Posterboy

XVIII.

Ungeplant

Das laute Piepen eines Weckers reißt Kohei aus dem Schlaf und er blinzelt, verschlafen und verwirrt, eher er sich daran erinnert, wo er ist. Eine Bewegung gefolgt von einem Schlag, der das Piepen beendet, hilft ihm dabei auf die Sprünge.

Rem liegt vor ihm, sehr dicht, wie er feststellt, als sie sich wieder ihm zudreht, nachdem sie nach ihrem Wecker geschlagen hat. Und ihr scheint das auch aufzufallen, denn sie drückt gegen ihn. »Wieso liegst du auf meiner Seite? Es ist warm!«, beschwert sie sich mit vom Schlaf rauer Stimme.

Kohei blinzelt und sieht auf ihre Hände hinab, die recht schwächlich gegen seine Brust drücken. Es stimmt, dass es warm ist, als wäre die Klimaanlage über Nacht ausgefallen. Aber es könnte auch eine Folge davon sein, dass sie offenbar dicht nebeneinander geschlafen haben.

»Flirtest du mit mir? So früh am Morgen?«, fragt Kohei und anstatt von ihr wegzurücken, schiebt er die Bettdecke etwas weiter hinunter.

Rem blinzelt ihn verschlafen an und hört auf zu drücken. Dann ziehen sich ihre Brauen langsam zusammen. »Was?«, fragt sie dann mit verwirrter Miene.

Ein träges Lächeln ziert Koheis Lippen. »Du sagst, ich bin heiß.«

Rem blinzelt erneut. Und erneut dauert es einen Moment, bis seine Worte bei ihr ankommen. Dann schnaubt sie, aber ihre Lippen beginnen zu lächeln. »Willst du zuerst ins Bad?«

»Wie wärs mit zusammen?«, fragt er und streicht bedeutend mit den Fingerspitzen ihre Seite hinauf.

Sie legt die Stirn in Falten, macht jedoch keine Anstalten, seine Hand von sich zu schieben. »Du weißt, dass wir zur Arbeit müssen?«

»Gibt es etwas Besseres, um motiviert in den Tag zu starten?«, erwidert er und lehnt sich zu ihr vor, aber diesmal hält sie ihn auf. »Von mir aus, aber ich muss trotzdem erst mal allein ins Bad.«

Kohei grinst vergnügt, als er Rem dabei beobachtet, wie sie etwas ungeschickt aus dem Bett krabbelt und im Bad verschwindet. Er weiß mittlerweile, dass sie morgens ein bisschen träge ist, und in Anbetracht ihrer sonstigen Schärfe, genießt er es immer wieder aufs Neue, ihr zuzusehen.

Und so zieht sich der Morgen etwas länger hin als gewollt, was Rem in solche Hektik versetzt, dass Kohei, hin- und hergerissen zwischen Belustigung und Bewunderung, gar nicht daran denkt, sich Sorgen darum zu machen, zu spät im Büro zu erscheinen. Man sagt, Frauen brauchen morgens ewig, aber während Kohei noch dabei ist, sich abzutrocknen, macht Rem bereits das Frühstück und zieht sich nebenher an.

Sie essen und Kohei beobachtet, wie Rem wie auf Nadeln dasitzt und immer wieder auf die Uhr sieht. Aber sie schaufelt weder Essen in sich, um es so schnell wie möglich zu verschlingen, noch hetzt sie ihn, sich zu beeilen, und wartet, bis er fertig ist, bevor sie den Tisch abräumt.

»Du weißt schon, dass wir mit dem Auto schneller sind, als mit der Bahn«, sagt er, während er sich nicht davon abhalten kann, absichtlich langsamer zu essen.

»Nur wenn der Verkehr mitmacht«, erwidert sie, wobei ihre Augen erwartungsvoll zwischen ihm und seinem Essen hin und her huschen.

Kohei kichert. Von ihrer morgendlichen Trägheit ist nichts mehr zu spüren und ihre Augen sprühen förmlich vor Energie. Es ist wirklich eine Schande, dass sie zur Arbeit müssen.

Schließlich verlassen sie Rems Wohnung und während Kohei wartet, als Rem die Tür abschließt, fällt ihm ein Mann ins Auge, der den Flur heraufkommt. Das Erste, was ihm auffällt, ist, dass er einen Schlafanzug trägt. Das Zweite, dass er ihm bekannt vorkommt.

»Okay, lass uns - «, beginnt Rem, bevor auch sie den Mann bemerkt und ihr die Worte im Hals stecken bleiben.

Auch Koheis gute Laune ist von einem Moment zum anderen zerstört, als der Mann vor der Tür zum Nachbarapartment stehen bleibt, die, wie Kohei bemerkt, einen Spaltbreit offen steht. »Oh, guten Morgen«, sagt Kosuke mit einem schiefen Grinsen. »Du siehst überrascht aus, Rem. Wusstest du nicht, dass ich eingezogen bin?«

Rem starrt ihn nur bleich und mit leicht geöffnetem Mund an. Sein Anblick scheint sie so sehr zu schockieren, dass sie sprachlos ist.

»Ist es nicht ein bisschen aufdringlich, in die Wohnung neben der Ex-Freundin einzuziehen?«, fragt Kohei also und kann die Abscheu nicht aus seiner Stimme halten.

Kosukes Augen richten sich auf ihn und seine Miene verdüstert sich sichtlich, während sein Grinsen verschwindet. Alles, was Kohei als Antwort bekommt, ist ein frostiger Blick, ehe Kosuke sich wieder an Rem wendet. »Erinnerst du dich an Mr. Yamaguchi? Er hat die Wohnung so gut wie nie gebraucht und wir haben ihn mal gefragt, ob er sie uns überlässt, damit wir mehr Platz haben und er hat gesagt, er sagt Bescheid, wenn er endgültig auszieht. Und das hat er jetzt.«

»Aber wieso solltest du hier einziehen?« Rems Stimme klingt tonlos und Kohei hasst es, dass Kosuke immer noch diesen Effekt auf sie hat. Sie sind jetzt seit fast einem Jahr kein Paar mehr, aber er ist immer noch jemand, den sie anders behandelt, als wäre er etwas Besonderes.

»Na, es ist ja nicht so, dass ich ewig bei meinen Eltern wohnen kann und die Apartments hier sind günstig. Du weißt, dass ich momentan nicht so flüssig bin, also konnte ich das Angebot nicht ablehnen.« Er reibt sich mit einer Hand den Kopf, wobei er seine Haare, die ohnehin schon ein Durcheinander sind, noch weiter in Unordnung bringt. »Na dann, auf eine gute Nachbarschaft. Du musst jetzt zur Arbeit, oder? Dann viel Erfolg. Ich geh wieder schlafen. Hab nicht besonders gut geschlafen.« Er zwinkert Rem zu, bevor er in seiner Wohnung verschwindet.

Aber Rem rührt sich nicht. Sie steht da, wie vom Donner gerührt und starrt ins Leere. Es muss ein gewaltiger Schock für sie sein, so wie es aussieht, und Kohei legt ihr eine Hand auf den Rücken. »Wir sollten los«, sagt er mit sanfter Stimme und übt etwas Druck aus, um sie vorwärts zu schieben.

Sie sagt kein Wort und als sie im Auto sitzen, vergräbt sie das Gesicht in Händen.

Zuerst denkt Kohei, dass es besser wäre, nichts zu sagen, aber nach der Hälfte der Fahrt hat Rem sich immer noch nicht gerührt und die Tatsache, dass Kosuke sie so sehr aus dem Konzept bringt, stört ihn zunehmend. »Was hältst du davon umzuziehen? Deine Wohnung ist ziemlich klein für jemanden mit deinem Gehalt.« Bisher hat er nichts dazu gesagt, weil es ihn nichts angeht und es Rem nicht zu stören scheint. Auch wenn sie seine Wohnung offensichtlich mag.

»Du verstehst es nicht«, murmelt Rem, das Gesicht noch immer in den Händen vergraben. »Die Wände…«

Wände? Kohei runzelt verwirrt die Stirn. »Was ist mit den Wänden?«, fragt er, hält den Blick aber auf der Straße, da die Ampel vor ihnen gerade auf Rot schaltet.

»Die Wände...er hat gesagt, er hat nicht geschlafen…«

»Hey!« Nun etwas verärgert, greift Kohei nach Rems Handgelenk und zieht es von ihrem Gesicht. Nur um sie dann verdutzt anzustarren.

Rem, die vor ihm zurückgezuckt ist, ist puterrot im Gesicht. Es ist ein so ungewohnter Anblick, dass ihm im ersten Moment gar nichts darauf einfällt.

»Was ist los mit dir?«

Rem weicht seinem Blick aus, während sie mit ihrer freien Hand erneut versucht, ihr Gesicht zu verbergen. »Diese billigen Apartments haben keine besonders dicken Wände. Man kann praktisch jedes Gespräch mitanhören.«

Kohei blinzelt. Es ist nicht so, dass sie sich viel unterhalten haben…. »Oh.« Er richtet den Blick wieder auf die Ampel. Es ist zugegeben ein sehr unangenehmer Gedanke und für Rem muss es noch viel schlimmer sein. Aber aus dem Augenwinkel kann er sehen, dass sie ihr Gesicht nicht wieder in den Händen vergräbt.

»Du kannst nicht mehr zu meiner Wohnung kommen.«

Kohei nickt, nur um dann zu erstarren. Schließlich gibt es einen guten Grund, aus dem er gestern zu ihrer Wohnung gefahren ist und nicht zu seiner. »Ähm…«, beginnt er, wohl wissend, dass es ein schrecklicher Zeitpunkt ist, um ihr das zu sagen. Aber es bleibt ihm gar keine andere Wahl. »Ich weiß, dass ich das schon früher hätte sagen sollen…«, beginnt er und er spürt, wie sich Rems Blick auf ihn richtet. »Aber als Marika angefangen hat, bei uns zu arbeiten, ist sie außerdem in die Wohnung zwei Stockwerke unter mir gezogen.« Er sagt es schnell und schonungslos, so wie man ein Pflaster abzieht.

»Was?« Rems Stimme ist wieder sehr viel kraftloser als zuvor. Dann schüttelt sie den Kopf. »Dann müssen wir es beenden. Das ist wahrscheinlich sowieso das Beste.«

»Nein!« Kohei wirft ihr einen Blick zu, jedoch nur einen kurzen, da die Ampel wieder auf Grün schaltet. »Ich meine, so schlimm ist es nicht. Wir können immer noch in ein Hotel gehen.«

»Nein!«, sagt diesmal Rem. »Ich mag keine Hotels und wir haben gesagt, wir beenden es, wenn es anfängt problematisch zu werden.«

Kohei knirscht mit den Zähnen, während er auf das Gas tritt. »Das wird nicht funktionieren.« Hauptsächlich, weil er dafür sorgen wird, dass es nicht funktioniert. »Solange wir darauf achten, dass Marika und dieser Kerl nichts merken...«

»Ms. Sasaki versucht schon, es herauszufinden«, sagt Rem in einem scharfen Tonfall und Kohei entgeht der Vorwurf darin nicht. Er wirft ihr einen Blick zu. »Was meinst du?«

»Sie ist gestern zu uns an den Tisch gekommen, um zu fragen, ob jemand weiß, wer deine Freundin ist.«

Kohei blinzelt verdutzt und nimmt erneut den Blick von der Straße, um sie anzusehen. »Was?«

Rems Blick ist frostig. »Ich hätte dich nicht darum gebeten, meine Sachen bei dir lassen zu dürfen, wenn ich gewusst hätte, wie einfach du Leute deine Wohnung durchsuchen lässt.«

Kohei schaut wieder nach vorn, froh, dass er die Ausrede hat, fahren zu müssen. Als er Marika in seine Wohnung gelassen hat, ist ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, Rems Sachen zu verstecken. Aber jetzt, wo er darüber nachdenkt, fragt er sich, weshalb er sich überhaupt die Mühe machen sollte. Sie wird es sowieso herausfinden. »Was, wenn ich es Marika einfach sage. Wir sind alte Freunde und sie -«

»Nein!« Diesmal unterbricht sie ihn. »Ich weiß ja nicht, wie genau eure Beziehung aussieht, aber denkst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?«

»Wieso?« Kohei legt die Stirn in Falten. »Marika hat mich nie auf besondere Weise gemocht. Es ist bestimmt sogar eine Erleichterung für sie.« Das sollte es jedenfalls sein. Immerhin war sie die letzten Jahre zwischen Saburos und Koheis Gefühlen für sie gefangen, ohne sie für einen erwidern zu können. Es stimmt zwar, dass sie Kohei gegenüber in letzter Zeit sehr anhänglich war, aber das liegt nur daran, dass sie sich in den letzten fünf Jahren auseinander gelebt haben.

»Sie hat sich bei Noué eingekauft, nur damit sie mit dir arbeiten kann, und gleich am ersten Tag hat sie deutlich gemacht, dass ihr beide euch nahesteht. Jetzt sucht sie nach deiner ‚Freundin‘ und du denkst, alles, was sie von dir will, ist Freundschaft?« Rems Stimme klingt jetzt trocken. »Du bist doch nicht wirklich so ein Idiot.«

Kohei blinzelt, während ihm ihre Worte durch den Kopf gehen. Nichts von dem, was sie sagt, ist falsch, aber richtig ist es trotzdem nicht. »So ist das nicht«, sagt er wenig überzeugend.

»Oh, also bist du ein Idiot.«

Kohei verzieht das Gesicht, aber er kann es sich im Moment nicht leisten, zu ihr zu sehen.

Sie schweigen den Rest des Wegs, bis Kohei Rem an einer Ecke nahe der U-Bahn-Station herauslässt, damit niemand bemerkt, dass sie zusammen gekommen sind. Er ist sich sicher, dass sie nur etwas Zeit braucht, um über den Schock von diesem Morgen hinwegzukommen, und er sollte sich in der Zwischenzeit um Marika kümmern. Da er sie normalerweise morgens zur Arbeit fährt, muss er heute sowieso etwas erklären.

Als er das Büro betritt, ist sie allerdings noch nicht da, genauso wenig wie Tomoda. Das liegt daran, dass Kohei heute früher gekommen ist, was ihn in Anbetracht von Rems Hektik nicht überrascht. Sie ist für gewöhnlich vor ihm da.

»Guten Morgen, Ms. Kondo«, sagt er mit einem Lächeln zu Kondo, die die einzige aus seinem Team ist, die schon da ist.

Aber anstatt ihn anzulächeln, so wie sie es immer tut, verhärtet sich ihre Miene, als sie ihn sieht. Dann gibt sie ein abfälliges Schnauben von sich und wendet den Blick ab.

Kohei blinzelt verdutzt. Sie scheint wütend auf ihn zu sein. Er beobachtet sie einen Moment, um abzuschätzen, ob es der richtige Zeitpunkt ist, um sie darauf anzusprechen, aber sie zeigt ihm auf jede in der Körpersprache mögliche Weise, dass sie nicht mit ihm reden will. Und so setzt er sich an seinen Schreibtisch.

Aber kaum zehn Minuten später taucht Marika auf und sie ist ebenfalls wütend auf Kohei. Es ist unübersehbar, als sie sich mit geschürzten Lippen und den Armen in die Hüften gestemmt vor ihm aufstellt. »Kohei, wir müssen reden!«

Er seufzt genervt. »Okay, aber nicht jetzt. Wir können in der Mittagspause reden.«

»Nein, es muss jetzt sein! Du hast mich versetzt!«

»Ich hab dir heute Morgen geschrieben, dass du allein zur Arbeit fahren sollst«, erwidert er und ist froh, dass Marika mit gesenkter Stimme spricht.

»Aber das war viel zu kurzfristig!«

Kohei schnalzt mit der Zunge. »Du bist alt genug, um dir ein Taxi zu rufen, oder?«

Marikas Augen weiten sich. Dann blinzelt sie mehrere Male hintereinander, als müsste sie Tränen zurückhalten. »Habe ich etwas falsch gemacht? Warum bist du so wütend?«

»Nein.« Kohei schüttelt den Kopf und sieht sich dabei im Büro um. »Aber ich will das wirklich nicht jetzt besprechen.«

Marika blinzelt und sieht sich ebenfalls um. Dann nickt sie. »Okay. Ich wollte dich nicht wütend machen.«

»Hast du nicht«, sagt Kohei, diesmal mit einem schwachen Lächeln. Und dann fällt sein Blick auf Kondo, die in ihre Richtung sieht. Mit einem sehr düsteren Ausdruck.

Mit einem Seufzen wendet er sich seinem Computer zu, während Marika an ihren Platz geht.


 

In den folgenden beiden Tagen lernt Kohei zwei Dinge. Erstens, dass es wirklich keine gute Idee ist, Marika von seiner Affäre mit Rem zu erzählen. Noch vor der Mittagspause am Donnerstag, die er dazu nutzen wollte, erinnert er sich an das, was Rem ihm erzählt hat. Darüber, dass Marika am Mittwochabend im Restaurant an ihren Tisch gekommen war, um nach Koheis Freundin zu fragen. Kondo hat ebenfalls an dem Tisch gesessen, womit geklärt ist, weshalb sie ihn so unterkühlt behandelt.

Und das Zweite, das Kohei lernt, ist, dass Rem es tatsächlich ernst meint. Sie behandelt ihn wieder nur wie einen Kollegen und spricht ausschließlich förmlich und nur über die Arbeit mit ihm. Es erinnert ihn an die Zeit, nachdem sie mit ihrem Ex Schluss gemacht hat, nur dass sie es jetzt auch noch vermeidet, allein mit ihm zu sein. Es ist ein Ärgernis und Hoffnungsschimmer zugleich, denn es muss einen Grund geben, aus dem sie es vermeidet, mit ihm allein zu sein.

Und so schmiedet Kohei einen Plan, sie am Freitagabend im Restaurant abzufangen und dazu zu überreden, mit ihm nach Hause zu fahren. Es hat schon einmal auf diese Weise funktioniert und da morgen Samstag ist, ist es leicht vor Marika zu verbergen, wenn sie zu ihm fahren.

Sie haben sich in den letzten Wochen immer seltener getroffen, aber die Aussicht, es in Zukunft gar nicht mehr zu tun, gibt ihm das Gefühl, als läge ihr letztes Treffen Monate zurück. Und so sieht er seinem Plan mit Aufregung entgegen, nur um gleich zu Beginn eine Enttäuschung einstecken zu müssen. Denn Rem kommt an diesem Freitag nicht mit ins Restaurant.

Offenbar hat sie Probleme mit ihrem E-Mail-Postfach, was von einer überfleißigen Person wie Rem, die sogar am Wochenende mit ihren Kunden Mails austauscht, nicht ignoriert werden kann. Glücklicherweise erfährt er noch davon, bevor sie aufbrechen und so kann er sich entschuldigen, während er so tut, als hätte auch er noch Arbeit zu tun, die vor dem Wochenende erledigt werden muss. Dann wartet er, bis all ihre Kollegen weg sind. Er schafft es sogar, Marika verdächtig einfach abzuschütteln. Offensichtlich beginnt sie die Arbeit schon für zu mühsam zu halten.

Kohei wartet noch etwa eine halbe Stunde, um sicherzugehen, dass alle weg sind und niemand zurückkommt, weil er etwas vergessen hat. Dann geht er zu Rems Schreibtisch.

»...denken Sie, ich will das? Ich arbeite im Außendienst und wenn dieses Problem bis Montag nicht gelöst ist, betrifft das unsere Kunden direkt.« Rem spricht mit strenger Stimme mit einem offensichtlich unkooperativen Mitarbeiter der IT-Abteilung. Sie bemerkt Kohei und hebt eine Hand, um ihm zu bedeuten, ruhig zu sein.

Kohei lehnt sich neben ihr gegen den Schreibtisch.

»Was genau wollen Sie mir damit sagen?« Rems Brauen ziehen sich ein Stück zusammen, während sie ihren Bildschirm anfunkelt, obwohl er bereits ausgeschaltet ist.

Kohei kann sich vorstellen, dass der IT-Mitarbeiter nicht sehr glücklich darüber ist, am Freitagabend von Rem zur Schnecke gemacht zu werden. Aber Kohei hat kein Mitleid mit dem Wicht, der ihm Rems Aufmerksamkeit wegnimmt. Sein Blick fällt auf Rems Hand, die sie immer noch in seine Richtung ausgestreckt hat.

Ein Grinsen umspielt seine Lippen, als er sich zu ihr herunterbeugt, den Blick auf ihr Gesicht gerichtet, das sie immer noch ihrem Bildschirm zugewandt hat.

»Es ist mir egal, wie und wann Sie es machen, solange es am Montag wieder funktioniert.«

Er greift ihr Handgelenk, woraufhin ihre Augen zu ihm huschen. Ein warnendes Funkeln glitzert darin, aber Kohei, erfreut darüber, so leicht ihre Aufmerksamkeit erlangt zu haben, beugt sich nur weiter vor und drückt seine Lippen gegen ihre Finger.

Rems Hand zuckt, aber er hält sie fest, während er ihr über ihre Finger hinweg einen frechen Blick zuwirft.

Ihre Brauen rücken noch weiter zusammen, aber sie versucht nicht, ihre Hand wegzuziehen. »Wie ich Ihnen schon gesagt habe: Wenn Sie Ihre Pläne fürs Wochenende nicht ändern wollen, müssen Sie es eben jetzt machen….Nein….« Rems Aufmerksamkeit kehrt zu ihrem Bildschirm und dem IT-Mitarbeiter zurück, was Kohei dazu verleitet ihr in den Ringfinger zu beißen.

Rems Hand zuckt erneut und sie wirft ihm einen verärgerten Blick zu. Aber Kohei grinst nur unschuldig und lässt seine Lippen zu ihrer Handfläche wandern.

»Hören Sie, es ist mir egal, wie es zu diesem Fehler kam. Beheben Sie ihn einfach!…Ja….Ja...« Ihr Blick huscht zu Kohei. »Die habe ich Ihnen gegeben.« Sie dreht ihre Hand etwas und ihre Fingerspitzen streichen über seine Wange.

Kohei lächelt und zwickt ihr mit den Zähnen in die weiche Haut unter ihrem Daumen.

»Gut. Ich verlasse mich auf Sie. Auf Wiedersehen.« Rem legt auf und seufzt. Dann richtet sie ihren Blick auf Kohei. »Was tust du da?«

»Du hast mir deine Hand hingehalten«, murmelt er gegen ihre Handfläche. »War das keine Aufforderung?«

Sie seufzt ein weiteres Mal und steht auf.

»Alles in Ordnung?« Kohei richtet sich ebenfalls auf und zieht sie zu sich, damit er seinen freien Arm um ihre Taille legen kann.

»Das wird schon«, erwidert sie, obwohl der Ausdruck auf ihrem Gesicht dafür spricht, dass sie sich Sorgen macht.

Ohne den Blick von ihren Augen zu nehmen, hebt er ihre Hand wieder zu seinem Mund und drückt seine Lippen auf ihr Handgelenk, direkt unter ihre Handfläche.

»Lass das«, sagt sie mit viel zu sanfter Stimme.

»Was denn?«, fragt er, während seine Lippen von ihrem Handgelenk abwärts gleiten.

Sie beobachtet seine Geste mit funkelnden Augen. »Ich weiß, was du vorhast«, sagt sie dann mit leiser Stimme und streckt ihre andere Hand nach ihm aus.

Kohei blinzelt überrascht, als sie ihm durchs Haar streicht und sich vorbeugt. Das war einfacher, als er gedacht hat.

Rems Hand rutscht von seinem Haar zu seinem Nacken und Kohei denkt, dass sie ihn küssen will. Aber sie weicht ihm mit einem neckischem Grinsen aus. Er spürt ihren Atem auf seiner Wange, während ihre Hand seinen Arm hinabstreicht. Ihre Lippen erreichen sein Ohr. »Und die Antwort ist Nein.«

Bevor er die Bedeutung dieser Worte verstehen kann, packt sie sein Handgelenk und zieht seinen Arm von ihrer Taille. Sie macht einen Schritt zurück, hebt ihre Tasche vom Boden auf und wendet sich ab. »Gute Nacht, Mr. Inouye.«

Kohei sieht ihr verdutzt hinterher. Ihr Sommeroutfit, das nach wie vor aus Rock und Bluse besteht, steht ihr ausgezeichnet und Kohei liebt es, ihr hinterherzusehen. Er schüttelt den Kopf. Nicht, dass jetzt der Augenblick dafür ist. Er steht auf und läuft ihr hinterher. »Warte!« Er beeilt sich, sie zu überholen und stellt sich ihr in den Weg. »Mit ‚Nein‘ meinst du ‚Nein, nicht hier im Büro, also lass uns schnell zu dir fahren’, oder?«

»Mit ‚Nein‘ meine ich, dass ich mich nicht zwei Tage, nachdem wir entschieden haben, uns nicht mehr zu sehen, wieder auf dich einlasse«, erwidert sie und versucht, an ihm vorbeizugehen.

»Eigentlich hast du das ganz allein entschieden, nicht sehr demokratisch.« Kohei stellt sich ihr erneut in den Weg. »Und ich bin keiner der Männer, die daran glauben, dass eine Frau Ja meint, wenn sie Nein sagt, aber dein Nein klang sehr nach einem Ja.«

Rem sieht mit einem spöttischen Blick zu ihm auf und legt ihm eine Hand auf die Brust. »Dann würde ich mir Sorgen um dein Gehör machen. Ich hab es so dicht bei deinem Ohr gesagt, dass du es nicht hättest missverstehen sollen.« Sie beginnt, ihn rückwärts zu schieben.

»Ja, du hast mir sexy ins Ohr geflüstert. Das macht man nicht, wenn man jemanden zurückweisen will. Das ist verwirrend«, sagt er, während er rückwärts vor ihr hergeht.

»Ich habe dich nur abgelenkt, damit du mich nicht festhalten kannst«, antwortet sie unbeeindruckt.

»Wer hat gesagt, dass ich dich festhalten wollte?« Genau das ist sein Plan gewesen und der Gedanke, dass er so leicht zu durchschauen ist, stört ihn. Und dann stößt er mit dem Rücken gegen die Tür, die aus dem Büro führt.

Rem sieht ihn unzufrieden an, da er nun die Tür blockiert. »Wieso tust du das?«

»Ist das nicht offensichtlich?« Kohei lächelt zuversichtlich, auch wenn er sich unter Rems skeptischem Blick alles andere als zuversichtlich fühlt.

Sie mustert ihn mit einer hochgezogenen Braue. »Hat es deinen Stolz verletzt, weil ich es beendet habe?«

Kohei spürt, wie sein Lächeln gefriert. Sie lässt es klingen, als wäre er ein Loser, der nicht einsehen will, dass seine Freundin Schluss gemacht hat. So wie ein gewisser Bettler, der für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich ist. »Für wen hältst du mich?«

»Was ist es dann?«

Kohei starrt sie einen Moment an, während er überlegt, welche Antwort er ihr darauf geben soll. »Kennst du das Gefühl, wenn man etwas, dass man nicht haben darf, noch mehr will?«

Rem legt die Stirn in Falten. »Du bist also nur kindisch.« Sie schüttelt mit einem Seufzen den Kopf und schaltet das Licht im Büro aus. Auf diese Weise scheint nur noch das Licht aus dem Flur durch die Glastür hinter Kohei. Aber als sie nach der Klinke greifen will, packt er ihr Handgelenk.

»Sag mir wenigstens, was du gegen Hotels hast.« Es ist ein hoffnungsvoller Versuch, ihre Meinung diesbezüglich zu ändern, wohl wissend, wie unwahrscheinlich es ist, Rem Aozora in einer Diskussion zu überzeugen.

Rem sieht zu ihm auf, als würde sie den Grund ungern verraten wollen.

Kohei spürt, wie sich eine unangenehme Kälte in seinem Bauch ausbreitet. »Hast du vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht?« Mit diesem Bettler. Der Gedanke, dass der Kerl auch hierfür verantwortlich ist, verärgert Kohei zu einem Punkt, dass er es nicht akzeptieren könnte, sollte das tatsächlich der Fall sein.

Aber Rem schüttelt den Kopf. »Das ist es nicht.« Sie weicht seinem Blick aus, was jedoch nur dazu führt, dass Kohei darauf brennt herauszufinden, was ihr Grund ist.

»Ich weiß, dass es eine rein körperliche Beziehung ist, aber für mich ist es trotzdem etwas Persönliches. Ich will keinen extra Raum dafür mieten, als wäre es eine Dienstleistung oder so etwas.« Das Neonlicht aus dem Flur scheint nur spärlich über Koheis Schulter auf Rems Gesicht, aber der Anflug von Rot auf ihren Wangen ist unverkennbar.

Kohei starrt auf sie hinab. Seine Ohren rauschen, während das Gefühl von Kälte, dass er gerade noch im Bauch hatte, durch Hitze ersetzt wird. Richtig, denkt er zwischen all den wirbelnden Gedanken, sie hat so einen Charakter.

Noch bevor er weiß, was er tut, hat er Rem gepackt und gegen die Wand neben der Tür gedrückt. Eine Hand lässt er auf ihrer Taille, während er mit der anderen ihr Kinn packt und es nach oben drückt. »Wenn du denkst, dass ich aufgebe, weil du so einen süßen Grund hast«, wispert er mit rauer Stimme, während er sich zu ihr herunterbeugt. »Dann…« Er bewegt den Kopf an ihr vorbei und stößt seine Stirn gegen die Wand neben ihr. »...hast du absolut recht.«

Er hört, wie Rem seufzt. »Was soll das werden?«

»Ich kratze meine Selbstbeherrschung zusammen. Du kannst wirklich grausam sein.«

Rem drückt gegen ihn. »Hör auf, dich über mich lustig zu machen!«

Kohei blinzelt und lehnt sich zurück, damit er sie ansehen kann. »Wer macht sich lustig, ich meine es ernst.«

Sie mustert ihn skeptisch und verschränkt die Arme vor der Brust.

Kohei breite die Arme zur Seite aus. »Wirklich, ich bin sehr glücklich. Noch vor einer Weile war ich nicht mehr als ein fleischgewordener Dildo. Jetzt bin ich etwas Persönliches, das keine Dienstleistung ist.«

Rem seufzt resigniert und drängt sich an ihm vorbei.

»Ich respektiere deinen Wunsch, Hotels zu meiden, aber wir können zu mir gehen.«

»Nein«, sagt Rem und öffnet die Tür, um das Büro zu verlassen.

Kohei folgt ihr. »Komm schon. Nur einmal.«

»Genau dasselbe wirst du das nächste Mal sagen«, brummt sie.

»Ich meine, nur einmal, so wie in, nur einmal die Woche, jeden Freitag.«

»Nein.«

»Ich fang an, mich wie ein pubertierender Teenager zu fühlen, wenn du mich weiter so kalt abblockst.«

»Dann besitzt du immerhin Eigenwahrnehmung.«

»Hey!«

Und so scheitert Koheis Plan bei seinem ersten Versuch.

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