Tod der Heiligen

XI.

Hm …. Ich betrachte die runden Früchte des Baumes skeptisch. Das sind keine Äpfel. Aber sie sind rund und rot und faustgroß, womit sie nah genug an Äpfeln dran sind.

Ich strecke die Hand nach einer Frucht aus und pflücke sie. Sie fühlt sich weich und samtig an und lässt sich leicht vom Baum lösen. Außerdem stelle ich fest, dass sie lecker aussieht, sobald ich meinen Schleier zurückgeschlagen habe. Ich weiß nicht, wie man sie isst, also beschließe ich probeweise hineinzubeißen.

»Mh!« Ich hebe meine andere Hand an den Mund, da die Frucht saftiger ist als erwartet. Ein klebrig süßer, aber frischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus und ich denke, dass Zucker nicht das schlechteste ist, wenn man den ganzen Tag durch die Wildnis marschiert.

Ich pflücke noch eine Frucht und halte sie Mikail hin. Da ich nebenher esse, sage ich nichts, aber meine Geste sollte offensichtlich sein. Trotzdem starrt Mikail mich an und rührt sich nicht.

Er sieht ein bisschen dämlich aus, denke ich, während ich erneut in meine Frucht beiße. Aber vielleicht ist er beleidigt, weil ich viel besser darin bin, Essen zu besorgen als er. Da er immer so ein ehrenhaftes und nobles Verhalten zur Schau stellt, bin ich neugierig, wie er wohl aussieht, wenn er wütend ist.

Ich schlucke und schenke ihm ein breites Lächeln. »Wollt Ihr sie nicht? Es schmeckt lecker.« Viel leckerer als dein Fisch, über den sich jeder beschwert hat, obwohl du dir so viel Mühe gegeben hast, füge ich in Gedanken hinzu und beobachte Mikails Ausdruck genau.

Er starrt noch immer mich an. Dann huscht sein Blick zu dem Baum und er atmet geräuschvoll aus, so als hätte er bis eben die Luft angehalten. »Ihr seid … wirklich unglaublich, Eure Heiligkeit.« Der geschockte Ausdruck auf seinem Gesicht weicht einem erleichterten Lächeln. »Um ehrlich zu sein, habe ich mir große Sorgen darum gemacht, dass wir nicht genug zu essen finden.« Er sieht wieder zu mir, um mir die Frucht aus der Hand zu nehmen. Dabei schenkt er mir ein so warmes Lächeln, als hätte ich ihm erklärt, er könne jede Frucht an dem Baum allein essen. »Es ist vielleicht nicht angebracht, das zu sagen, aber ich bin sehr froh, dass Ihr hier seid, Eure Heiligkeit.«

Ich bemühe mich um eine gelassene Miene. »Wir sitzen alle im selben Boot und ich sollte mich nicht weniger anstrengen als ihr.«

»Das würde ich nie denken.« Er schüttelt vehement den Kopf. »Ihr tut so viel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, Euch dafür zu danken.«

Was stimmt mit diesem Kerl nicht? Wer hat ihm beigebracht, so ekelhaft nett zu sein? »Das müsst Ihr nicht. Wie schon gesagt, wir sitzen alle im selben Boot.«

Mikails Lächeln wird noch eine Spur breiter und ich habe das ungute Gefühl, dass er dabei ist, eine sehr falsche Vorstellung von mir zu entwickeln.

Er neigt den Kopf zu einer höflichen Verbeugung in meine Richtung, bevor er sich abwendet, um die Frucht, die ich ihm gegeben habe, seiner Schwester zu geben, die mich mit einem ähnlichen Ausdruck ansieht, wie Mikail zuvor. Dann holt er zwei weitere für Estella und Hilena, die offenbar nicht selbst auf die Idee gekommen sind, sich welche zu pflücken.

Die Männer sind dabei weniger zurückhaltend.

»Wieso ist dir das nicht früher eingefallen, Lorelai?«, fragt Eden, der gleich zwei Früchte für sich selbst vom Baum geholt hat.

»Ich würde jetzt und sofort dem Tempel beitreten«, säuselt Jake mit vollem Mund, während Dalton still beim Essen weint.

Währenddessen brät Mikail die Fische, um sie nicht zu verschwenden, obwohl sich die anderen kaum noch dafür interessieren.

Ich sitze ihm gegenüber und beobachte sein Gesicht während ich esse, aber er scheint kein bisschen verärgert über die Situation zu sein.

»Das ist der beste Pfirsich, den ich je gegessen habe.«

Ich sehe Jake an. »Ihr kennt diese Früchte?«

Er hält inne und sieht mich überrascht an. »Natürlich kenne ich Pfirsiche. Sagt bloß, Ihr habt vorher noch nie einen gegessen.«

Ich lege den Kopf schief, da es offenbar eine wohlbekannte Frucht zu sein scheint. Was bedeutet, es ist eine teure Frucht, die nur Adlige essen, weil sie für normale Menschen zu teuer ist, weshalb auch der Hohepriester es sich spart, mich damit zu versorgen. Nichts ist leichter als das für ihn, da er als Hohepriester bestimmt, an welche Diät ich mich halten muss. Diese Diät ist auch der Grund, warum ich außerhalb des Tempels eigentlich nichts essen darf.

»Ich fürchte, ich hatte bisher noch nie die Gelegenheit dazu«, erwidere ich so beiläufig wie möglich, während ich mich darüber ärgere, Jake nach der Frucht gefragt zu haben.

»Ihr habt noch nie einen Pfirsich gegessen?«, fragt Annabella und sieht mich mit großen Augen an und auch die anderen sehen mich überrascht an.

»Ich esse für gewöhnlich nichts außerhalb des Tempels«, antworte ich ausweichend, obwohl der Tempel sein Essen natürlich von außerhalb bezieht.

»Mir war nicht bewusst, dass Ihr eine so strenge Diät haltet«, sagt Estella und ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber ihre Stimme und die Art wie sie mich ansieht, wirkt kühler als zuvor.

»Das ist lächerlich«, sagt Eden mit abfälliger Stimme. »Sobald wir zurück in Libera sind, werde ich dafür sorgen, dass du Körbe an Pfirsichen erhältst. Es ist beschämend, dass unserer Heiligen nicht einmal dieser kleine Luxus gewährt wird.«

»Das ist zu gütig, Euer Hoheit, aber - «

»Kein Aber!« Eden hebt abwehrend seine Hand mit dem angebissenen Pfirsich. »Ich habe gesehen, was du eine Mahlzeit nennst. Aber ich habe gutgläubig angenommen, dass man dir wenigstens ab und zu etwas Anständiges zu essen serviert. Es ist wirklich kein Wunder, dass es dir so schlecht geht. Ich werde ein ernstes Wörtchen mit dem Hohepriester reden!« Er klingt so stolz, dabei kann er dem Hohepriester gar nichts sagen, selbst wenn er es wirklich wollte.

»Wie Ihr wünscht, Euer Hoheit«, sage ich und widme mich schnell wieder meinem Pfirsich. Auf diese Weise muss ich ihn nicht anlächeln, obwohl ich meinen Schleier nicht trage.

Eden räuspert sich. »Es gibt auch andere Dinge, die ich dir schicken lassen kann. Du musst nur fragen.«

Da mein Mund voll mit Pfirsich ist, habe ich eine gute Ausrede, um nicht zu antworten.



 

Als wir uns schließlich wieder auf den Weg machen, kommen wir deutlich schneller voran als gestern. Was, wie ich vermute, daran liegt, dass alle satt sind. Mikail und Dalton haben ihre Jacken zu Taschen umfunktioniert, um so viele Pfirsiche wie möglich mitzunehmen, aber der Zucker hat wohl nicht nur dazu geführt, dass alle mehr Energie zum Gehen haben.

Ich reite wieder an der Spitze, aber ich kann Hilena und Jake streiten hören und das, obwohl Annabella eifrig dabei ist, mir von einem ihrer Bücher zu erzählen. Es geht um einen Prinzen, der inkognito durchs Land reist und sich in die Tochter eines armen Barons verliebt, ohne zu verraten, wer er ist. Für mich klingt die Geschichte aber nicht anders, wie die von der Annabella mir das letzte Mal erzählt hat. Wieso muss es immer ein Prinz sein?

»… und wisst Ihr, was er dann gesagt hat?« Annabellas Stimme klingt etwas höher vor Aufregung. »Er sagt zu ihrem Vater, dass er alles nur getan hat, um zu beweisen, dass er würdig ist, um die Hand seiner Tochter zu bitten.«

Ich blinzle. Bisher habe ich Annabella nur mit mäßigem Interesse zu gehört, aber der letzte Satz lässt mich aufhorchen. »Ihre Hand?«, frage ich, überrascht von der plötzlichen Wendung der Geschichte. »Wie übel, jemanden so höhnisch zu bedrohen.« Anscheinend ist der Prinz der eigentliche Bösewicht der Geschichte, der sich hinter Lügen und Betrug versteckt hat und nun vom Baron verlangt, seine eigene Tochter zu verstümmeln. Ich verstehe zwar nicht, was er von einem armen Baron will, aber er ist offensichtlich ein Mann, der es genießt, andere leiden zu lassen. Jedenfalls kommt mir die Geschichte jetzt sehr viel realistischer vor.

»V-Verzeihung?« Annabella sieht mich erschrocken an, dabei habe ich gerade angefangen, die Geschichte interessant zu finden. »Wieso bedrohen?«

»Es ist sehr kaltherzig, den Baron zu zwingen seine eigene Tochter zu verstümmeln, und es dann auch noch so zu formulieren.« Für meinen Geschmack war die Vorgeschichte etwas zu lang, aber vielleicht liegt es an ihr, dass ich diese Wendung nicht erwartet habe.

»Wie?! Nein, er will sie nicht verstümmeln!«, ruft Annabella plötzlich und wedelt aufgeregt mit den Händen. »Er will sie heiraten.«

Ich runzle die Stirn. »Aber Ihr habt gesagt, er wollte ihre Hand.«

»N-Nein, das sagt man nur so.« Sie sieht Hilfe suchend zu ihrem Bruder, der neben ihr geht.

»Es ist eine Redewendung, Eure Heiligkeit«, erklärt er mit ruhiger Stimme. »Wenn ein Mann um die Hand einer Frau bittet oder um ihre Hand anhält, bedeutet das, dass er darum bittet, sie heiraten zu dürfen.«

»Oh«, mache ich. Da ich mit Annabella rede, habe ich meinen Schleier zurückgeschlagen und jetzt weiß ich nicht so recht, was für ein Gesicht ich machen soll. Es ist etwas peinlich, aber gleichzeitig, nervt es mich, dass Adlige ständig in ihrer gehobenen umständlichen Art sprechen müssen. Außerdem bin ich enttäuscht, dass die Geschichte doch genauso langweilig endet, wie ich erwartet habe.

Ich räuspere mich. »Macht man das so? Aber wenn er sie heiraten will, wieso fragt er ihren Vater?«

»Um seinen Segen zu bekommen«, antwortet Mikail sofort und es scheint, auch das ist etwas Selbstverständliches. »Jeder gute Vater will sichergehen, dass seine Tochter in guten Händen ist.«

Schon wieder Hände, denke ich verdrossen. Außerdem scheinen Frauen für Adlige zu Gegenständen zu werden, wenn es ums Heiraten geht.

»Verzeiht mir, Eure Heiligkeit, ich hätte mich besser ausdrücken sollen.« Sie macht ein betrübtes Gesicht und ich denke, dass sie ihrem Bruder ähnelt.

»Das ist es nicht, ich weiß nur nicht viel über Heirat und dergleichen«, murmle ich und wünschte, ich hätte nicht nachgefragt.

»Keine Sorge, Eure Heiligkeit«, ertönt plötzlich eine Stimme hinter uns und ich sehe über die Schulter zu Hilena. Sie schenkt mir ein eigenartig erzwungenes Lächeln. »Da seid Ihr nicht die Einzige.« Sie wirft Jake, der neben ihr geht einen bedeutungsvollen Blick zu.

Es hebt meine Laune nicht gerade, mit einem Alistair auf dieselbe Stufe gestellt zu werden.

»Wirklich?«, gibt er mit einem Schnauben zurück. »Nur weil ich nicht dieselben romantischen Vorstellungen habe wie du?«

Und sie beginnen wieder zu streiten.



 

Wir machen am Nachmittag eine Pause und ich bin froh, mich mit der Entschuldigung, mir die Beine zu vertreten, von den anderen entfernen kann. Meinen Hirsch nehme ich mit, da ich ihn nicht aus den Augen lassen kann, ohne einen Schlaf-Debuff auf ihn zu wirken, weil er sonst wegläuft.

Ich habe eine Barriere um die anderen erschaffen, nur um sicherzugehen, denn ich spüre keine Monster in der unmittelbaren Nähe. Da ich viele von ihnen getötet habe, werden sie wohl gemerkt haben, dass etwas Starkes aufgetaucht ist und sind auf der Hut. Das ist gut, aber ich hoffe, das niemand infrage stellt, weshalb wir plötzlich keine Monster mehr treffen. Ich will Jake ungern einen Grund geben, sich wieder an seine Begegnung mit Lawrence zu erinnern.

Hm? Ich bleibe stehen, als ich plötzlich mehrere Präsenzen spüre, die sich schnell nähern. Flieger-Typ Monster? Sie sind meine Lieblingsmonster, da ich ihrer Fähigkeit zu fliegen meine Teleportation entgegensetzen kann und mir Luftkämpfe Spaß machen. In diesem Fall ist es jedoch ein entscheidender Nachteil, dass sie so schnell und unvorhersehbar auftauchen. Denn obwohl meine Barriere meine Begleiter verdeckt, macht sie sie nicht unsichtbar und für Fliegertypen spielt es nicht so eine große Rolle, wenn ihre Beute stärker ist als sie, solange sie nicht fliegen kann.

Ich lenke meine Schritte wieder in die Richtung, aus der ich gekommen bin, während ich darauf hoffe, dass die Monster uns übersehen.

Ich habe den Rastplatz noch nicht erreicht, aber durch die Bäume erhasche ich einen Blick auf die Monster.

»Gargoyle«, murmle ich, als ich sie endlich identifizieren kann. Sie sind zu nah und das ist nicht das einzige Problem. Es befinden sich nur sieben Menschen in meiner Barriere.

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