn auch noch keine Ablenkung je ein Problem gelöst hat.

Rem öffnet die Augen. Eigentlich ist das nicht wahr. »Was weißt du über Mr. Blakes Privatleben?«

Inouye hält inne. »Hm?«

Rem lehnt sich zurück, um ihn ansehen zu können.

Er erwidert ihren Blick mit gerunzelter Stirn. »Du fragst mich nach einem anderen Mann? Gerade jetzt? Wirklich?«

Rem wirft ihm einen trockenen Blick zu und er gluckst. »Na gut, na gut. Aber wieso willst du etwas über sein Privatleben wissen?«

»Er scheint ständig schlechte Laune zu haben. Hast du eine Ahnung, warum?«

»Er ist ein mürrischer Mann. Das ist sein Charakter.«

»Und er ist ehrgeizig. Würde ihn das nicht zu einem schroffen Mann machen, der nur das Nötigste sagt und tut, und zwar auf die effizienteste Weise?«

Er runzelt die Stirn. »Richtig, und genau das tut er auch, oder?«

»Nicht wirklich. Er testet mich immer wieder. Es ist nervig und ich habe das Gefühl, dass er will, dass ich einen Fehler mache.«

»Was? Aber das hat er bei mir nur beim ersten Treffen gemacht. Hast du ihn vielleicht wütend gemacht?«

Rem legt die Stirn in Falten. »Denkst du, ich würde es riskieren, einen Kunden wie ihn zu verärgern?«

»Nein, aber....« Er hält inne und scheint über etwas nachzudenken. Nach einer kurzen Weile sagt er. »Es könnte daran liegen, dass du eine Frau bist.«

Sie blinzelt. Es kommt oft genug vor, dass Kunden sie wegen ihres Geschlechts anders behandeln, aber normalerweise nicht sehr lange, und Mr. Blake wirkt nicht wie ein Mann dieser Art.

»Anscheinend ist seine Versetzung nach Japan mit einer schrecklichen Trennung von seiner Verlobten zusammengefallen. Ich kenne die Details nicht, aber mein Freund sagt, dass er früher ein ganz netter Kerl war.«

Rem denkt einen Moment lang über seine Worte nach. Wenn sie an das Verhalten und die Stimmung von Mr. Blake denkt, an die Art und Weise, wie er sich in seine Arbeit stürzt und wie er sich im Allgemeinen präsentiert, dann passt das alles. Für gewöhnlich telefonieren sie nur miteinander oder halten Kontakt über E-Mail, aber sie hat ihn schon zweimal getroffen. Er ist ein großer Mann Anfang dreißig, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar und einem streng wirkenden Gesicht, das ihn älter erscheinen lässt. Ein blasses Gesicht mit dunklen Ringen unter den Augen und ein Kettenraucher. Ja, sie kann diese Stimmung besser nachempfinden, als ihr lieb ist.

Aber das rechtfertigt sein Verhalten ihr gegenüber nicht. Was auch immer er für einen Grund hat, sie so zu behandeln, es ist furchtbar unprofessionell.

Inouyes Arme schlingen sich fester um sie. »Das ist eine wertvolle Information, oder? Wie wäre es dann mit einer Belohnung?«

Rem konzentriert sich auf ihn. Sie kann nicht leugnen, dass er ihr etwas Hilfreiches erzählt hat. Sogar so hilfreich, dass sie bedauert, ihn nicht früher danach gefragt zu haben.

Sie lächelt und legt ihre Arme ihrerseits um seinen Hals.


 

»Was haben Sie gesagt?« Rem starrt Ms. Nishioka entgeistert an. Die Maskenbildnerin sollte eigentlich gerade das Model für das Fotoshooting vorbereiten. Es geht um die Werbeplakate, die Syrene für ein neues Parfum haben möchte, zusätzlich zu einem Werbespot, der auch noch gedreht werden muss, weshalb der Zeitplan für das Shooting sehr knapp ist.

Ms. Nishioka knetet unruhig ihre Hände vor der Brust. »Es muss ein Missverständnis gegeben haben. Das Model hat so kurzfristig abgesagt und jemand hat das Ersatzmodel abbestellt, ohne davon zu wissen.«

Ohne davon zu wissen, wiederholt Rem in ihrem Kopf. Welchen Sinn hat es ein Ersatzmodel zu engagieren, wenn man es wegschickt, bevor das eigentliche Model überhaupt angekommen ist?! Besonders wenn man einen engen Zeitplan hat, bei dem man sich solche Fehler nicht erlauben kann!

Nein, das ist kein Fehler, der aus Versehen passiert ist. Und da nicht jeder eine so wichtige Entscheidung treffen kann, ist es leicht herauszufinden, wer dahinter steckt. Und damit wäre es offiziell, dass Mr. Blake sie nicht nur testen will, um zu sehen, wie sie die Situation bewältigt.

Rem unterdrückt einen Fluch und schiebt sämtliche Wut gegen Mr. Blake beiseite. Sie würde ihm sicher nicht die Befriedigung geben, sie scheitern zu sehen. Sie bittet Ms. Nishioka zu warten, bevor sie ein paar Anrufe tätigt, dann geht sie ins Studio, wo die Crew gerade das Set aufbaut. Dort wendet sie sich an den Fotografen, Mr. Okawa.

»Sie brauchen ein Model für ein paar Probefotos, bevor sie mit dem eigentlichen Shooting anfangen, nicht wahr?«

Er sieht etwas überrascht aus, nickt dann aber. »Ja, für die Belichtung und so.«

»Gut. Das Model braucht noch eine Weile, also müssen wir improvisieren. Können sie jemanden von der Crew für die Belichtung nehmen?«

»Verzeihung? Jemand von der Crew?« Er macht ein verwirrtes Gesicht, ehe er sich umsieht. »Theoretisch schon, aber es kann sich nicht einfach irgendwer dort hinstellen. Es muss eine Frau sein, die für ein Fotoshooting bereit ist, wenn Sie verstehen.«

Rem nickt. »Sie brauchen eine Frau, die die richtige Kleidung trägt und in der Maske war.«

»Richtig«, stimmt Mr. Okawa zu, aber er sieht sie mit einem erwartungsvollen Blick an.

»Dann sorgen Sie dafür, dass alles bereit ist, wenn ich aus der Maske komme«, erwidert sie und wendet sich ab, um zu Ms. Nishioka zurückzukehren.

»Verzeihung? Sie?«, hört sie Mr. Okawa fragen, aber sie bleibt nicht stehen. Natürlich würde sie es machen. Es ist gut möglich, dass irgendwo am Set eine gelangweilte Praktikantin herumsteht, aber unter den Umständen will Rem die Dinge lieber selbst in die Hand nehmen. Zumal sie schon jetzt unter Zeitdruck stehen und es am effizientesten ist, wenn sie direkt in die Maske geht.

Nachdem Rem sich umgezogen hat, lässt sie sich von Ms. Nishioka schminken und die Haare machen. Währenddessen verschickt sie Anweisungen per SMS an Mori, die sie gebeten hat einige Models zu kontaktieren, bis sie die Zusage hat, dass zwei Models auf dem Weg ins Studio sind.

»Ms. Aozora, Sie müssten bitte einen Moment stillhalten und die Augen schließen«, sagt Ms. Nishioka, wobei sie selbstbewusster klingt, als Rem sie je erlebt hat.

Und so legt Rem brav ihr Handy aus der Hand und schließt die Augen.

Es dauert etwas länger als einen Moment, aber schließlich erklärt Ms. Nishioka, dass sie fertig ist.

Rem steht auf und nimmt ihr Handy von dem Schminktisch, auf dem sie es zuvor abgelegt hat. Es ist etwa eine dreiviertel Stunde vergangen, was bedeutet, dass das Set fertig sein müsste.

»Ms. Aozora?«

Rem hebt den Blick, um Ms. Nishioka anzusehen.

Die Maskenbildnerin mustert Rem von oben bis unten eingehend, bevor sie schließlich lächelt. »Sie sehen gut aus.«

Rem blinzelt. »Danke. Dann halten Sie sich ab jetzt bitte bereit, damit sie sich um das echte Model kümmern können, wenn es hier ist. Es sollte nicht länger als zehn Minuten dauern.«

»Natürlich.« Ms. Nishioka nickt und Rem denkt bei sich, wie angenehm doch eine professionelle Haltung ist.

Als sie zum Set zurückkehrt, ist dort das Szenenbild aufgebaut. Ein luxuriöser Raum mit einem Kanapee in der Mitte, auf das Rem sich legen soll. Es ist bequem und während es um sie herum blitzt und lärmt, schreibt sie Yamato, dass sie den fertigen Werbespot für Rems nächsten Kunden von der Produktion holen, ihn sich zur Überprüfung ansehen und, wenn alles in Ordnung ist, an den Kunden schicken soll. Es führt dazu, dass Yamato fragt, weshalb Rem das nicht macht, und als Rem antwortet, dass sie keine Zeit hat, fragt sie, ob sie den Spot nicht an Rems Handy schicken kann. Es gibt einen Unterschied zwischen Sorgfalt und Unsicherheit und Rem überlegt, ob es eine gute Idee wäre, ihren nächsten Termin an Yamato abzutreten. Aber das wäre wahrscheinlich zu gemein.

»Ms. Aozora?«

Mr. Okawas Ruf lässt Rem aufsehen.

»Würden Sie sich bitte auf die Seite drehen und den Kopf auf der Hand aufstützen?«

Rem seufzt und übergibt ihr Handy einer der Assistentinnen, die zu ihr geeilt kommt. Sie nimmt es entgegen und zupft dann den Rock ihres Kleides zurecht, während Rem sich so hinlegt, wie Mr. Okawa es gesagt hat.

»Ja. Drehen Sie den Kopf etwas mehr zur Seite, sodass sie Ihre Hand in Ihren Haaren vergraben können. Ja, genauso.“

Rem beobachtet, wie er ein Bild knipst und dann auf seine Kamera hinabsieht und den Kopf schüttelt. »Der erste Scheinwerfer ist viel zu hell! Das macht einen ganz schrecklichen Schatten.«

Rems Hand spielt mit ihren Haaren. Ms. Nishioka hat sie mit dem Lockenstab bearbeitet und sie trägt Goldschmuck und ein edles, rotes Kleid. Rem hat in ihrer Eile nicht in den Spiegel gesehen, aber sie hat das Gefühl, edel auszusehen. Möglicherweise wäre das eine interessante Erfahrung, wären die Umstände andere.

Sie würde sich nie als ungeduldig bezeichnen, aber auf einem Sofa herumzuliegen, in dem Wissen, dass man einen straffen Zeitplan hat, ist nicht gerade einfach. Sie weiß nicht einmal, ob das Model mittlerweile eingetroffen ist und sie muss sich wieder umziehen, bevor sie das Set verlassen kann. Es ist nicht ihre Aufgabe, die gesamte Arbeit am Set zu überwachen, daher muss sie für gewöhnlich auch nicht bis zum Ende bleiben.

Dann wird es lauter um sie herum und gerade als sie denkt, dass das Model endlich da ist, tritt Mr. Blake ans Set. Als ihr Blick auf ihn fällt, erneuert sich die Wut, die sie zuvor beiseite geschoben hat, aber dann sieht sie sein Gesicht.

Seine sonst so grummelige Miene, ist durch einen Ausdruck wahren Schocks ersetzt. Es ist eine so heftige Reaktion, dass sie keinen Raum für Zweifel lässt. Und bei der Rem sich fragt, ob ihr Anblick für ihn so unfassbar ist. In diesem Moment jedoch verspürt sie einfach nur Genugtuung und ein Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus, das seine Miene sich wieder deutlich verdüstern lässt.

»Darf ich fragen, was Sie da tun, Ms. Aozora?«, fragt er laut genug, um die Menschen um sie herum zu übertönen und auf Englisch, als wolle er verhindern, dass ihm jemand anderes als Rem antworten kann.

»Ich helfe aus«, antwortet Rem, der es plötzlich viel leichter fällt sich zu entspannen.

»Ist das so?« Er macht einen Schritt auf sie zu und reckt das Kinn. Mit einem höhnischen Blick sieht er auf sie hinab. »Ich hoffe doch sehr, dass Sie nicht beabsichtigen, Syrene zu missbrauchen, um eine Modelkarriere zu starten. Dafür habe ich Sie nicht angeheuert.«

Rem runzelt die Stirn. Er scheint ehrlich wütend zu sein. Und das, obwohl er überhaupt kein Recht dazu hat. »Sieht es für Sie denn danach aus?«

»Sie liegen auf einem Sofa und lassen sich fotografieren«, stellt er scharfsinnig fest.

»Ist das Ihr erstes Fotoshooting?«, fragt sie gelassen, ohne dabei seinem Blick auszuweichen.

Eine Falte bildet sich zwischen Mr. Blakes Augen.

»Ich helfe der Crew nur, das Set und die Beleuchtung so anzupassen, damit sie mit dem Shooting anfangen können, sobald das Model hier ist. Es gab wohl ein kleines Missverständnis mit den Models, aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. An unserem Zeitplan ändert sich nichts. Sie müssen zwar mit einem anderen Model vorliebnehmen, aber ich bin sicher, das macht Ihnen nichts aus.«

»Soll ich deswegen erleichtert sein? Haben Sie mir nicht versichert, dass ich jedes Model -« Er wird von einem lauten Ruf unterbrochen.

»Das Model ist fertig!«

»Sehr gut!« Rem steigt von dem Kanapee. »Mr. Okawa, ich überlasse es ab hier Ihnen.«

Mr. Okawa nickt. »Natürlich, Ms. Aozora. Gute Arbeit und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Rem schenkt ihm ein freundliches Lächeln und erwidert den Abschied, ehe sie auf Mr. Blake zu geht. »Folgen Sie mir«, sagt sie im Vorbeigehen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, darauf zu antworten. Die Assistentin, die ihr Handy aufbewahrt hat, eilt Rem entgegen, bevor sie das Set verlassen kann und Rem überprüft die Uhrzeit und ihre Nachrichten.

»Ich habe nicht einmal mehr eine Stunde bis zu meinem nächsten Termin, also werde ich es kurz machen, Mr. Blake«, sagt sie, kaum dass sie die Umkleide erreicht haben. Sie schließt die Tür hinter ihnen und wendet sich dann an ihn. »Es sind nur wir beide hier, also können Sie frei sprechen und mir sagen, was Ihr Problem ist.«

Sein Blick huscht durch den Raum und er sieht missmutig aus, als wäre es unter seiner Würde in einem kleinen Umkleideraum zu stehen. »Wie kommen Sie darauf, dass ich ein Problem habe?«

Rem seufzt und macht einen Schritt auf ihn zu. »Wie Sie wollen. Es ist mir völlig egal welche Gründe Sie haben, Ihre eigene Arbeit zu sabotieren, aber wenn Sie anfangen mir das Leben schwer zu machen, werde ich mich mit jemandem von ihrem Unternehmen in Verbindung setzen, der seinen Job ernst nimmt. Und da Sie selbst nichts dazu sagen wollen, verlassen Sie jetzt bitte den Raum.«

Mr. Blake starrt sie verdutzt an und rührt sich nicht.

Rem dreht sich um, öffnet die Tür und macht eine auffordernde Geste.

Mr. Blake schnaubt. »Sie haben eine interessante Art, mit Ihren Kunden umzugehen.«

»Oh ja, ich gehöre zu den wenigen Japanern, die aufhören zu lächeln, wenn sie wütend sind.«

»So wütend, dass Sie mich hinauswerfen?«

»Ich sagte, dass ich gleich einen anderen Termin habe. Oder wollen Sie andeuten, dass Sie bleiben wollen, während ich mich umziehe?«

Mr. Blake blinzelt, als würde ihm die Bedeutung ihrer Worte erst jetzt klar werden. »Natürlich nicht«, erwidert er und hat es plötzlich sehr eilig hinauszugehen.


 

Rem schafft es pünktlich zu ihrem nächsten Termin bei JiJo, einem Spielzeughersteller, und sie ist erleichtert, als der Kunde zufrieden mit dem Endprodukt scheint. Es ist keine Seltenheit, dass dem Kunden gerade an diesem Punkt einfällt, dass ein völlig anderes Konzept ja auch eine gute Idee wäre.

Nachdem der Werbespot fünfmal abgespielt wurde und ausreichend in dem Komitee der Werbeabteilung von JiJo besprochen wurde, wird Rem gedankt und das Meeting ist beendet. Es wäre ein Segen, wenn alle Meetings so reibungslos ablaufen würden, denkt Rem, während sie auf ihr Handy schaut. Es ist später Nachmittag, aber da sie für das Meeting mehr Zeit eingeplant hat, steht sie nicht mehr unter Zeitdruck. Alles, was bleibt, ist ins Büro zurückzukehren und Berichte zu schreiben.

Außerdem hat sie eine Nachricht von Inouye bekommen. Sie hatte ihn zuvor gefragt, ob er am Abend Zeit hat, hauptsächlich um ihre Frustration wegen Mr. Blake loszuwerden. Seine Antwort ist: >Das klingt, als hättest du unanständige Gedanken über mich, während du arbeitest. Hehe ;-)<

Rem unterdrückt ein Stöhnen, während sie missbilligend auf die Nachricht hinabstarrt. Es liegt nicht an der Nachricht an sich, sondern daran, dass es nicht die erste dieser Art ist. Wann immer Rem ihn fragt, ob er Zeit für sie hat und die Antwort Nein lautet, schreibt er ihr so etwas.

>Seit wann bist du einer von denen, die nicht Nein sagen können?<, schreibt Rem zurück. Dann will sie das Handy wegstecken, da sie immer noch in dem Videoraum von Jijo steht. Aber Inouye antwortet sofort.

>Ich bin nur zutiefst geschmeichelt und drücke meinen Widerwillen dir abzusagen, dadurch aus, dass ich es so lange wie möglich hinauszögere<

Rem schüttelt den Kopf, aber sein geschwollener Tonfall bringt sie zum Lächeln. Auch wenn sich seine Absagen an sie häufen und wenn sie dann zusammen sind, scheint er abzuschweifen und manchmal starrt er sie dabei auf eine Weise an, als wäre er unglücklich über ihre Anwesenheit. Und dann flirtet er wieder spielerisch mit ihr und sein abweisendes Verhalten kommt ihr wie Einbildung vor. Und man sagt, Frauen sind kompliziert.

»Gute Nachrichten?«

Rem hebt den Kopf und stellt fest, dass einer aus dem Komitee, Mr. Matsusaki, als einziger noch mit ihr im Raum ist. Sie setzt ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. »Verzeihen Sie, ich wollte nicht trödeln und Sie stören.«

»Aber nicht doch, nicht doch«, erwidert er, ebenfalls lächelnd und kommt auf sie zu. »Sie stören mich ganz und gar nicht, Ms. Aozora.«

Rem steht an der Wand, von wo aus sie den Werbespot angesehen hat, da auch sie die fertige Version zum ersten Mal gesehen hat. Und es gefällt ihr nicht, wie Mr. Matsusaki sich direkt vor sie stellt.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie mit gerunzelter Stirn und einem strengen Blick, der jedem aufmerksamen Mann klarmachen sollte, dass sie seine Nähe nicht schätzt.

Aber offenbar ist Mr. Matsusaki kein aufmerksamer Mann. »Nun, Sie erscheinen mir heute anders als sonst. Ansprechender, wenn sie verstehen, was ich meine.«

»Mr. Matsusaki, wir sind Geschäftspartner, nicht wahr? Und so soll es auch bleiben.«

»Stimmt und Sie haben immer gute Arbeit geleistet. Mir ist gleich von Anfang an aufgefallen, was für eine fähige junge Frau Sie sind. Außergewöhnlich, möchte ich meinen.« Er lächelt, als wäre er überzeugt, dass sie sich von seinen Worten geschmeichelt fühlt.

»Für das Kompliment danke ich. Wenn Sie mich dann entschuldigen würden.« Sie möchte einen Schritt zur Seite machen, aber er platziert eilig seinen Arm an der Wand, um sie aufzuhalten.

»Laufen Sie doch nicht weg«, sagt er mit einem schmierigen Grinsen auf dem Gesicht, während er sich zu Rem vorbeugt.

»Stopp!« Rem hebt entschieden eine Hand. »Bitte hören Sie sofort damit auf!«

Aber Mr. Matsusaki greift ihr Handgelenk und drückt es gegen die Wand. »Ich hatte schon immer eine Schwäche für herrische Frauen«, säuselt er und nun, da er Rem festhält, löst er seine Hand von der Wand, und legt sie stattdessen auf Rems Hüfte. Er zeigt die Zähne, während er lächelt und Rem verzieht angewidert das Gesicht. »Letzte Warnung«, sagt sie mit einer Drohung in der Stimme. Ein unprofessioneller Mann am Tag ist bei weitem genug.

»Sonst was?« Mr. Matsusaki kichert.

Rem verdreht die Augen. Dann zieht sie mit einem Ruck ihr Knie hoch und rammt es ihm zwischen die Beine.

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