Tod der Heiligen

Anmerkung: Der Prolog ist derselbe, wie in der Leseprobe zu Sankt Lawrence - Die Söldnerin.

Prolog

Man sagt, dass es in dieser Welt eine Ordnung gibt, die nicht gestört werden darf, und dass jeder seinen vorbestimmten Weg gehen muss. Mein Weg wurde in dem Moment bestimmt, als ich auf die Welt kam und der Priester mich sah. Ich wurde nach der berühmten Heiligen Lorelai benannt und von der Kirche aufgenommen.

Meine Eltern verkauften alles, was sie besaßen, um mir in die Hauptstadt folgen zu können, denn sie hatten kein Recht, mich zu behalten. Mir wurde beigebracht, wie sich die Heilige zu verhalten hat, und während ich lernte, meine heiligen Fähigkeiten zu meistern, sah ich meine Eltern nur selten. Denn es gab viele Menschen, die meine Legitimität als Heilige anzweifelten, was den Priester, der für mich verantwortlich war, noch strenger machte. Ich arbeitete fleißig für meine Eltern und für meinen Mentor Matthias. Und je älter ich wurde, desto weniger zweifelte man an mir. Die Situationen, in denen mich Priester oder Adlige besuchten, um mich zu bewundern, häuften sich ebenso wie das Lob, das ich erhielt.

Anfangs machte mich das glücklich, aber ich sah meine Eltern immer seltener, und sie schienen jedes Mal besorgter. Und als ich ihnen im Alter von sieben Jahren verriet, dass ich mich regelmäßig vor Matthias ausziehen sollte, damit er meinen Gesundheitszustand überprüfen konnte, nahmen sie mich mit und versuchten zu fliehen.

Aber wir wurden schnell gefasst und ich wurde zurück in den Tempel gebracht. Danach durfte ich meine Eltern nicht mehr sehen, und obwohl ich nicht verstand, was vor sich ging, begann ich allmählich zu begreifen, dass die Kirche nicht nur mein Bestes im Sinn hatte. Ich wurde für mein Talent und meine Schönheit gelobt, aber ich durfte keine Entscheidungen treffen, das, was man mir beibrachte, infrage stellen oder gar den Tempel verlassen. Nicht viele Menschen durften mich besuchen, aber die, die es durften, wurden immer zudringlicher.

Und dann, als ich zehn Jahre alt war und ein Adliger anfing, seltsame Geräusche zu machen, wenn er mich berührte, habe ich mich zum ersten Mal gewehrt. Als Heilige habe ich eine starke Affinität zur Lichtmagie, die als heilige Magie gilt und von Heilern angewandt wird. Mein Leben lang wurde ich in Heilmagie unterrichtet. Aber in diesem Moment beschloss ich, dass ich keine Heilerin werden wollte.

Die Lichtmagie eignet sich am besten zur Unterstützung. Neben der Heilung umfasst sie auch Stärkungs- und Schwächungszauber. Ich benutze Magie, seit ich denken kann, und im Alter von zehn Jahren war es intuitiv. Auf diese Weise konnte ich meine eigene Kraft verstärken und einen Mann von mir stoßen, der doppelt so groß war wie ich.

Der Adlige verletzte sich, weil er unglücklich fiel. Ich verletzte mich, weil ich meinen Körper überanstrengte, und die Dinge wurden kompliziert. Zuerst entschuldigten sich die Priester bei dem Adligen und versuchten, mich zu beruhigen, aber nach diesem Vorfall ließ ich niemanden mehr an mich heran, und schließlich blieb den Priestern nichts anderes übrig, als die Besuche zu unterbinden.

Zu dieser Zeit lernte ich, wie ich die Tatsache, dass ich ein Kind und die kostbare Heilige war, ausnutzen konnte. Mir wurde eine Wache zugeteilt, ein Templer namens Luke. Als ich ihn fragte, ob er mich auch halten und berühren wolle, wurde er blass und war so schockiert, dass er eine ganze Weile nichts sagte. Ich nutzte seinen Schock aus, um ihn unter Tränen und Geschrei dazu zu bringen, mir zu helfen. Von da an lehrte mich Luke, wenn auch widerwillig und heimlich, den Nahkampf und die Grundlagen der Schwertkunst.

Die meiste Zeit verbrachte ich in der Bibliothek des Tempels, wo ich Magie studierte, während Luke draußen wartete. Ich durfte allein in der Bibliothek sein, denn es gab keine Bücher, die ich nicht ohnehin lesen sollte. Aber im Gegensatz zu dem, was die Priester von mir wollten, nämlich meine Fortschritte in der Heilmagie, konzentrierte ich mich auf alles andere.

Ich hatte die Heilmagie so oft geübt, dass sie mir in Fleisch und Blut übergegangen war und jede Schnittwunde an meinem Körper in Sekundenschnelle heilte, ohne dass ich etwas dafür tun musste. Außerdem wusste ich bereits, wie ich meinen Körper stärken konnte, und zusammen mit Luke trainierte ich meinen Körper darauf, diese Stärkung zu ertragen. Aber ich wollte mehr. Schließlich war es mein Ziel, den Tempel zu verlassen, und meine Eltern zu finden, und ich wusste, dass ich das nicht allein mit meiner Kraft schaffen würde. Ich war bei weitem nicht stark genug, um Luke zu besiegen, und er sagte mir, dass ich als Frau und Magierin immer schwächer sein würde als er.

Ich begann, mit Magie zu experimentieren, weil ich dachte, dass Geschlecht oder Alter keine Rolle spielen, wenn man ein starker Magier ist. Ich versuchte mich an verschiedenen Angriffszaubern, Elementarzaubern und Telekinese, aber mein Talent beschränkt sich auf die Lichtmagie.

Es war die Ironie meines Lebens, dass ich, die ich mit meiner außergewöhnlichen Begabung für Lichtmagie glänzte, nichts anderes wollte, als mich im Schatten zu verstecken.


 

Zwei Jahre vergingen. Ich war zwölf und meine Tage verliefen nun in einer gewissen Routine. Ich hörte auf, mit Luke zu trainieren, weil er sich weigerte, mir mehr als die Grundlagen der Selbstverteidigung beizubringen, und ich drängte ihn auch nicht dazu, weil ich wusste, dass er es früher oder später der Kirche erzählen würde. Stattdessen verbrachte ich die meiste Zeit mit Meditation. Ich hatte darüber in einem Buch gelesen und es gelang mir, Matthias davon zu überzeugen, dass es mir half, meine Magie weiterzuentwickeln. Natürlich tat ich etwas völlig anderes. Ich benutzte die Meditation als Ausrede, denn um am effektivsten zu meditieren, muss man allein und ungestört sein. Und solange ich gehorsam den weißen Schleier anlegte, um Menschen zu heilen, zu segnen oder einfach nur Matthias zu begleiten und mich von ihm vorführen zu lassen, durfte ich meine Freizeit ungestört verbringen.

Das wurde zur täglichen Routine und selbst Luke steckte seinen Kopf nicht mehr in meine Privatgemächer, sondern schlief vor der Tür oder patrouillierte im Gebäude. Und dann war ich endlich so weit, dass ich mich unbemerkt vom Tempelgelände schleichen konnte.

Die Ironie meines Lebens erwies sich als hilfreich, denn ich lernte etwas, das Matthias und dem Hohepriester vor Schreck die Haare ausfallen lassen würde: Schattenmagie.

In den Kirchenarchiven hatte ich nie etwas über Schattenmagie gelesen, aber ich erinnerte mich an ein Buch, das mein Vater mir vorgelesen hatte. Es war ein Märchen, in dem der Bösewicht, ein dunkler Magier namens Lawrence, sich niemand Geringerem als der Heiligen Lorelai in den Weg stellte. Einer seiner Tricks bestand darin, plötzlich aus dem Schatten aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Aber wie man es auch dreht und wendet, ein Schatten ist nur die Abwesenheit von Licht, und wenn man das Licht kontrolliert, kontrolliert man auch den Schatten.

Das Erste, was ich lernte, war, Schatten zu betreten. Nachdem ich mir einen Schatten wie einen See vorgestellt hatte, wie er im Bilderbuch meines Vaters abgebildet war, konnte ich meine Hand in meinen Schatten stecken. Ich versuchte, Gegenstände hineinzulegen, um zu sehen, was passiert und die Antwort war: nichts. Sie blieben einfach dort, bis ich sie wieder herausholte. Das war sehr nützlich, um etwas vor den Priestern zu verstecken.

Nachdem ich gelernt hatte, Gegenstände aufzubewahren, begann ich zu experimentieren, wie weit ich in meinen Schatten eindringen konnte. Aber obwohl ich nach Belieben hineingreifen konnte, konnte ich nicht völlig darin verschwinden, wie Lawrence es getan hatte. Denn wenn ich in meinen Schatten eintreten würde, würde er verschwinden. Um einen Schatten ganz zu betreten, musste es der Schatten eines anderen sein. Das allein war aber nutzlos für etwas anderes, als sich zu verstecken, denn man kann sich nur in dem Schatten bewegen, in dem man sich befindet. Und an diesem Punkt kam mir meine Schattenmanipulation zu Hilfe. Ich konnte Licht entfernen oder verstärken, um Schatten zu kombinieren, zu erzeugen oder zu verlängern. Damit konnte ich mich praktisch wie der Bösewicht aus dem Buch meines Vaters bewegen.

Als letzte Vorbereitung zog ich die Kleidung an, die Luke mir für das Training besorgt hatte - Jungenkleidung - und eine Maske, die ich aus Buchseiten und Klebstoff gebastelt hatte. Dann verließ ich den Tempel.

An diesem Tag bin ich zum ersten Mal alleine durch die Hauptstadt gelaufen. Libera ist eine Stadt voller Händler, Läden und Ständen, in der es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt. Bei meinem ersten Ausflug war ich so erstaunt über all das, was ich bisher nur durch das Fenster einer Kutsche gesehen hatte, dass ich den Zweck meines Besuches völlig vergaß. Die Zeit verging wie im Flug und ehe ich mich versah, war es dunkel. Ich rannte zurück zum Tempel und ärgerte mich, dass ich mich hatte ablenken lassen.

Ich erfand die Ausrede, ich sei beim Meditieren unter dem Bett eingeschlafen, und bei der nächsten Gelegenheit schlich ich mich wieder hinaus. Diesmal achtete ich darauf, mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Ich sprach mit einigen Leuten in den Außenbezirken, bis ich einen alten Soldaten fand, der früher als königlicher Ritter gedient hatte. Es hieß, er sei aus dem Orden ausgestoßen worden und lebe in einer schäbigen Hütte am Stadtrand. Sein Name war Mydas.

»Du willst, dass ich dich im Schwertkampf unterrichte?!« Er stank nach Alkohol und war von der Idee nicht begeistert.

»Ich werde dich bezahlen.« Ich hielt ihm einen Beutel mit Geld hin, den ich Matthias gestohlen hatte. »Das ist ehrenhafter, als ein Säufer zu sein. Es ist auch besser für deine Gesundheit, wenn du weniger Alkohol trinkst und dich mehr bewegst. Und wenn ich erst einmal ein großer Söldner geworden bin, werde ich dafür sorgen, dass jeder deinen Namen kennt.«

Mydas war so erstaunt über meine großspurigen Worte, dass er mich nicht gleich verjagte. »Du bist mutig, aber ich habe weder die Zeit noch die Geduld, ein Gör wie dich zu unterrichten. Schon gar nicht sollte ein Mädchen Schwertkampf lernen, also schlag dir das aus dem Kopf.« Obwohl er betrunken war, war er aufmerksam genug, um zu erkennen, dass ich ein Mädchen war.

»Wenn ich dich in einem Duell besiege, wirst du mich dann unterrichten?«

»Was?!«

»Wenn ich beweisen kann, dass ich es wert bin, unterrichtet zu werden, obwohl ich ein Mädchen bin, wirst du mich dann unterrichten?«

Mydas, der unter dem Spott seiner unehrenhaften Entlassung litt, nahm das nicht sehr gut auf. Er zog das rostige Schwert, das er noch immer an der Hüfte trug, und hielt es mir unter die Nase. »Du hältst dich wohl für was Besseres. Ich bin zwar kein Ritter mehr, aber das bedeutet nur, dass ich mich nicht an den Kodex halten muss. Und ich glaube nicht, dass es viele gibt, die dich suchen würden.« Er konnte ja nicht wissen, wie falsch er damit lag.

»Ich halte mich nicht für besser. Sonst würde ich dich nicht fragen, ob du mich unterrichtest«, sagte ich selbstbewusst. Ich dachte mir, wer sich nicht um sein Schwert kümmert, denkt auch nicht daran, es zu benutzen. »Ach ja?«, fragte er, aber sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Frustration und Verwunderung über mich, die von seinem Schwert völlig unbeeindruckt war. Trotzdem ließ er es nicht sinken.

»Ich könnte es schaffen, wenn ich dich überrasche. Mit Glück.«

»Ein Glückstreffer also?« Er senkte sein Schwert etwas und warf mir einen misstrauischen Blick zu. »Was macht dich da so zuversichtlich?«

Da sein Schwert immer noch in der Luft schwebte und einen Schatten warf, der mit seinem eigenen verbunden war, brauchte ich nur in ihn einzutreten. In der nächsten Sekunde tauchte ich hinter Mydas auf und griff ihn mit meinem Übungsschwert an. Ich dachte, ich sei schnell, aber Mydas schaffte es, meinen Schlag abzublocken, wenn auch mit einem schockierten Ausdruck auf seinem Gesicht. Er starrte mich eine Weile an, während ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, was ich getan hatte oder nicht. Aber dann sagte er: »Wie heißt du, Gör?«

Eine Frage, mit der ich nicht gerechnet und an die ich nicht gedacht hatte. Meinen Namen konnte ich ihm nicht sagen, aber mir kam schnell ein Name in den Sinn, der viel besser zu mir passte. »Lawrence. Mein Name ist Lawrence.«

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