Vivennas Plan hatte nicht vorgesehen, dass der Kaiser sie wirklich heiratet. Aber wie sich herausstellt, ist Caleb Mortez tatsächlich ein verrückter Mann. Oder er hat ihren Plan durchschaut.
Was auch immer seine Beweggründe waren, er hat nun die Autorität, sie jederzeit hinrichten zu lassen und König Eric wird nicht riskieren, dass Vivenna seine Pläne durchkreuzt. Er wird dafür sorgen, dass der Kaiser an ihr zweifelt und Vivenna, die keinerlei Macht besitzt, wird ihm nichts entgegensetzen können. Wie oft Vivenna es im Kopf auch durchgeht, es endet damit, dass der Kaiser sie tötet und so ist sie zu einem einfachen Schluss gekommen. Der Kaiser muss sterben.
Zu diesem Zweck hat sie seine Gemächer genaustens studiert. Es ist riskant und ihre Erfolgsaussichten sind gering, aber gerade das ist ihr Vorteil. Sollte es gelingen, wäre es einfach, eine Geschichte über einen Assassinen glaubhaft zu machen, besonders nachdem der Brief, den sie dem Botschafter untergeschoben hat, erwähnt, dass der Marquis die Hochzeit mit allen Mitteln verhindern wollte.
Bevor sie in die Gemächer des Kaisers gebracht wurde, hat Madame Helissent sie über die Etikette der kaiserlichen Schlafgemächer aufgeklärt. Vivenna ist es zum Beispiel nicht erlaubt, den Kaiser von sich aus zu berühren, sie soll nur sprechen, wenn er sie etwas fragt und ihm gehorsam erlauben, alles mit ihr zu tun, was er wünscht. Jedoch hat Madame Helissent auch noch hinzugefügt, dass der Kaiser sich wohl kaum dazu herablassen würde, bei ihr zu liegen und sie froh sein kann, wenn er sie auf dem Sofa schlafen lässt. Höchstwahrscheinlich wird er sie jedoch aus seinen Gemächern werfen, sobald er hier ist, was bedeutet, dass Vivenna nur ein kleines Zeitfenster bleibt.
Hinzukommt, dass ihre einzigen Waffen ein Buttermesser und eine Gabel sind. Damit ist ihre einzige Chance, ihn zu überrumpeln und es auszunutzen, dass er sie unterschätzen wird. Und zu hoffen, dass er versuchen wird, sie nicht zu töten, ohne sie zu verhören.
Nachdem sie fertig mit essen ist, legt sie die Gabel ins Bett des Kaisers unter ein Kopfkissen und versteckt sich dann mit dem Buttermesser in der Hand hinter dem Schrank neben der Tür. Sie öffnet die Schranktür, um die Aufmerksamkeit des Kaisers darauf zu lenken und wartet ab.
Die Sonne ist bereits untergegangen und trotz des prasselnden Kaminfeuers ist es kühl. Vivenna trägt nur ein dünnes Nachthemd und hinter dem Schrank liegt kein Teppich auf dem Boden. Außerdem haben die Dienerinnen, die sie gewaschen und angekleidet haben, ihre Haare mit einem Öl eingerieben, das stark nach Rosen riecht. Sie kann nur hoffen, dass der Kaiser sie nicht riecht.
Dann ertönt ein Geräusch. Jemand betritt die Gemächer und sie hört die tiefe Stimme des Kaisers. Da Vivenna sich nah der Schlafzimmertür befindet, kann sie aus den Wortfetzen heraushören, dass der Kaiser die Wachen vor der Tür fortschickt. Dann hört sie erneut Schritte, die diesmal näher kommen.
Vivenna hält den Atem an.
Die Tür wird geöffnet und wieder geschlossen. Die Schritte bewegen sich Richtung Zimmermitte. Es ist riskant, denn wenn er zu weit geht, könnte er sie sehen. Aber dann, gerade rechtzeitig, halten seine Schritte inne.
Wahrscheinlich, weil er nach ihr sucht.
Eine Weile ist es still, bis sich schließlich seine Schritte dem Schrank nähern.
Vivenna beißt sich auf die Lippe, während sie sich bereit macht. Sie zwingt sich, ruhig zu bleiben. Doch sie spürt, wie sie sich noch fester gegen den Schrank drückt, sodass es ein Wunder ist, dass er nicht knarrt.
Die Schranktür wird geschlossen.
Vivenna springt vorwärts. Sie hält das Messer in ihrer linken Hand und nutzt den Schwung ihres Sprungs, um das Buttermesser gegen den Hals des Kaisers zu schwingen.
Der Blick aus einem Paar roter Augen trifft den ihren. Sie spürt einen Widerstand an der Messerspitze. Und dann kracht sie mit dem Rücken gegen den Schrank.
»Da bist du ja.« Der Blick des Kaisers ist unbeteiligt und kalt, als er ihr den Hals zusammendrückt, während ihre linke Hand mit dem Messer neben ihrem Kopf gegen den Schrank gepresst wird.
Sie kann nicht sagen, wie es dazu gekommen ist, denn er hat sich mit beängstigender Geschwindigkeit bewegt. Es macht ihr bewusst, dass sie, selbst mit einem scharfen Messer, nie mehr als einen Kratzer an seinem Hals hinterlassen hätte.
Sie starrt ihn an und wartet darauf, was er als Nächstes tun wird.
»Du siehst nicht sehr ängstlich aus, für jemanden, der gerade versucht hat, mich auf erbärmliche Weise zu töten.«
Vivenna röchelt. Sie kann nicht sprechen und unglücklicherweise schenkt der Kaiser dem Messer in ihrer Hand keine Beachtung. Und so lässt Vivenna es fallen.
Es landet mit einem Klirren auf dem Boden und wie beabsichtigt zucken die Augen des Kaisers nach unten. Er runzelt die Stirn. Dann lässt er ihren Hals los, um seinen eigenen zu berühren.
Vivenna hustet und ringt nach Luft.
»Hast du versucht, mich mit einem stumpfen Messer zu erstechen?«, fragt er, sichtlich verwirrt.
»Ich – hrm – habe nicht versucht, Euch zu erstechen«, erwidert Vivenna mit rauer Stimme.
Die Augen des Kaisers schmälern sich.
»Es ist das Messer, das dort auf dem Tisch lag.« Sie deutet mit ihrer rechten Hand auf den Tisch hinter ihm, was ihn dazu anleitet, über die Schulter zu schauen. Währenddessen greift sie das Buttermesser mit dem Fuß und hebt es hoch, sodass sie es mit ihrer freien Hand erreichen kann.
»Und du hast dir gedacht, weil es dort liegt, wäre es eine Verschwendung, nicht damit auf mich loszugehen?« Der Kaiser wendet sich wieder ihr zu, genau in dem Moment, in dem Vivenna ein zweites Mal mit dem Messer nach ihm stößt. Diesmal zielt sie auf seine rechte Schulter, in der Erwartung, dass er sie loslassen würde, um auszuweichen. Aber er weicht nicht aus.
Vivenna starrt verdutzt das Messer an, das erfolgreich seine Schulter getroffen hat.
»Nochmal«, sagt der Kaiser völlig unbeeindruckt. »Das Messer ist stumpf.«
Tatsächlich scheint sie ihn nicht verletzt zu haben. Nicht einmal der Stoff seiner Robe ist beschädigt. Es ist eine schwarze Robe, aus einem feinen Stoff, die mit roten Malereien versehen ist und da Vivenna weder den Stoff noch das Design einordnen kann, hätte sie sie gern genauer in Augenschein genommen.
Doch in diesem Moment packt der Kaiser ihre Hand und wirbelt sie herum. Keinen Augenblick später steht Vivenna mit dem Rücken zu ihm, das Buttermesser an ihrer Kehle.
»Man kann mit einer stumpfen Waffe töten, wenn man kräftig genug ist.«
Vivennas gesamter Körper bebt unter der Anstrengung ihre Hand, die er mit seiner umschlossen hat, von ihrem Hals fernzuhalten.
»Und jetzt sag mir, wieso du versuchst, mich zu töten. Oder macht es dir einfach Spaß, auf andere einzustechen?« Die Stimme des Kaisers ist ein tiefes Knurren neben ihrem Ohr, das Vivenna erschaudern lässt.
»Wenn Ihr Euch das fragt«, bringt sie heraus, ihre Stimme bebt, von der Anstrengung, ruhig zu sprechen. »Wieso habt Ihr die Zeremonie nicht verschoben?«
»Wenn du etwas dagegen hattest, hättest du es sagen sollen«, gibt er zurück und trotz ihrer Lage dreht Vivenna den Kopf, um ihn wütend anzusehen. »Läge das in meiner Macht, wäre ich nie ins Imperium gekommen!«, zischt sie, während sie all ihre Kraft aufwendet, um gegen ihn zu drücken. Und tatsächlich ist es, als gäbe er ihr nach.
»Soll ich Mitleid mit dir haben?«, fragt er und seine Lippen kräuseln sich amüsiert.
»Spart Euch Euren Hohn!«, faucht Vivenna, deren Hand der Kaiser nur noch so locker hält, dass sie sie weit genug öffnen kann, um das Messer hindurchrutschen zu lassen. Sie fängt es mit der anderen Hand auf und tritt dem Kaiser gleichzeitig mit der Ferse kräftig auf die Zehen.
Er gibt einen Schmerzenslaut von sich und zuckt zurück, was Vivenna nutzt, um sich aus seinem Griff zu befreien. Aber ihre Flucht gelingt nicht ganz perfekt, denn der Kaiser greift nach ihr und erwischt ihren Arm.
Vivenna wirbelt herum und lässt das Buttermesser auf seine Hand niedersausen. Dabei benutzt sie so viel Kraft, wie sie aufbringen kann, wodurch ihr das Messer aus der Hand gerissen wird.
Der Kaiser zieht fluchend seine Hand zurück.
Vivenna strauchelt, schafft es aber ihr Gleichgewicht zu halten, als sie erneut herumwirbelt und aufs Bett zusprintet. Sie krabbelt über die Matratze, so als würde sie es auf den Kerzenständer abgesehen haben, der auf der anderen Seite auf dem Nachttisch steht. Doch bevor sie ihn erreichen kann, wird sie am Fuß gepackt und zurückgezogen.
Der Ruck ist so heftig, dass sie mit dem Gesicht auf der Matratze landet und als sie sich auf den Rücken dreht, ist der Kaiser über ihr. Seine Hand liegt wieder um ihren Hals, auch wenn er diesmal nicht zudrückt, und seine roten Augen fixieren sie mit einem genervten Ausdruck. »Was soll das? Willst du Fangen mit mir spielen?«
»Euer Majestät sollten wissen, dass es mir nicht darum geht, Euch zu fangen.«
»Du hast gesagt, du willst mich nicht töten.«
»Ich sagte, ich hätte nicht die Absicht, Euch mit Eurem Buttermesser zu erstechen.«
Er schnaubt und lehnt sich zu ihr hinunter. Dabei festigt er seinen Griff um ihren Hals. »Ich muss nur zudrücken. Und dein Genick bricht wie ein Zweig.«
Vivenna schluckt, aber sie zwingt sich ruhig liegenzubleiben und seinen Blick unerschrocken zu erwidern. »Und ich muss nur mein Knie anheben und Ihr winselt wie ein geschlagener Hund.«
Er sieht nach unten. Offenbar bemerkt er erst jetzt, dass ihr rechtes Bein zwischen seinen liegt und Vivenna spürt, wie er sich anspannt. Im ersten Moment verspürt sie Genugtuung darüber, dass sie ihn verunsichert hat, bis sie begreift, dass seine Anspannung kein Zeichen von Unruhe ist.
Sie schnappt erschrocken nach Luft, als er ihr Bein packt und seinen Arm unter ihr Knie schiebt, wobei er sie in eine skandalöse Position drängt. Vivenna kann gerade noch den Saum ihres Nachthemds packen, um zu verhindern, dass er ebenfalls nach oben gezogen wird. Sie funkelt den Kaiser empört an.
»Was schaust du so? Gibst du auf?« Ein Grinsen ziert seine Lippen, als wäre all das kaum mehr als ein Spiel für ihn.
Vivenna stößt ein Zischen aus und dreht den Kopf zur Seite. Dabei sieht sie zu ihrem freien Bein hinunter, das sie bedächtig bewegt, als hätte sie damit etwas vor. Und nach allem, was sie bisher getan hat, folgt der Kaiser ihrem Blick.
Als er ebenfalls den Kopf dreht und dabei seinen Hals entblößt, reckt Vivenna sich und versenkt ihre Zähne in seiner Haut.
Er zuckt mit einem überraschten Aufschrei zurück, was Vivenna nutzt, um ihren Fuß gegen seine Schulter zu stemmen. Dann tritt sie ihn mit aller Kraft. Als er nach hinten kippt, wechselt sie ihre Position und packt ihn am Kragen. »Für Euch muss es schrecklich amüsant mitanzusehen sein«, faucht sie, während der Kaiser überrascht zu ihr aufsieht. »Aber ich werde nicht sterben wie Vieh, das an einen Schlachter verkauft wurde und wenn das bedeutet, dass ich Euch mit bloßen Händen töten muss! Dachtet Ihr, ich würde – mph!«
Eine große Hand packt ihren Hinterkopf und sein Mund presst sich auf ihren.
Vivenna gibt einen empörten Protestlaut von sich und stemmt ihre Hände, mit denen sie seinen Kragen gepackt hat, gegen ihn. Aber anstatt sie loszulassen, schlingt er seinen Arm um ihren Rücken und zieht sie zu sich. Sie kann seine Zähne spüren und wie er versucht, sie dazu zu bringen, ihren Mund zu öffnen. Das tut sie, jedoch um ihm kräftig auf die Lippe zu beißen.
Er zuckt zurück und Vivenna drückt ihn keuchend von sich. Sie starrt den Kaiser irritiert an, der sie seinerseits mit einem amüsierten Funkeln in den Augen mustert. Er wischt sich mit dem Finger über seine blutige Lippe und betrachtet ihn dann. »Dann ist die Lösung doch einfach. Sei nett zum Schlachter«, sagt er und leckt sich über die blutige Lippe.
Vivennas Miene verdüstert sich. »Verspottet mich nicht!«
»Tue ich nicht«, erwidert er und seine Hand rutscht aus ihren Haaren zu ihrem Gesicht. Er packt ihr Kinn. »Wenn du mich nicht verrätst, werde ich dich gut behandeln.«
»Ich vertraue Euch nicht!«
»Selbst wenn du es durch ein Wunder schaffen solltest, mich zu töten, rettest du damit nicht dein Leben.«
Vivenna presst die Lippen aufeinander. Er hat recht. Sie kann alle Welt glauben lassen, der Kaiser wäre von einem Assassinen ermordet worden, aber das Imperium würde mit dem Tod des Kaisers kurz vor dem Zusammenbruch stehen und ihr Leben würde damit nicht leichter werden. Eine Allianz mit dem Kaiser wäre vorteilhaft, aber es ist verdächtig, dass er sie ihr so einfach anbietet.
Der Kaiser wartet ab und lässt sie nachdenken, während er sie aus wachsamen Augen mustert, wie ein Raubtier, das darauf wartet, dass sie in seine Falle tappt.
»Gebt Ihr mir Euer Wort?«, fragt sie mit bebender Stimme.
Ein Lächeln umspielt seine Lippen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich halte meine Versprechen.«
»Ich habe keine Angst vor Euch!«, erwidert Vivenna, deren Sorge sich viel mehr auf ihre Entscheidung richtet und ob sie nicht die falsche trifft.
»Das ist gut.« Die Augen des Kaisers funkeln, bevor er den Saum von Vivennas Nachthemd packt und es ihr über den Kopf zieht.
Vivenna, die erst Stoff und dann ihre Haare im Gesicht hat, zuckt überrascht zurück und im nächsten Moment findet sie sich auf dem Rücken liegend wieder. Sie presst die Arme schützend vor die Brust und sieht zum Kaiser auf, der sich über sie beugt und mit glühenden Augen auf sie herabsieht.
»Es wäre ein Problem, wenn meine Braut in unserer Hochzeitsnacht Angst vor mir hat«, raunt er mit dunkler Stimme und der Blick in seinen Augen ist hungrig.
Und so greift Vivenna blitzschnell unter das Kissen neben ihr und zieht die Gabel hervor, die sie dem Kaiser keinen Augenblick später unters Kinn hält.
Er erstarrt.
»Wunder geschehen häufiger, als Ihr denkt, Euer Majestät«, sagt Vivenna und sieht entschlossen zu ihm auf. »Vergesst nicht, dass ich entschieden habe, Euch heute zu vertrauen.«
Die Augen des Kaisers blitzen, aber es ist weder Wut noch Angst darin. »Ich werde gar nichts vergessen«, erwidert er mit kontrollierter Stimme, während er langsam nach Vivennas Hand greift. Seine Finger umschließen vorsichtig die ihren und er zieht sie von seinem Hals weg. Dann zupft er ihr die Gabel aus der Hand und Vivenna hört nur noch das Klirren, als sie zu Boden fällt, während sich die Lippen des Kaisers erneut auf ihre pressen.
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