Valoa Delantella hat sein Leben lang geglaubt, dass ein schlauer Kopf der Weg zu unanfechtbarer Macht ist. Seit er als Junge festgestellt hat, dass er eine ungewöhnlich schnelle Auffassungsgabe und einen klaren Verstand besitzt, und wie begabt er darin ist, andere Menschen zu seinem Vorteil zu manipulieren. Es war diese Überzeugung, die ihn von dem geächteten Bastard und Sohn einer Magd, zum Großherzog von Valiante und dem mächtigsten Mann im Land gemacht hat. Und auch danach, hat er fest daran geglaubt, dass er es mit einem Gegner wie dem Thelenischen Reich aufnehmen kann, wenn er sich nur geschickt anstellt. Er hat sich eingebildet, jemand zu sein, für den jeder einen gewissen aus Furcht resultierenden Respekt empfindet.
Das tut er noch immer, aber es gibt einen gravierenden Unterschied. Nämlich den, dass er in jüngster Vergangenheit am eigenen Leib verspüren durfte, wie es sich anfühlt einen aus Furcht resultierenden Respekt gegenüber einer anderen Person zu verspüren. Es ist nicht das erste Mal, dass Valoa Furcht empfunden hat, aber es ist das erste Mal, dass er sich im Angesicht dessen so vollkommen machtlos gefühlt hat.
»Worüber denkt Ihr nach, Euer Gnaden?« Mura steht wie gewöhnlich hinter Valoa, während dieser auf einer der äußerst unbequemen Bänke des Trainingsgeländes sitzt und mit den Ellbogen auf den Knien aufgestützt, hoch konzentriert das Geschehen beobachtet.
Seit Yuna mit Lionell Estrada und Diana von Warrenheim von ihrem Ausflug in den Norden zurückgekehrt ist, verbringt sie so gut wie jede Minute hier und Valoa wollte sich davon überzeugen, das alles in Ordnung ist. Yuna hat erklärt, dass sie ihre Kraft nicht mehr unter Kontrolle hat und nur der Gedanke daran, gibt ihm eine Gänsehaut.
»Siehst du das, Mura?« Valoas Augen schmälern sich, während er Yuna mit noch mehr Intensität beobachtet als zuvor. Zwischen seinen Soldaten fällt Yuna durch ihren kleinen und zierlichen Körperbau auf. Das heißt, das würde sie, würde sie nicht vorher dadurch auffallen, dass sie all seine Männer mit Leichtigkeit auseinandernimmt. »Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so sehr gewollt«, murmelt Valoa mehr zu sich selbst als zu Mura, während sich das mittlerweile vertraute Gefühl von Unterlegenheit in ihm ausbreitet und ihm vor Augen führt, dass er nie etwas mehr gehasst hat, als das Gefühl von Unterlegenheit und Machtlosigkeit.
Mura räuspert sich etwas unbehaglich. »Sprecht Ihr von Mademoiselle Yuna?« Er räuspert sich erneut. »Mir war nicht bewusst, dass Ihr so für sie empfindet, Euer Gnaden.«
Valoa blinzelt. Dann verzieht er das Gesicht und nimmt den Blick von Yuna, um Mura verärgert anzusehen. »Was ich empfinde, ist Neid und Unterlegenheit, Mura, und nichts anderes.«
Mura senkt den Kopf. »Vergebt mir, Euer Gnaden.«
»Du solltest wissen, dass ich viel zu eitel bin, um mich in eine Frau zu verlieben, die in so vielen Dingen besser ist als ich.«
»Verzeiht, wenn ich Euch widerspreche, Euer Gnaden, aber in meinen Augen seid Ihr es, der Mademoiselle Yuna in so vielem übertrifft. Euer politisches Geschick, Euer scharfer Verstand und Eure Menschenkenntnis, um nur ein paar zu nennen.«
Valoa reibt sich das Kinn, nach wie vor mit düsterer Miene, aber doch um einiges zufriedener. »Selbst wenn du recht haben solltest, all diese Eigenschaften sind nur ein Mittel zum Zweck. Wenn du dir Mademoiselle Yuna jetzt ansiehst, denkst du, sie ist auf eines dieser Mittel angewiesen?« Er deutet auf Yuna, die gerade den Anführer seines Spähtrupps mit einem Fußtritt zu Boden befördert.
Mura zieht mit gerümpfter Nase die Luft ein. »Nicht alle Konflikte lassen sich mit Gewalt lösen.«
Valoa schüttelt mit einem Seufzen den Kopf und verschränkt die Arme vor der Brust, während er den Blick wieder auf Yuna richtet. »Das gilt vielleicht für uns Menschen, aber ich beginne zu glauben, dass Mademoiselle Yuna keine Probleme hätte, nach Velion zu marschieren und dem Kaiser den Kopf mit bloßen Händen abzureißen. Auch wenn sie das natürlich nie tun würde.«
»Seid Ihr sicher, sie wäre dazu in der Lage? Ihr wisst doch, wer den Kaiser bewacht.« Mura klingt skeptisch, aber Valoa lächelt. »Ja, aber ich bin auch parteiisch. Ich würde einiges dafür geben zusehen zu dürfen, wie jemand diesen arroganten Aposteln in den Allerwertesten tritt.«
Ohne ihn ansehen zu müssen, weiß Valoa, dass Mura sich nervös umsieht, als fürchte er, es könnte jeden Moment jemand auftauchen und Valoa der Blasphemie beschuldigen. »Denkt Ihr nicht, Ihr überschätzt Mademoiselle Yuna?«, fragt er mit gesenkter Stimme.
»Nein«, antwortet Valoa in genau derselben Lautstärke wie zuvor. »Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass ich sie unterschätze.« Seine Augen sind noch immer auf Yuna gerichtet und er schnaubt leise, als ihr Blick zu ihm huscht und er seine Vermutung bestätigt sieht, dass sie ihnen zuhört. Besonders das Wort ‚Aposteln‘ hat ihre Aufmerksamkeit auf sie gezogen. »Was denkt Ihr, Mademoiselle?«
Yunas Blick verweilt auf ihm, während sie mit einem Schlenker ihres Handgelenks einen seiner Männer entwaffnet. Sie neigt den Kopf leicht zu Seite, als würde sie über seine Frage nachdenken. Dann geht sie auf ihn zu.
Die Männer, mit denen sie eben noch gekämpft hat, scheinen es als eine Chance zu sehen, dass Yuna abgelenkt ist, aber ihre Angriffe werden von ihr mit solch einer Leichtigkeit abgewehrt, als hätte sie sich zuvor überhaupt keine Mühe gegeben.
Valoa kann den Frust seiner Männer förmlich spüren. Nicht nur geht Yuna weiter auf Valoa zu, ohne sich dabei für eine Sekunde aufhalten zu lassen, ihr blasses Gesicht und ihre Kleidung sehe nicht so aus, als wäre sie schon seit mehreren Stunden auf dem Trainingsgelände. Keine geröteten Wangen, kein Schweiß, kein keuchender Atem und nicht ein Fleck auf ihrer weißen Bluse. Sie hat ihre Ärmel hochgekrempelt und auch die Tatsache, dass ihre unversehrten Unterarme so dünn sind, ist auf irritierende Weise frustrierend.
»Was ist ein Apostel?«, fragt sie, kaum dass sie vor Valoa zum Stehen gekommen ist.
Valoa lächelt. »Wie ich sehe, seid Ihr nicht hergekommen, um meine Frage zu beantworten, sondern um mir eine zu stellen.«
Yuna sieht ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. »Ihr unterschätzt mich.«
Kurz und auf den Punkt, denkt Valoa. »Wenn Ihr Euch dafür interessiert, einen Apostel zu treffen, kann ich eine Reise nach Velion organisieren.«
»Geht es mit Eurer Suche so schlecht voran?«
»Haha!« Valoa lacht, um zu verdeutlichen, dass seine Worte als Witz gemeint waren. »Natürlich nicht. Ihr wisst, dass Micky bereits auf dem Weg hierher ist.«
Yuna nickt knapp. In diesem Moment wirkt sie so kühl und beherrscht wie eh und je und man würde nicht meinen, dass sie noch vor kaum ein paar Wochen eine Tür aus den Angeln gerissen und die Hand des jungen Raymond zerquetscht hat.
Valoa seufzt. »Die Apostel sind Berater und Beschützer des thelenischen Kaisers. Die Sonnenkirche bezeichnet sie als Gesandte ihres Gottes, die durch seine Macht übermenschliche Kräfte und ein langes Leben erhalten. Ähnlich wie Ihr also.«
»Ich verstehe.« Sie wendet sich ab, als wäre nun alles Wichtige geklärt.
»Wartet!« Obwohl es nicht das erste Mal ist, kann Valoa sich nicht daran gewöhnen, einfach so sitzen gelassen zu werden. Es führt ihm wieder vor Augen, dass Yuna, auch wenn sie stets höflich mit ihm spricht, seinem Titel absolut keinen Wert beimisst.
Yuna hält inne und sieht ihn fragend an.
»Ich dachte mir, da Ihr ohnehin hier seid und Euer Schwert schwingt, könnten wir beide von der Situation profitieren, wenn Ihr meinen Männern etwas beibringt.« Valoa breitet mit einem einladenden Lächeln die Arme aus. »Anstatt sie nur zu verprügeln.« Sein Blick zuckt zum Rand des Trainingsgeländes, wo sich ein paar seiner Soldaten versammelt haben, die nicht so aussehen, als würden sie noch weiter trainieren wollen.
Yuna hebt eine Braue zu einem uncharakteristisch aussagekräftigen Gesichtsausdruck. »Ich soll Eure Männer unterrichten?«, fragt sie und Valoa könnte schwören, er hört einen spöttischen Unterton darin. »Ist das eine zu große Herausforderung für Euch?«
»Nein, aber ich bin streng bei der Auswahl meiner Schüler.«
»Ich habe Vertrauen in meine Männer.« Von Blavots Bericht über die letzte Worenjagd weiß Valoa, dass Yuna seinen Männern und Sorobos im Besonderen das ein oder andere gezeigt hat. Wenn auch nicht unbedingt im klassischen Sinne.
Yuna mustert ihn einen Moment. Dann lässt sie sich neben ihm auf der Bank nieder. »Von mir aus. Wen schlagt Ihr vor?«
Valoa blinzelt überrascht. Er hat nicht erwartet, dass sie so schnell zusagen würde. »Mura«, sagt er, da er neben ihm steht und ihm als Erster einfällt.
»Euer Gnaden?!«
Valoa hört die Empörung in Muras Stimme, aber er sieht Yuna an.
Sie nickt und richtet ihren Blick auf Mura. »Dann demonstriert bitte einen einfachen vertikalen Streich mit Eurem Schwert, Monsieur Mura.« Sie deutet auffordernd auf den Platz vor der Bank. Da sie den Blick dabei wieder nach vorn richtet, entgeht ihr, wie Mura sie verärgert anfunkelt. Aber auf Valoas Räuspern hin tritt er schließlich vor.
»Einen einfachen vertikalen Streich?«, fragt er mit einem skeptischen Blick auf Yuna, während er sein Schwert zieht.
Sie nickt.
Mura zuckt mit den Schultern, hebt sein Schwert in die Luft und zieht es dann in einer schnellen Bewegung nach unten.
Für Valoas Augen sah der Schwertstreich gekonnt und sicher aus, aber Yuna verzieht keine Miene. »Nein.«
»Nein?«, wiederholt Valoa, während Mura ihr einen beleidigten Blick zuwirft. »War das nicht das, was Ihr wolltet?«
»War es, aber ich werde ihn nicht als Schüler annehmen.«
Valoa sieht sie verdutzt an. »Das reicht Euch, um ihm nichts beibringen zu wollen?«
Yuna richtet ihren Blick auf Valoa. »Was glaubt Ihr, ist der ausschlaggebende Faktor für einen Lehrer, um einen Schüler unterrichten zu wollen?«
Valoa runzelt die Stirn. »Talent?«
Yuna neigt den Kopf zur Seite. »Für die, die Schüler nur für den Erfolg ausbilden vielleicht, wobei ich persönlich Leidenschaft und Fleiß bevorzuge. Aber nach meinem Maßstab ist das eine Voraussetzung, während Talent ein Bonus ist.«
Valoa mustert sie mit Interesse. Sie ist für gewöhnlich wortkarg und schwer zu beeindrucken, aber nicht nur scheint es, dass diese Erklärung länger wird als eine knappe Antwort auf seine Frage, der Blick in ihren Augen wirkt auch um einiges weniger kühl. Er würde nicht so weit gehen und behaupten, sie würde die Unterhaltung genießen oder gar aufgeregt sein. Aber sie macht den Eindruck, als wäre dies das interessanteste Gespräch, dass sie je mit ihm hatte. »Was ist der ausschlaggebende Faktor?«
»Verständnis. Lehrer und Schüler müssen dasselbe Verständnis davon haben, wie ein Schwert geführt werden sollte.«
Valoa nickt. »Ja, das scheint mir von erheblicher Bedeutung zu sein. Aber seid Ihr sicher, dass Ihr Muras Verständnis der Schwertkunst nach nur einem Streich einschätzen könnt?«
»Ja.« Ihre Antwort kommt so prompt und voller Überzeugung, dass jegliche Widerworte überflüssig erscheinen.
»Nun gut«, sagt Valoa und beschließt, die Schlichtheit ihrer Prüfung vorerst nur auszunutzen. »Da Ihr so ein gutes Auge habt, werdet Ihr kein Problem haben, jeden meiner Männer einzuschätzen.« Ohne auf Yunas Zustimmung zu warten, winkt er dem Mann zu, der ihnen am nächsten steht, um ihn aufzufordern, es Mura nachzutun.
Da sich gut 30 Männer auf dem Trainingsgelände befinden, hält Valoa die Chance für hoch, dass wenigstens einer von ihnen, Yunas Ansprüche erfüllen würde, doch sie lehnt jeden einzelnen ab, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und das irritiert nicht nur Valoa.
Seine Männer legen all ihre Mühen in diesen Streich, indem sie ihn besonders kraftvoll ausführen, auf einen sicheren Stand achten oder eine perfekte Kontrolle über den Schwung demonstrieren. Einige schießen sogar übers Ziel hinaus und während ein Mann so viel Kraft in seinen Streich legt, sodass ihm das Schwert aus den Händen rutscht und sich in die Trainingspuppe ihm gegenüber bohrt, schafft es ein anderer, sich beinah das eigene Bein abzuschlagen. Aber Yunas Antwort ändert sich nicht, bis schließlich nur noch zwei Männer auf dem Platz übrig sind, die noch nicht an der Reihe waren.
Der erste ist Lionell, der mit Diana auf einer anderen Bank sitzt und ausgesprochen froh darüber zu sein scheint, dass ihm keine Beachtung geschenkt wird. Der zweite ist Sorobos, der in der Nähe steht, den Blick fest auf Yuna gerichtet und Valoa kann beim besten Willen nicht sagen, ob es ein bewundernder Blick ist oder ob er sich gerade vorstellt, wie er Yuna den Hals umdreht.
»Lionell Estrada, wieso wagt Ihr nicht einen Versuch?« Valoa macht eine einladende Geste in Lionells Richtung und genießt den verschreckten Ausdruck, der daraufhin auf dem Gesicht des jungen Mannes erscheint.
»Wolltet Ihr nicht, dass ich Euren Männern etwas beibringe?«, fragt Yuna, offenbar verwirrt darüber, dass er einen von Frederics Männern vorschlägt.
»Das will ich, aber nachdem Ihr all meine Männer abgelehnt habt, bin ich zuversichtlich, dass Ihr auch ihn ablehnen werdet. Ihr dürft mir diese Genugtuung nicht vorenthalten.«
»Habe ich Euren Stolz verletzt?«
»Das habt Ihr«, erwidert Valoa mit einem Lächeln, wobei er insgeheim die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat. Immerhin war sein bester Kämpfer noch nicht an der Reihe, sein bester Kämpfer, für den Yuna zudem eine Schwäche hat.
»Monsieur Estrada hat kein Interesse daran Schwertkampf zu erlernen, daher hat er sich selbst bereits ausgeschlossen«, sagt Yuna.
Valoas Blick huscht zu Lionell und er schnaubt leise. Trotz Yunas Worten, oder vielleicht gerade deswegen, macht Lionell ein beleidigtes Gesicht. Was aber wohl eher weniger mit der verpassten Chance Yunas Schüler zu werden zusammen hängt. Und Valoa ist aufs neue überrascht, dass ein fähiger und intelligenter Mann wie Lionell, so wenig Kontrolle über seine Gefühle hat. Seine Geliebte sitzt neben ihm und doch sieht er Yuna mit einem so eindeutigen Blick an, dass man es schon dreist nennen könnte.
Valoa sieht Diana an. Sie hat es definitiv bemerkt, scheint davon jedoch nicht allzu betroffen zu sein. Es ist eigenartig, denn die Situation sollte aus mehreren Gründen erniedrigend für Diana sein und Valoa darf erneut feststellen, dass Diana eine Frau von erstaunlicher Selbstkontrolle und Disziplin ist. Oder, und dieser Gedanke lässt Dianas Gelassenheit plötzlich kaum noch merkwürdig wirken, ihre Liebe für Lionell ist nie besonders tief gewesen. Immerhin ist sie mit Frederic verheiratet und wer würde sich in ihrer Situation nicht auf eine Affäre einlassen, und wenn es nur darum geht, die Nächte mit einem attraktiven, jungen Mann zu verbringen.
Dianas Blick richtet sich auf ihn und sie hat tatsächlich die Nerven seinen Blick unerschrocken zu erwidern.
Valoa lacht leise. »Nun, dann bleibt mir wohl nur noch eine letzte Chance.« Er dreht den Kopf, um zu Sorobos zu sehen und auch Yuna sieht in seine Richtung, als hätte sie die ganze Zeit darauf gewartet, dass er vortritt.
Aber Sorobos bleibt, wo er ist, als fühle er sich nicht angesprochen. Wie üblich tut er nie, was man ihm sagt.
»Hast du Angst, dass Mademoiselle Yuna auch dich ablehnt?«, fragt Valoa in der Hoffnung ihn auf diese Weise zu provozieren.
Damit hat er jedoch nicht mehr Glück als zuvor, denn Sorobos’ Blick liegt auf Yuna, als hätte er Valoa nicht gehört.
Mura flucht leise, aber selbst er hat mittlerweile aufgegeben, Sorobos für sein Verhalten zu kritisieren.
»Ich kenne seine Fähigkeiten bereits«, sagt Yuna und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Valoa. »Ich denke, er spart sich die Mühe, weil er weiß, dass meine Antwort Nein lautet.«
Valoa, der nicht vorhatte, Sorobos davonkommen zu lassen, sieht Yuna entgeistert an. »Ich hatte den Eindruck, ihr beide versteht euch so gut wie sonst keiner.«
Yuna legt den Kopf schief, eine kleine Falte auf der Stirn. »Ich habe nie einen Menschen getroffen, den ich weniger verstehe.«
Valoa sieht von ihr zu Sorobos und wieder zu ihr. »Das heißt, von all meinen Männern, die hier versammelt sind, teilt nicht einer Euer Verständnis von Schwertkunst? Darf ich fragen, wie Ihr das nach nur einem Streich feststellen konntet?«
»Sie waren grauenvoll.«
Valoa blinzelt verdutzt. »Verzeihung? Ihr fandet sie grauenvoll?«
Sie nickt.
»Ich dachte, es geht Euch nicht um Talent.«
»Tut es nicht, aber wenn ich sehe, wie Männer, die seit Jahren Schwertkampf trainieren, selbst den grundlegendsten Streich nicht ordentlich ausführen können, weiß ich, dass sie den Grundlagen keine Bedeutung beimessen. Aber ich halte die Grundlagen für enorm bedeutungsvoll.«
Valoa, der nie sonderlich viel Interesse an Schwertern hatte, fällt dazu nichts ein. Für ihn sahen die Schwertstreiche seiner Männer angemessen aus. Er sieht Mura an.
»Darf ich fragen, was genau Ihr an meinem Schwertstreich zu bemängeln habt?«, knurrt Mura und bei seinem Gesichtsausdruck würde es Valoa nicht überraschen, wenn er ihr gleich seinen Handschuh an den Kopf wirft.
»Er war amateurhaft.«
»Bei allem Respekt, Mademoiselle, Ihr sprecht von einem einfachen vertikalen Schwertstreich, der in einem echten Kampf zu vorhersehbar und damit leicht abzuwehren ist. Kein Geschick der Welt kann daran etwas ändern.«
»Wenn Ihr das sagt.« Yuna begegnet Muras glühendem Blick mit kühler Gelassenheit. »Wie ich gesagt habe, unterscheidet sich Euer Verständnis von meinem. Euch geht es nicht darum, Euer Schwert zu beherrschen, sondern darum Eure Gegner zu überwältigen.«
Valoa schürzt die Lippen. Er fragt sich, ob Yuna ihre Worte absichtlich so gewählt hat, dass sie Mura provozieren. »Wie wäre es, wenn Ihr uns demonstriert, wie Ihr einen einfachen vertikalen Streich ausführen würdet?«, schlägt er vor, bevor Mura noch Dampf aus den Ohren kommt.
Yunas Blick richtet sich auf ihn. Sie sieht ihn einen Moment lang an, als würde sie darüber nachdenken. »Unter den Umständen wäre es wohl unhöflich abzulehnen.«
»Wie überraschend.«
Yuna, die bereits Anstalten gemacht hat, aufzustehen, hält inne. »Es ist kein großer Aufwand.«
Valoa lacht leise. »Oh, es überrascht mich nicht, dass Ihr annehmt.«
»Sondern?«
»Hm, ich bin nicht sicher«, erwidert er und legt sich in gespielter Nachdenklichkeit eine Hand ans Kinn.
Yuna sieht ihn abwartend an und Valoa hebt die Hände. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob es mich mehr überrascht, dass Ihr wisst, dass Ihr unhöflich seid oder dass es Euch kümmert.«
Ihr Blick verweilt noch einen Moment auf ihm, ohne dass sie dabei eine Miene verzieht, dann wendet sie sich ab, um sich dort hinzustellen, wo Mura und die anderen Männer ihren Schwertstreich vorgeführt haben.
»Das, was Euch fehlt, Monsieur Mura, ist Technik«, sagt sie, ohne ihr Schwert zu heben. »Ohne Technik ist Eure Schwertkunst nicht mehr, als das bloße Wiederholen von Bewegungen, die kein bestimmtes Ziel verfolgen.«
Mura schnaubt. »Welche Technik erwartet Ihr bei einem einzelnen Streich?«
»Das ist egal.« Sie packt ihr Schwert mit beiden Händen und hebt es in die Luft. »Aber Ihr solltet wissen, was Euer Streich verkörpern sollte. Geht es Euch darum, schnell zu sein.«
Valoa starrt Yuna an. Er ist sich sicher, nicht geblinzelt zu haben, aber plötzlich hält Yuna das Übungsschwert gesenkt.
Yuna hebt das Schwert wieder. »Geht es um Schärfe.« Auch diesmal sieht Valoa nicht wie sie das Schwert nach unten schwingt, aber er hört ein leises Zischen, als würde die Luft zerschnitten und eine Gänsehaut breitet sich auf seinen Armen aus. Zu Yunas Füßen ist nun eine feine Linie zu sehen, die sich in den Sand gegraben hat, und das, obwohl ihr Schwert den Boden nicht berührt hat. Er schluckt.
Neben sich hört er, wie Mura scharf die Luft einzieht und er muss sich nicht umsehen, um zu wissen, das jedes einzelne Augenpaar auf Yuna gerichtet ist, die ein weiteres Mal ihr Schwert hebt.
»Um Schwere.«
Ein kraftvoller Wind wirbelt den Sand auf und bläst Valoa die Haare aus dem Gesicht und er kann nicht glauben, dass sie jedes Mal dieselbe Bewegung durchführt.
»Oder geht es darum, Euren Gegner zu verwirren.« Yuna schwingt ihr Schwert erneut und im ersten Moment ist Valoa überrascht, dass er es sehen kann. Dann stellt er fest, dass er mehrere Versionen des Schwerts sieht, die alle der Bewegungskurve folgen, bevor sie sich am Endpunkt wieder zu einem Schwert vereinen.
Er blinzelt, aber natürlich ist der unwirkliche Anblick schon vorbei.
»Ohne eine Technik sind Eure Bewegungen leer und schwach«, sagt Yuna und geht nun auf eine der Trainingspuppen zu. »Und um eine Technik zu verstehen, müsst Ihr an den Grundlagen arbeiten und ein starkes Fundament bauen.« Sie hebt das Übungsschwert. »Dann ist auch ein einfacher vertikaler Streich nicht mehr so leicht abzuwehren.«
Die Trainingspuppe bricht entzwei.
Valoa spürt, wie sich seine Augen weiten. Er ist sich sicher, dass Yuna ein Übungsschwert in der Hand hält. Ein stumpfes Holzschwert. Aber die Trainingspuppe bricht auseinander, als wäre sie von etwas sehr Scharfem gespalten worden. Er kann sich nicht einmal daran erinnern, welches Geräusch er beim Aufschlag gehört hat, ob er überhaupt ein Geräusch gehört hat.
»D-Das – Ihr habt übermenschliche Kräfte. Kein Mensch kann das!«, platzt Mura mit zitternder Stimme heraus.
Yunas Blick richtet sich auf ihn. »Wenn das Eure Schlussfolgerung ist.«
Mura ballt die Fäuste und Valoa kann hören, wie er mit den Zähnen knirscht. Denn Yunas Worte klingen wie eine Bekräftigung ihrer Entscheidung, ihn nicht zu unterrichten.
»Mach das nochmal.«
Als Valoa seinen Blick wieder auf Yuna richtet, wird sein Blick von Sorobos versperrt.
»Nein«, antwortet Yuna, als wäre sie von Sorobos’ Forderung nicht weiter überrascht.
»Ich will es noch einmal sehen!«, beharrt er.
»Ich habe gesagt, ich unterrichte dich nicht.«
»Dann sag es jetzt nicht mehr.«
»Doch!«
»Wieso? Ich bin besser als die anderen.« Sorobos klingt so leidenschaftlich, das man nicht glauben würde, wie desinteressiert er noch vor einer Weile war. Auf der anderen Seite gibt es wohl kaum eine Person, die nach so einer Vorführung nicht beeindruckt wäre.
»Vielleicht was Talent und Leidenschaft angeht, aber dafür fehlt dir etwas, dass jeder andere besitzt.«
»Was?«
»Respekt!« Yunas Stimme klingt überraschend aufgebracht. »Ich habe dir oft genug gesagt, dass ein Schwert kein Knüppel ist, mit dem man auf etwas einhackt, bis es kaputtgeht.«
»Von mir aus. Ich geb meinem Schwert auch einen Namen.«
Mura räuspert sich und Valoa nimmt seinen Blick von Sorobos’ Rücken.
»Würde es Euch etwas ausmachen, wenn ich mich dem Training anschließe, Euer Gnaden?«
Valoa hebt die Brauen. Der verbissene Ausdruck auf Muras Gesicht, sagt ihm, dass Sorobos nicht der einzige ist, der einen plötzlichen Ehrgeiz verspürt, seine Fähigkeiten zu verbessern. Er lacht leise. »Nur zu«, sagt er und richtet seinen Blick wieder auf Sorobos und Yuna, die noch immer miteinander diskutieren.
Es scheint ihm, dass sie seinen Männern am Ende doch etwas beigebracht hat.
Konstruktive Kritik ist immer erwünscht. Schreib mir, was du denkst und hilf mir damit weiter :)
© 2024 Urheberrecht. Alle Rechte vorbehalten.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.