Als ich von dem Erscheinen einer Fremden in unserer Stadt erfuhr, hatte ich natürlich sofort Lord Valoa im Verdacht. Es passte zu seiner extravaganten Denkweise, auf solch offensichtliche Art, einen Spion in unsere Reihen zu schleusen. Ob dieser Spion nun diese Fremde ist oder jemand anderes, während sie nur als Ablenkung dient. Und so befahl ich den Wachen, die Augen offenzuhalten und trug Lionell auf, alle Gäste und Vasallen meines Mannes zusammenzurufen, damit auch sie sich ein Bild von der Fremden machen können. Je mehr Augen auf der Fremden liegen, desto besser, dachte ich, und ich wollte, dass jeder von ihnen ihr Gesicht kennt. Derweil kümmerte ich mich um Frederic, der wohl sofort in die Kerker gestürmt wäre, um die Frau zu befragen.
Ich dachte, ich würde etwas entdecken, sobald ich ihr gegenüberstehe. Man hatte mir gesagt, dass sie allein reist und ärmlich gekleidet ist. Daraus schloss ich, dass sie, egal aus welchen Gründen sie gekommen ist, den Drang verspüren würde, nicht Frederics Unmut auf sich zu ziehen. Das erste Treffen in der Burg mit den mächtigsten Männern der Grafschaft sollte sie demnach mit genug Nervosität erfüllen, dass sie leicht zu durchschauen wäre. Ich war mir sicher, ich würde wenigstens einen Anhaltspunkt finden, der mir verraten würde, wer diese Frau ist und woher sie stammt. Was für ein Irrtum das war.
»Es ist die Frau, my Lord«, sagt eine der Wachen, die die Frau aus den Kerkern herbrachten, aber ich beachte sie kaum.
Seit die Frau die große Halle betreten hat, war es mir unmöglich, den Blick von ihr zu nehmen. Ich erinnere mich, an die Beschreibung von Lucius: Eine junge Frau mit einer fremdartigen Erscheinung, in den Kleidern eines Mannes und mit einer Markierung auf dem Gesicht, wie Sklaven sie tragen.
Erst jetzt fällt mir auf, dass es eigenartig war, dass er sie nicht geradeheraus als Sklavin bezeichnete. Aber ich verstehe sofort den Grund dafür. Die Frau vor mir ist keine Sklavin. Von ihrer Haltung bis hin zu dem Blick, mit dem sie zur Empore hinauf sieht. Ein Blick, der nicht das kleinste bisschen an Unruhe oder Nervosität verrät.
Ich nehme das Symbol auf ihrer linken Wange in Augenschein. Es sieht aus, wie der Buchstabe V und nur die Farbe und perfekte Form verraten, dass es kein Geburtsmal ist. Aber niemand würde sich die Mühe machen, ein so feines Zeichen so perfekt auf dem Gesicht eines Sklaven auftragen zu lassen. Und das Zeichen ist der einzige Makel auf ihrem Gesicht. Selbst eine Dame von Stand besitzt keine so ebene, blasse Haut, von einer gewöhnlichen Frau ganz zu schweigen. Sie sieht aus wie eine Puppe, mit dunklen, katzenhaften Augen und Haar von einem so tiefen Schwarz, als würde es sämtliches Licht verschlucken.
Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Erscheinung sie hätte, würde sie nicht in diesen schmucklosen Kleidern vor uns stehen. Ohne meinem Mann einen Blick zuwerfen zu müssen, weiß ich, dass er schon jetzt bezaubert von ihr ist. Nicht, dass es für eine Frau eine Kunst ist, Frederics Aufmerksamkeit zu erlangen.
Doch auch ihre Kleider, wie schmucklos sie auch sein mögen, verdienen meine Aufmerksamkeit. Sie mögen Männerkleidung ähnlich sehen, aber sie würden nicht so tadellos an ihrem Körper sitzen, wenn das tatsächlich der Fall wäre. Noch dazu kann ich weder mit dem Material noch dem Schnitt etwas anfangen. Sie gibt mir nicht den kleinsten Hinweis darauf, woher diese Frau gekommen ist.
Dann stößt eine der Wachen mit dem Schaft ihres Speers nach ihr und erst da bemerke ich, dass die Frau nur dasteht und zu uns heraufsieht, ohne Frederic, dem Grafen von Warrenheim, den nötigen Respekt zu zeigen.
Aber die Frau zuckt kaum und wirft der Wache, die ihr etwas zuzischt, nur einen verärgerten Blick zu, bevor sie wieder zu Frederic sieht. »Ich bin mit den Gepflogenheiten in Eurem Land nicht vertraut.« Ihre Stimme ist tiefer, als ich ihrer jugendlichen Erscheinung zugetraut hätte und es schwingt eine Autorität darin, die die gesamte Halle füllt. Zudem spricht sie mit bedächtiger Stimme, als würde sie unsere Sprache nicht gut beherrschen. Doch ich höre nicht einmal den Anflug von einem Akzent. »Aber wie Ihr sehen könnt, kooperiere ich mit Euch, daher bitte ich um Nachsicht.« Es ist keine Frage. Sie sieht Frederic an, als wäre er es, der ihr gefallen müsste, und hebt ihre Hände, die sie auf eigenartige Weise miteinander verschränkt hat.
»Unverschämtheit! Wer hat dir erlaubt, Lord Frederic anzusprechen, Sklave?!«, ruft Lord Arnok voreilig dazwischen. Es überrascht mich nicht, dass er nicht in der Lage ist, die Situation richtig einzuschätzen. Er war noch nie ein Mann mit schneller Auffassungsgabe.
»Ich habe mich grundlos verhaften lassen und mehrere Stunden in einem modrigen und stinkenden Kerker verbracht. Ihr versteht sicher, wenn ich mich Euch gegenüber nicht dankbar zeige«, sagt die Frau, als hätte sie Lord Arnok nicht gehört und Frederic muss ihn auffordern, sich zurückzuhalten. Unter anderen Umständen hätte mich diese Situation fast amüsiert.
»Ihr sprecht nicht wie eine Sklavin, Miss … wie war noch gleich Euer Name?«, sagt Frederic, denn an diesem Punkt müsste jeder begriffen haben, dass die Frau keine Sklavin ist.
»Mizuno.« Die Frau neigt den Kopf, wie zu einer Begrüßung. »Mein Name ist Yuna Mizuno. Und ich bin keine Sklavin.«
Ich lasse mir ihren Namen durch den Kopf gehen und versuche, ihn einzuordnen. Aber wie alles andere an ihr, ist er mir völlig fremd.
»Könntet Ihr Euren Namen wiederholen?«, fragt auch Frederic mit verwirrter Stimme.
»Mizuno.« Sie spricht langsamer und deutlicher, als wäre sie es gewohnt, anderen ihren Namen beizubringen.
»Miso…nu?«
Sie gibt ein leises Seufzen von sich. »Nennt mich Yuna.«
»Dann Miss Yuna, wenn Ihr keine Sklavin seid, weshalb tragt Ihr ein Sklavenmal auf dem Gesicht?«
»Es ist kein Sklavenmal«, sagt sie sofort und ihre Hände zucken, als wollte sie das Mal berühren. »Es ist … ein Clan-Symbol. Alle meine Leute tragen es auf dem Gesicht.«
Ein Clan, denke ich und versuche mir einen Reim daraus zu machen. Mir ist die kurze Pause nicht entgangen, aber möglicherweise hat sie nur nach dem passenden Wort gesucht. Das würde bedeuten, dass sie sich nicht oft erklären muss, doch ich weiß, dass dieses Zeichen sowohl in Valiante als auch in Warrenheim und dem gesamten Reich Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Sie scheint demnach tatsächlich nicht von hier zu sein.
»Und was wollt Ihr in Warrenheim? Soweit ich weiß, seid Ihr allein. Es ist gefährlich für ein junges Mädchen wie Euch, ganz ohne Begleitung zu reisen, besonders hier.«
»Man hat mir gesagt, dass Ihr Euch in einem Krieg befindet. Aber das hat nichts mit mir zu tun.« Ihre Antwort ist knapp und unbekümmert, als wäre all das eine Nebensächlichkeit für sie.
Frederic breitet die Arme aus und lehnt sich etwas in seinem Thron vor. »Ich würde Euch gern glauben, aber ein Mädchen, das ganz allein und als Junge verkleidet in meine Stadt kommt, ist nun mal sehr verdächtig. Noch dazu beherrscht Ihr unsere Sprache auf eine Weise, die es sehr zweifelhaft erscheinen lässt, dass Ihr tatsächlich aus dem Osten stammt.«
Ich unterdrücke es, die Augen zu verdrehen. Es ist leicht zu erraten, dass er plant, sie hierzubehalten, aber ich wünschte, er würde wenigstens versuchen, die Situation zu lesen.
»Auf welchem Kontinent liegt Warrenheim?«, fragt die Frau und ich vergesse meinen Ärger über Frederic.
»Wie bitte?«, fragt Frederic, offenbar genauso verdutzt wie ich.
»Warrenheim ist was, eine Grafschaft? Zu welchem Staat gehört es?«, fährt die Frau fort, als wäre es nichts Außergewöhnliches, die Bemerkung des Burgherren zu ignorieren und ihn stattdessen mit Fragen zu löchern.
»Diese Impertinenz!«, ruft Lord Arnok, der sich offenbar nicht mehr zurückhalten kann. »Diese Frau gehört in den Kerker!«
»Ich habe Euch gesagt, dass ich mit Euren Angelegenheiten nichts zu tun habe. Ob Ihr mir glaubt, ist Eure Sache. Ich bin nur mit Euren Leuten mitgegangen, weil ich Fragen habe«, sagt die Frau unbeeindruckt und ich starre sie an, während ich zu ergründen versuche, woher diese Zuversicht stammt. Sie steht in Ketten vor uns und sie ist allein, doch sie scheint nicht das kleinste bisschen Sorge darüber zu empfinden.
»Auf die Knie!« Die Stille wird von der Stimme einer Wache unterbrochen. Anders als die Frau, scheint die Wache den Druck der Situation zu spüren, denn sie schlägt mit ihrem Speer nach der Frau. Und dann geht es plötzlich ganz schnell. Ich registriere nur, dass die Frau sich bewegt und im nächsten Moment taumelt die Wache nach hinten und stürzt zu Boden.
»Benutzt dieses Ding noch einmal und Ihr landet als Nächstes auf Eurem Gesicht.« Die Stimme der Frau ist tiefer als zuvor und obwohl ihre Worte nicht mir gelten, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.
Ich kann nicht beschreiben, was es ist, aber in diesem Moment wird mir eine Sache glasklar. Diese Frau, wer immer sie ist, ist eine Gefahr. Es ist unbedingt nötig, dass sie verschwindet.
Frederic lacht auf, was mich zusammenzucken lässt. »Ihr seid wahrlich keine Sklavin.« Er nickt der Wache, die nicht auf dem Boden liegt, zu. »Nimm ihr die Handfesseln ab.«
Ich starre meinen Mann an, dessen Gedanken sich offensichtlich grundlegend von meinen unterscheiden.
»Ich muss Euch für mein Verhalten um Vergebung bitten, Lady Yuna. Ich hätte sofort erkennen müssen, dass Ihr von noblem Blut seid. Diana, meine Liebe, es muss für Lady Yuna schrecklich unangenehm sein, in diesen schäbigen Kleidern vor uns zu stehen.«
Ich habe es erwartet, aber ich wusste nicht, mit welchem Widerwillen ich diesem Befehl folgen würde.
»Aber my Lord, seht Euch ihre Kleidung an. Sie ist eine Hochstaplerin!«, sagt Lord Arnok und zum ersten Mal, bin ich ihm für seine Einmischung dankbar, wenn sie auch nutzlos ist.
»Unsinn!« Frederic wedelt abweisend mit der Hand in seine Richtung. »Eine noble Herkunft lässt sich nicht vortäuschen. Und was für ein Mann wäre ich, wenn ich einer verirrten Dame meine Hilfe verwehren würde. Lady Yuna, Ihr seid mein Gast, bitte fühlt Euch auf Burg Rande wie Zuhause.«
Die Frau neigt höflich den Kopf. »Ich danke Euch, my Lord«, sagt sie und meine letzte Hoffnung, dass sie dreist genug ist, seine Einladung abzulehnen, verschwindet.
Die Wachen treten zurück, als ich von dem Podest heruntersteige. Ich zwinge ein Lächeln auf mein Gesicht. »Es ist eine Freude, Euch in unserem Heim willkommen zu heißen. Ich bin Lord Frederics Gemahlin. Ihr könnt mich Diana nennen.«
Sie nickt nur, als sehe sie keinen Grund, meinen Gruß zu erwidern. Nicht, dass mir daran gelegen ist. Da sie nun hier ist, ändert sich nichts an der Dringlichkeit herauszufinden, wer sie ist und weshalb sie hier ist. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet«, sage ich, bevor ich sie aus der Halle führe. Ich plane, ihr die große Karte im Nordflügel zu zeigen. Da sie zuvor nach Warrenheims Lage gefragt hat, erfahre ich möglicherweise etwas, wenn ich ihr gebe, was sie will.
Aber wir haben kaum die große Halle verlassen, als ich bemerke, dass sie mir nicht mehr folgt. Ich drehe mich um, um sie höflich, aber bestimmt zu bitten, nicht zu trödeln, doch als ich das tue, steht sie direkt vor mir. Ich erstarre.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt sie, mustert mich jedoch mit demselben gleichgültigen Blick wie zuvor.
Ich beiße mir fest auf die Innenseite meiner Wange und zwinge erneut ein Lächeln auf meine Lippen. »Verzeiht, ich wollte sichergehen, dass ich nicht zu schnell gehe.«
Ich meine Misstrauen in ihren Augen aufblitzen zu sehen, als würde sie wissen, dass ich sie anlüge, obwohl sich ihre Miene nicht ändert. »Ihr müsst nicht meinetwegen langsam gehen«, sagt sie und es klingt fast wie eine Aufforderung an mich, nicht zu trödeln.
»Wie entgegenkommend von Euch«, erwidere ich und drehe mich um, um sie nicht länger anlächeln zu müssen.
Ich gehe weiter und achte diesmal genau auf die Präsenz hinter mir. Aber wie zuvor ist es, als wäre niemand dort und ich muss mich mit einem Blick über die Schulter vergewissern, dass sie mir folgt. Und da ist sie, kaum zwei Schritte hinter mir, und sieht mich fragend an.
Ich sehe schnell wieder nach vorn. Wie ist das möglich?
Sie ist definitiv da und doch höre ich keine Schritte, nicht das Rascheln ihrer Kleider, keinen Atem. Das einzige, was mir folgt, ist Totenstille.
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